Presseartikel

31. Oktober 2022, Pressestatement

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freund:innen, Fans und Förderer,

wir möchten Ihnen und Euch aus aktuellem Anlass Änderungen zur Laufzeit der Container City mitteilen.

Schon im Sommer haben die Künstler:innen des Kunstverein Wagenhalle begonnen, ihre Ateliers in der Container City zurückzubauen, da die Frist zur Nutzung der Flächen zum 31. Oktober endet.

Die Stadt plant ab diesem Zeitpunkt Vergrämungsmaßnahmen für den Tierbestand, um dann darauffolgende Baumaßnahmen für die zukünftige „Maker City Rosenstein“ durchzuführen. Zwischenzeitlich konnte laut Stadt Mitte September eine zeitliche Optimierung der notwendigen Maßnahmen vorgenommen werden. Die Maßnahmen müssen nicht mehr in zwei Abschnitten in den Jahren 2023 und 2024 durchgeführt werden, was nun zur Folge hat, dass die Vergrämungsmaßnahmen in einem Zug im Jahr 2024 durchgeführt werden können.

Da wir schon mit dem Rückbau der Container City begonnen hatten, mussten wir hierfür erst interne Abläufe klären, bevor wir die Entscheidung der Stadt zur Laufzeitverlängerung der Container City der Öffentlichkeit bekannt geben.

Wir freuen uns auf weitere intensive Monate im Kulturschutzgebiet und hoffen Sie dort spätestens im nächsten Frühling zu vielfältigen Veranstaltungen begrüßen zu dürfen!!

Wir freuen uns außerdem über unsere Publikation „Kultur, Schutz, Gebiet – Container City 2016 -2023“, die zum Tag der offenen Tür im Oktober erschienen ist. Mit dem Buch möchten wir nicht nur gemeinsam auf ereignisreiche Jahre zurückzublicken und die Container City in Erinnerung behalten, sondern neben der Dokumentation ihrer Entstehung, ihrer Nutzung und ihrem Einfluss auf den städtebaulichen Wettbewerb Rosenstein, wagen wir darin auch einen Blick in eine mögliche Zukunft des Areals. Die Publikation können Sie für 25,- direkt bei uns bestellen. Demnächst wird sie auch im Stuttgarter Buchhandel erhältlich sein.

Mit freundlichen Grüßen,
Robin Bischoff
1. Vorsitzender des Kunstverein Wagenhalle e. V.

28. Juli 2022, KONTEXT: Wochenzeitung

Popcornhirn und Sternenreise

Seit 18 Jahren arbeiten die Künstler:innen des Kunstvereins Wagenhalle am Stuttgarter Nordbahnhof, in der einstigen Instandsetzungshalle der königlich-württembergischen Eisenbahn. Nun präsentieren sie beim ersten Film-Kunst-Fest an der Wagenhalle Filme, die die Vielfalt ihrer Arbeit widerspiegeln.

 Im Wagenhalle-Projektraum fliegt Künstlerin Kristina Arlekinova mit Marie Lienhards VR-Brille durch unbekannte Räume. Fotos: Joachim E. Röttgers
Im Wagenhalle-Projektraum fliegt Künstlerin Kristina Arlekinova mit Marie Lienhards VR-Brille durch unbekannte Räume. Fotos: Joachim E. Röttgers

Eigentlich war es überfällig: Unter den Künstler:innen des Kunstvereins Wagenhalle sind viele, die sich mit Film beschäftigen, eigene Langfilme, Dokumentationen produzierten oder bewegte Bilder in ihre Arbeit integrieren. Doch erst während der Pandemie fanden sie zu einer Gruppe zusammen.

„Im Lockdown haben wir uns zuerst im Zoom getroffen“, erzählt Kristina Arlekinova, die künstlerische Leiterin des Festivals. „Unsere Idee war, zuerst einmal herauszufinden, wer sich in der Wagenhalle überhaupt mit Bewegtbildern beschäftigt.“ Das Ergebnis: 28 von insgesamt rund 150 Mitgliedern des Kunstvereins arbeiten auch oder ausschließlich im Medium Film. Genügend Material, genügend unterschiedliche Ansätze also, fand die Gruppe, um ein kleines Festival zu veranstalten – und machte sich daran, das umzusetzen.

Das erste Film-Kunst-Fest an der Wagenhalle hat am vergangenen Wochenende begonnen. Die Wiese bei der Container-City wurde zum Open-Air-Kino mit Bar, Falafelstand und Popcornstation, während im Projektraum der Wagenhalle eine Ausstellung der Filmkunst eröffnete, die noch bis zum 31. Juli zu sehen sein wird. Am kommenden Wochenende, am Freitag, 29. und Sonntag, 31. Juli, geht auch das Filmfest auf der Wiese weiter. Kurzfilme, Experimentalfilme, Dokumentarisches wird auf der großen Leinwand zu sehen sein, nebst einem abendfüllenden Film.

Langfilm der vergangenen Woche war „Mühlheim Texas – Helge Schneider hier und dort“. Andrea Roggon portraitiert darin Deutschlands witzigsten Vollblutmusiker. Am kommenden Sonntag läuft „Where’s the Beer and when do we get paid“, die Dokumentation, die Wiltrud Baier und Sigrun Köhler alias „Böller und Brot“ Jimmy Carl Black widmeten, dem Schlagzeuger der Mothers of Invention, der ersten Band Frank Zappas. Der mittlerweile verstorbene Black verbrachte seine letzten Jahre in Bayern. Seine Begegnungen mit den Blasmusikern dieses Bundeslandes sind unvergesslich.

Filme über Fundsachen und eine Radtour gen Den Haag

Die Eröffnung des Film-Kunst-Festes lockte mehr als 100 Gäste zur Wagenhalle. Die Stimmung war bestens, die Macher:innen sehr zufrieden. Robin Bischoff, Vorsitzender des Kunstvereins Wagenhalle, zeigte einen Film, für den er Konzerte zusammenschnitt, die anlässlich des 10. Jubiläums der Reihe FFUS (Für Flüssigkeiten und Schwingungen) stattfanden – wilde Musik, wilde Nächte.

Die Ausstellung im Projektraum der Wagenhalle ist das Herz des Festivals. Künstler:innen präsentieren dort Arbeiten, die filmische Mittel vor allem im Zusammenhang mit Installationen nutzen, und die dabei ganz unterschiedliche Wege gehen. Oft wird Kritik an Gesellschaft und Konsumverhalten artikuliert.

Kristina Arlekinova beispielsweise zeigt ein Gehirn aus Popcorn und Zuckerguss und eine filmische Erforschung unterschiedlicher Tropfenformen in vier Kurzfilmen. Álvaro García beschäftigt sich mit der Kunst des Wagenhallen-Künstlers Thomas Putze, Ramona Sophia Mohr mit Körperwahrnehmung und Ästhetik. Irina Rubina schuf einen gezeichneten Kurzfilm zur Jazz Musik („Jazz Orgie“), lässt abstrakte Formen tanzen. Pia Maria Martin, die lange an der Arbeit mit 16-Millimeter-Film festhielt, hat ihre Filme digitalisiert, zeigt sie in kreisförmiger Anordnung und verschachtelt so digitale und analoge Filmtechnik ineinander. Bei ihren Filmen handelt es sich um Stop-Motion-Animationen von Dingen, die auf dem Wagenhallengelände gefunden wurden und die nun zum Leben erwachen dürfen. Am kommenden Sonntag, dem letzten Tag des Film-Kunst-Festes, können Kinder in einem Workshop lernen, wie sie kleine Trickfilme mit ihren Smartphones aufnehmen können.

"Towards the Hague", Doku von und mit Sylvia Winkler und Stephan Köperl.

„Towards the Hague“ ist die knappe Dokumentation einer Radtour, die Sylvia Winkler und Stephan Köperl 2016 nach Den Haag unternahmen, zum internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Vorgelassen wurden sie nicht bei Gericht. Vor Ort zu filmen, wurde ihnen ebenfalls untersagt. Im Projektraum sind neben dem Film ihre umfangreichen Recherchematerialien zu sehen. Marie Lienhard indes lädt Besucher:innen ein, alle Schwere abzuschütteln, auf einer Schaukel Platz zu nehmen, eine VR-Brille aufzusetzen und wunderbar durch unbekannte Räume zu fliegen.

Künstler:innen und Eidechsen werden umgesiedelt

Bei all dem bunten Nebeneinander filmgewordener Kreativität ist das Film-Kunst-Fest auch ein Abschied, denn: Die Tage der Container-City sind gezählt. 2003 konnte der Abriss der Wagenhalle dank einer Initiative vieler politischer und kultureller Akteure gestoppt werden. 2017 begann die Sanierung der Halle, die Künstler:innen mussten ihre Ateliers räumen – und schufen auf dem Gelände vor der Halle ihre Stadt aus Containern, Arbeits- und Ausstellungsräumen, mit einem Marktplatz und der „Neuen Schachtel“ als Konzert-Location, Container für Live-Musik abseits von Mainstream und Kommerz. Ein Areal, auf dem sich viele Feste und Begegnungen zutrugen, ein Provisorium, von dem sie bis zuletzt hofften, dass es zur Institution werden könnte.

Der Beschluss der Stadt jedoch, auf eben diesem Gelände die Stuttgarter Interimsoper zu errichten, konnte nicht gekippt werden. Alternativen wurden diskutiert, längst aber steht fest: Ende Oktober muss das Containerdorf zurückgebaut werden. Die Eidechsen, die auf dem Gelände um die Container leben, werden dann ebenso umgesiedelt wie die Künstler:innen. Eine Baustellenzone kommt – und das Film-Kunst-Fest wird zum Fanal für die Container-City, diese Metropole der Stuttgarter Off-Kultur, zum letzten Happening und zum Selbstportrait, mit vielen Filmbildern, die in den Jahren dort entstanden, um Alltag und Atmosphäre zu bewahren.

Álvaro García zeigt seinen Film über den Wagenhallen-Künstler Thomas Putze.
Álvaro García zeigt seinen Film über den Wagenhallen-Künstler Thomas Putze.

Lisa Biedlingmaier hat das Containerdorf gefilmt, ganz zu Beginn. Ihre Arbeit ist Teil der Ausstellung im Projektraum der Wagenhalle, als einzelne Installation positioniert auf dem großen Würfel, der in diesem großen Raum steht: rund 30 Minuten lange, ruhige Filmsequenzen. Die Kamera schweift über das Gelände, betritt die einzelnen Container, driftet wieder hinaus. 2017, als diese Bilder entstanden, fand in Kassel und Athen die Documenta 14 statt; Radiosendungen zum Thema sind im Film zu hören, neben den Geräuschen der nahen Natur, des ebenfalls nahen Straßenverkehrs: Widersprüche, die aufeinandertreffen und die Container-City zu einem Raum zwischen den Welten werden lassen. Dazu, in der Ferne, die große Kunstschau, die Utopie. „Hearing about Athens“, hat Lisa Biedlingmaier ihren Film genannt.

Ein anderes Portrait des Kunstvereins zeichnet Anne Westermeyer in ihrem Langfilm „Weiber im Weltraum“: Sie besuchte alle Künstler:innen der Wagenhalle, drehte mit ihnen episodische Kurzfilme, improvisierte – die Zuschauer:innen erleben, auf witzig-absurde, oft überraschende Weise, was sich alles tut in den Ateliers: Skulptur, Malerei, Performance, Musik als Filmcollage einer Sternenreise am Stuttgarter Nordbahnhof. Westermeyers Film wird als letzter Beitrag zum Film-Kunst-Fest am Sonntagabend auf der Containerwiese zu sehen sein. 2023 dann soll es das nächste Film-Kunst-Fest an der Wagenhalle geben.

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7. Juli 2022, Stuttgarter Zeitung

Die Baustelle vertreibt die Künstler

Ein großer Teil der Container-City muss weg
Ein großer Teil der Container-City muss weg

Wieder einmal müssen sich die Wagenhallen neu erfinden. Einige lieb gewordene Einrichtungen wie die Container-City oder der Stadtacker müssen weichen. Ihre Fläche wird für den Bau von Oper und Wohnungen gebraucht.

Am Bauzaun scheiden sich die Geister. 25 Meter entfernt sollte er eigentlich aufgebaut werden, die Baustelle von den Wagenhallen trennen. Doch nun gibt es Pläne, ihn zehn Meter näher an die Halle zu rücken. Was die Künstler irritiert. Denn sie brauchen die Fläche vor der Halle zum Rangieren, zum Verladen, zum Bauen, zum Lagern von mitunter großen Kunstwerken. In den nächsten Jahren wird dort am Nordbahnhof gebaut, entstehen Büros und Wohnungen sowie die Interimsoper direkt neben den Wagenhallen. Was wieder einmal ein Umbruch für das Gelände und die Menschen dort bedeutet.

Die Wagenhallen Ende der 90er Jahre zogen einige Künstler und Lebenskünstler in leer stehende Waggons neben die alte Bahnhalle, die wegen des Neubaus von S 21 nicht mehr gebraucht wurde. Es entstand ein seltenes Biotop, ein Raum, um sich zu testen und auszuprobieren. Mehrmals sollte die Halle weg, mittlerweile wurde sie für 25 Millionen Euro von der Stadt saniert. Der Kunstverein kümmert sich um die Belange seiner 150 Mitglieder, viele davon wohnen oder arbeiten auf dem Gelände.

Die Container-City Sie entstand in den letzten Jahren vor der Halle. Während der Sanierung und weil es eine lange Warteliste von Menschen gibt, die gerne ein Atelier in den Hallen hätten oder dort ein Projekt verwirklichen wollen. Nun muss sie weg, weil auf dem Gelände die Einrichtungsfläche für die Baustelle ist. „Das ist schon lange besprochen und klar“, sagen Sylvia Winkler und Robin Bischoff vom Kunstverein, „allerdings fallen auch alle unsere Grünflächen weg.“ Eine werde als Versickerungsfläche gebraucht, die andere überbaut. Da will man noch einmal vorfühlen. Immerhin darf die erste Reihe der Container-City noch bis Ende 2023 bleiben. Der Rest muss bis Ende des Jahres abgebaut werden. Mindestens drei Jahre müssen sie dann warten, bis sie dort den dann geplanten zentralen Platz nutzen können. „Das ist eine lange Zeit“, sagt Winkler, „vieles, was wir aufgebaut haben, reißt dann ab.“ So nutzt man etwa fürs Sommerfest an diesem Wochenende diese Flächen.

Der Bauzug Die Waggons müssen weg, weil dort gebaut wird. 1,5 Stellen sind vom Gemeinderat bereits bewilligt für ein Jahr wegen des Umzugs, die Kosten werden übernommen. Die neue Fläche ist auf Höhe der Gebäude Nordbahnhofstraße 165 und 163 A bis C. Allerdings müssen die erst abgerissen werden. Dies soll im Oktober geschehen. Ironie des Schicksals: Die Bauzug-Künstler waren bereits im Gebäude Nordbahnhofstraße 165 mit diversen Räumen und Ateliers, haben die geräumt, wegen des Abrisses. Elisa Bienzle von Bauzug 3YG: „Wir sind zufrieden mit der Lösung.“ Und ergänzt: „Wir hoffen, dass in Zukunft kulturelle Freiräume von vornerein mitgedacht werden.“

Stadtacker Die grundsätzliche Zusage, dass es weitergehen wird, haben auch die Gärtnerinnen und Gärtner vom Projekt Stadtacker. Doch die neue, recht schmale Heimat der Gemeinschaftsgärten ist noch vollgemüllt mit Bauschutt. Auf der einen Seite ist eine Kleingärtnersiedlung am Rande des Pragfriedhofs, auf der anderen Seite ein noch zu bauender Komplex der künftigen Maker-City, so wird dieser Bauabschnitt genannt. Volker Haefele, der die Öffentlichkeitsarbeit für den Stadtacker macht: „Da harken wir dann direkt vor den Fenster anderer herum.“ Diese jetzt vorgesehene Fläche entspricht nur der Hälfte der bisherigen 4000 Quadratmeter. Doch Haefele übt sich in Zuversicht: „Wir führen Gespräche mit der Stadt, wir suchen nach neuen Flächen.“ 1,5 Personalstellen hat der Gemeinderat auch hier zugesagt.

Fahrräder für Afrika Auf ehrenamtlicher Basis arbeitet der Verein Technik und Solidarität – Fahrräder für Afrika. Konkret heißt das: Da gibt es ein Lager für etwa 300 Fahrräder mit Werkstatt und Sortierbereich. Dort werden Fahrräder gesammelt, instand gesetzt und in einem Container nach Afrika gebracht. „In vielen ländlichen Regionen Afrikas gibt es kaum oder keine öffentlichen Transportmittel“, sagt der Erste Vorsitzende Holger Andris. „Die Leute müssen kilometerweit gehen. Gerade für Kinder sind weite Schulwege eine Belastung.“ Jetzt droht das Aus, da man ausreichende Lagerflächen braucht.

Contain’t Der Verein Contain’t kann flexibel reagieren. Denn es ist ja das Ziel des Vereins, ungenutzte Orte zu entdecken. Sie dürfen bis Ende 2023 in ihrem Containerbau bleiben. „2000 Quadratmeter sollten es künftig schon sein“, so Marco Trotta von Contain’t. Vorschläge gebe es einige, Konkretes aber noch nicht. Immerhin: „Auf den Ämtern kommt man uns mit viel Wohlwollen entgegen.“

Das Sommerfest

Wann, was, warum

Der Kunstverein Wagenhalle feiert am Samstag und Sonntag sein Sommerfest. Am Samstag, 2. Juli, von 14 Uhr an, am Sonntag von 16 Uhr an. Es gibt Workshops, einen Flohmarkt, Experimente, Kindertheater, Ausstellungen, Musik, Tango, Speisen und Getränke.

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7. Juli 2022, Stuttgarter Zeitung

Container City verabschiedet sich mit Sommerfestival

„Mit Liebe feiern, bevor es zu Ende geht“, lautet die Devise für das Sommerfestival in der Container City. Foto: Kunstverein Wagenhalle
„Mit Liebe feiern, bevor es zu Ende geht“, lautet die Devise für das Sommerfestival in der Container City. Foto: Kunstverein Wagenhalle

Im Rahmen der Umgestaltung von S21 und dem neuen Rosensteinquartier muss auch die selbstgestaltete Außenfläche „Container City“ bei den Wagenhallen weichen. Ein letztes Mal wird am 2. und 3. Juli beim Open-Air-Sommerfestival gefeiert.

Die Container City gehört zum Kunstverein Wagenhalle. Eines der Ziele des Vereins ist es Kunst- und Kulturschaffenden einen „günstigen kulturellen Arbeitsraum“ zur Verfügung zu stellen, erzählt Sylvia Winkler, Künstlerin und Mitglied im Vorstand des Kunstvereins. Der Bedarf an Ateliers sei groß, 50 bis 100 Menschen stünden auf der Warteliste. Schaut man auf die Mietpreise in Stuttgart und auch in anderen Städten ist das für die Künstler:innen ein einziger Segen.

Container als Ausweichateliers

2017 markiert den Anfang der Container City. Durch die Sanierung der Wagenhalle mussten Kunst- und Kulturschaffende vorläufig aus ihren Ateliers ausziehen. Als vorübergehende Lösung boten sich die Container an, mit dem Gedanken, es schön zu machen und ein interdisziplinäres Gesamtkunstwerk zu schaffen, erzählt Sylvia.

Nach dem Abschluss der Sanierungen 2020 zogen die meisten Atelierbesitzer:innen wieder zurück in die Wagenhallen. Manche sind interimsmäßig in die Container City nachgezogen, trotz des Wissens, dass dieser Ort nicht für immer bleibt. Bis jetzt konnte der Kunstverein das eine oder andere Wort einlegen und die Freifläche sichern, doch bis zuletzt dominierten die Pläne für die neue Maker-City. „Auch wenn klar war, dass hier ein neues Viertel entstehen wird, verliert Stuttgart dadurch einen einzigartigen Freiraum und Ort der Kunst und Kultur“, so die Künstlerin.

Und dieser Gedanke ist so traurig, dass sie ihn gar nicht an sich heranlassen kann, erzählt sie. Solche Freiflächen wie die Container City sind für Künstler:innen sehr wichtig: „Wir sehen das als essenziell für den Kunstverein, wie er arbeitet und wahrgenommen wird.“ Durch die Außenfläche konnten sich Kunstschaffende ausprobieren, ihre Arbeit weiterentwickeln und experimentieren. So wurden Festivals organisiert und Installationen, Skulpturen sowie architektonische Projekte realisiert.

Der Backstage-Bereich von Stuttgarts Kulturinstitutionen

„Dadurch, dass die Menschen dort arbeiten, leben, sich vernetzen und kooperativ an Projekten arbeiten, entsteht diese besondere Atmosphäre“, sagt Sylvia. „Die Menschen sind mit dem Ort und untereinander stark verbunden – ohne diese Außenfläche wäre das so nicht passiert. Freiräume wie diese sind in Städten extrem rar, vor allem in Stuttgart“, ergänzt sie.

Man könne spüren wie viel Engagement und Herzblut reinfließe, um einen angenehmen Ort für alle zu gestalten. Die dort entstehende Arbeit ragt weit über die Container hinaus. Im Prinzip ist der Ort „eine Werkstatt der ganzen Kulturinstitutionen, quasi Backstage.“ Das, was hier entwickelt wird, sieht man später in Stuttgarter Museen, Clubs, Theatern und Ausstellungen. „Ohne solche Funktionsräume, wäre das Leben in den präsentierenden Institutionen nicht nachhaltig“, so Sylvia.

Darum solle das geliebte und tolle Außengelände am 2. und 3. Juli noch einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und für alle Freunde, Bekannte und Interessierte ein letztes Mal geöffnet werden. „Mit Liebe feiern, bevor es zu Ende geht“, lautet die Devise und dazu hat das Programm einiges zu bieten.

Vielfältiges Programm von Samstag bis Sonntag

Egal ob groß oder klein, das Programm ist „bunt“ und spiegelt alle Sparten wider, die hier vertreten sind. Von Musik über Kunsthandwerk bis hin zu Performances ist alles dabei. Für die Kleinen (und natürlich auch die Großen) gibt’s verschiedene Kreativ-Workshops zum Handwerkeln und selbst ausprobieren sowie Kindertheater. Die Ateliers öffnen ihre Türen zum Reinschnuppern und unterschiedliche Inszenierungen laden zum Zuschauen ein.

Im Projektraum eröffnet die neue Ausstellung „orbit: Sabine Kuehnle & Narges Mohammadi“ und auf dem Marktplatz und der Wiese wird Musik bis spät in den Abend gespielt. Bei lässiger Atmosphäre, guter Musik und vollem Programm kann man hier den ganzen Tag verbringen.

Ein Funken Zuversicht bleibt

Trotz der Enttäuschung über das Ende, gibt es einen Funken Zuversicht: „Die Umgebung verändert sich und wir werden mitwachsen, mit dem Anspruch und der Frage, wie wir uns neu verorten und etwas Neues entstehen lassen können“, so Sylvia.

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20. Juni 2022, LIFT-Das Stuttgart Magazin

Was wird aus dem Kulturschutzgebiet bei den Wagenhallen?

Eigentlich war es schon ein Happy End für das Kunst- und Kulturprojekt Contain’t: Weil die Container City beim Kunstverein Wagenhalle, deren AkteurInnen seit der Kündigung des Mietvertrags nur noch geduldet werden, im Herbst abgebaut werden muss, hatte sich der Gemeinderat für das gemeinnützige Projekt stark gemacht.

Genau wie für die Waggons der benachbarten Ateliergemeinschaft Bauzug 3YG und den Stadtacker wurden für Contain’t Gelder bewilligt, um den Umzug zu finanzieren – alle drei sollen zur Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 schließlich Teil der Maker City sein, dem ers­ten fertiggestellten Areal des neuen Rosensteinviertels.

Bei Contain’t jubelte man über einen Einmalzuschuss von 604.000 Euro und eine Personalkostenförderung. Ein halbes Jahr später gibt es jedoch leider immer noch keinen Interimsstandort – und die Zeit drängt. „Wenn wir innerhalb der nächsten Wochen keine Fläche finden, müssen wir abbauen und einlagern“, sagt Marco Trotta von Contain’t frustriert.

18 Flächen wurden gemeinsam mit der Stadt geprüft, keine stellte sich als geeignet heraus. Selbst abgelehnt hat Contain’t nur drei Stand­orte, alle anderen scheiterten an der Verwaltung und anderen AkteurInnen – und nicht selten am Naturschutz. „Es ist paradox: Für den Stadtacker und die Waggons wurden Lösungen gefunden“, so Trotta. „Dabei suchen wir mit nur 2.000 Quadratmetern nach einer viel kleineren Fläche und sind dank unserer mobilen Räume anpassungsfähig.“

Der Stadtacker hat es bei seinem Umzug jedenfalls nicht weit: Die Gemeinschaftsgärten, die noch bis Mitte 2023 an ihrem Standort bleiben dürfen, rücken einfach näher an den benachbarten Kleingartenverein heran und beziehen in Zukunft einen Streifen am Wegrand. Zwar schrumpft die Fläche von aktuell rund 4.000 Quadratmetern dann beinahe um die Hälfte, trotzdem ist man beim Stadtacker glücklich: „Es gab in den letzten Jahren viele Momente, in denen wir nicht mehr daran geglaubt haben“, sagt Vereinsmitglied Beatrice Zilt. „Natürlich hätten wir uns mehr Platz gewünscht, aber dass unsere neue Fläche kein Interimsstandort sein wird und wir dort bleiben können – das ist großes Kino!“

Nicht nur hier soll der Stadtacker die Maker City prägen. „Der Plan ist, dass wir in das neue Viertel hineindiffundieren und an mehreren Stellen Grünflächen gestalten“, so Zilt.

Für die Waggons der Ateliergemeinschaft Bauzug 3YG, die von ihrem Gelände weichen müssen, steht der neue Standort schon länger fest. Der Umzug war eigentlich für dieses Frühjahr geplant, nun wird die knapp 500 Meter entfernte Fläche aber doch erst Ende Dezember frei. „Zum Glück hat uns die Bahn zugesichert, dass wir so lange bleiben können“, sagt Benjamin Köhl vom Bauzug.

Bleiben dürfen eventuell auch einige Container in der benachbarten Container City – das jedenfalls hofft Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle. Bis Ende Oktober soll eigentlich alles abgeräumt sein, damit im Januar die Artenschutzmaßnahmen beginnen können, die vor Baubeginn der Maker City nötig sind. „Wir sind aber mit der Stadt im Gespräch über einen Teilerhalt“, so Bischoff.

Konkret geht es um den Kunstboulevard, den die erste Containerreihe entlang der Wagenhalle bildet. AkteurInnen wie „Fahrräder für Afrika“ dürften dann zum Beispiel vor Ort bleiben. Das Ziel ist für den Vorsitzenden des Kunstvereins jedenfalls klar: „Wir wollen versuchen, die Atmosphäre der Container City zu erhalten.“

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23. März 2022, KONTEXT: Wochenzeitung

Als Clemens Schneider ein großes Papier brauchte, das auf dem Markt nicht erhältlich war, erfand er selbst ein Verfahren, es herzustellen. Aus Dingen, die andere wegwerfen, schafft der Stuttgarter Künstler neue Werte. In seinen Händen verwandelt sich Lärm in Wohlklang.

Ein 52 Meter langer, drei Meter breiter, hochkant gestellter Bogen aus handgeschöpftem Papier windet sich um den Projektraum des Stuttgarter Kunstvereins Wagenhalle. Das Wort „handgeschöpft“ ist nicht ganz korrekt: Es gibt eine Vorstellung davon, wie das Papier aussieht. Doch ein Sieb dieser Größe in den Papierbrei zu tauchen: Das ist nicht gut möglich. Clemens Schneider hat sein eigenes Verfahren erfunden, als er vor sechs Jahren für eine Zeichnung ein großes Papier brauchte, das auf dem Markt nicht zu finden war.

Der Stuttgarter Künstler Clemens Schneider in seinem Atelier.
Der Stuttgarter Künstler Clemens Schneider in seinem Atelier.

Hadernpapier wäre das richtige Wort dafür. Im Schimpfwort „Haderlump“ – eigentlich eine Verdoppelung, denn Hadern und Lumpen sind dasselbe – ist das Wort noch präsent. So wurden verächtlich die Lumpensammler bezeichnet, die Habenichtse und Taugenichtse, schwäbisch auch „Lumpensäcke“ genannt, die als „fahrendes Volk“ Alt-Textilien für die Papierherstellung sammelten. In früheren Zeiten ein begehrter Rohstoff.

Das Papier im Ausstellungsraum changiert zwischen drei Farbtönen: Zwischen einem hellen und einem dunkleren Blau leuchten je nach Tageszeit, von hinten angestrahlt, helle Flecken hervor. Pulp Painting nennt sich das Verfahren, zu Deutsch auch Zellstoffmalerei: Von Hand nimmt der Künstler den verschiedenfarbigen Papierbrei, die Pulpe, aus der Bütte und verteilt sie auf das Sieb. Schneider hat Blue Jeans verarbeitet, daher kommen die Blautöne.

Ein feines Summen liegt in der Luft. Bei der Papierherstellung hat Schneider Kontaktmikrophone in den Papierbrei gelegt, die mit eingetrocknet sind und nun als Lautsprecher wirken, mit dem Papier als Membran. Das Signal kommt aus einem Apparat, der weiter vorne im Raum an der Wand hängt: der Noise Harp.

Und das kam so: In sein Atelier im Kellergeschoss eines Hinterhofgebäudes im Stuttgarter Leonhardsviertel drang eines Tages der unbeschreibliche Lärm einer Asphaltiermaschine. Schneider beschloss, den Krach in Musik zu verwandeln. Ein kleiner Lautsprecher bedröhnt vier Saiten und versetzt sie in harmonische Schwingungen, die nun in der Wagenhalle den Raum erfüllen. Natürlich lassen sich auch andere Klänge einspeisen, wie es das Duo Noise Bridge, Sopranstimme und Bassklarinette, in einem Konzert getan hat.

Etwas Besonderes ist auch das Ausstellungsplakat. Es besteht aus handgeschöpftem Papier. Eigentlich ist jedes einzelne ein Unikat, das für 35 Euro erworben werden kann. In leuchtend roter Farbe sind die Daten und Details zur Ausstellung angegeben. Doch das Wichtigste tritt erst im Dunkeln hervor, in phosphoreszierenden, grüngelben Großbuchstaben: „Clemens Schneider“, steht da. „The Magic Paper Room“.

Steil geht die Treppe hinab zu Schneiders Atelier im Hinterhof in der Leonhardstraße. Hoch sind die Räume, groß wie eine Vierzimmerwohnung, allerdings unbeheizt. Gleich am Eingang steht der Besucher einer Serie etwa drei mal drei Meter großer Zeichnungen von Abbruchhäusern gegenüber. Wände und Decken sind angeknabbert, rostige Bewehrungseisen stehen in die Luft, an denen dicke Betonbrocken hängen. „Meine Stuttgart-Bilder“, sagt Schneider: angefertigt mit Zeichenkohle auf selbst gefertigtem Papier nach Fotos von Abbruchhäusern aus dem Stadtgebiet.

Schneiders Atelier ist so etwas wie die Antithese dazu. Hier ist nahezu alles recycelt, nichts neu. Eine große Zahl schwarzer Wand-, Steh-, Scheren- und Schreibtischlampen im klassischen Bauhaus-Stil hat er im Osten Deutschlands erworben. Vieles stammt aus Abbruchhäusern: wie die Bar oder das Holz seiner großen Vorrichtung zur Herstellung der XXL-Papierformate, samt der alten Treppe, die auf einen Steg zwischen beiden Walzen hinauf führt.

Oder der Schrank, der an der Wand hängt, in dem viele Gläser mit Farbpulver stehen. Einige der Pigmente sind von weit her, er hat sie auf Reisen erworben. Die Schranktür war ein Fenster in einem Altbau, ein paar Häuser weiter in der Stuttgarter Jakobstraße. Der Bau soll marode gewesen sein. Die rumänischen Arbeiter, die Schneider beim Ausbau geholfen haben, hätten ihm gezeigt, welche Balken tatsächlich marode waren, erzählt Schneider. „Bei uns hätte man nur diese Balken ersetzt und den Rest erhalten“, sollen sie gesagt haben. Innen sei das Haus sehr schön gewesen. Aber es hatte nur wenig vermietbare Fläche.

Handwerklich ausgebildet als Steinbildhauer, hat Schneider an der Stuttgarter Kunstakademie Malerei studiert. Er weiß sich zu helfen. Ein alter Ventilator, bei dem der Motor nicht mehr läuft, kommt für ihn wie gerufen. Er schraubt das Gehäuse auf, sieht dass das Schmierfett verharzt ist, reinigt alles gründlich, fettet es neu, und schon läuft der Elektromotor wieder und der Künstler hat ein Gebläse, um das Papier zu trocknen.

Drei Schritte braucht es, um Lumpen in Papier zu verwandeln. Zuerst werden die Stoffreste in kleine Fetzen geschnitten. Dafür hat Schneider eine Art hölzerne Wanne gebaut, mit einer kleinen Kreissäge. Mit einem Schieber aus Holz – um sich nicht in die Finger zu sägen – schiebt er die Stoffreste im Kreis herum, immer wieder unter dem Sägeblatt durch. Die zweite Maschine heißt Holländer. Es gibt sie seit mehr als 300 Jahren. Schneider hat auch seinen Holländer selbst konstruiert. Eine Messerwalze zermalmt die im Wasser liegenden Stofffetzen zu einem Brei, der Pulpe, aus der dann das Papier geschöpft wird.

Und nun kommt Schneiders eigene Erfindung ins Spiel. In der Bütte trägt er den fertigen Brei in den hintersten Raum seines Ateliers, den der große Apparat fast vollständig ausfüllt. Ein stabiles Windschutznetz, wie es in der Landwirtschaft Verwendung findet, ist nach Aussage des Künstlers so ziemlich das Einzige in seinem Atelier, das er neu erworben hat. Darauf verteilt er von Hand die Pulpe, bis eine vielleicht 50 Zentimeter breite Fläche gänzlich von Faserbrei bedeckt ist.

Das Wasser läuft ab, und der Künstler zieht das Netz mit einer Kurbel ein Stück weiter. Nun klebt der Brei an dem senkrecht herabhängenden Netz, wird weiter oben von den Ventilatoren getrocknet und dann auf eine Walze gewickelt. Wenn er glattes Papier will, gibt es eine zweite Walze, über die er die noch feuchte Masse hängt und sie glatt streicht.

Kunst ist ein Prozess. Alles entwickelt sich ständig weiter. Vor ungefähr sechs Jahren hat Schneider mit Hilfe des Kulturamts sein jetziges Atelier gefunden. Sein altes an der Paulinenbrücke war für die Papierherstellung zu klein. Nicht nur die Maschinen hat er selbst gebaut. Er entwickelt immer wieder neue Ideen und Verfahren. So schneidet er, um räumliche Wirkungen zu erzielen wie in der Zentralperspektive der Renaissance, zwei verschiedenfarbige Papiere in trapezförmige Stücke, die er so zusammensetzt, dass sich ein nach hinten verjüngendes Schachbrettmuster ergibt.

Aus Lumpen, Abfall, entsteht kostbares Büttenpapier: So benannt nach dem Zuber, aus dem der Papierbrei geschöpft wird. Schneider gehört zu den wenigen Künstlern, die von ihrer Kunst leben können. Es passt alles zusammen: Der Ort seines Ateliers, im einzigen fast vollständig erhaltenen Stuttgarter Altstadtviertel, hinter der früheren Weinstube Widmer, der alten Künstlerkneipe; das Recycling, die Wiederverwertung alter Materialien und Geräte; die Thematik seiner Bilder, die sich der Wegwerfgesellschaft entgegensetzen.

Schneider hat nur eine Sorge: Dass auch im Leonhardsviertel ein Gentrifizierungsprozess einsetzen könnte, der die heutigen Nutzer vertreibt. Er meint nicht die Bordellbesitzer, sondern die Anwohner, die Kneipiers, alle, die wie er hier noch Räumlichkeiten gefunden haben, die sie sich leisten können.

In sein Atelier, unter der Erde im Hinterhof, dringt nicht nur der Lärm der Asphaltiermaschine, sondern auch sonst alles, was im Quartier rumort: Auch die Befürchtungen, die das Beteiligungsverfahren in der Leonhardsvorstadt zur Internationale Bauausstellung 2027 auslöst – ob sie berechtigt sind oder nicht, wird von der Stadt abhängen. Das Gebäude, in dem nun der Puffbesitzer sein Katz-und-Maus-Spiel treibt, hat die Stadt ihm selbst 2009 verkauft. Das Haus mit Schneiders Atelier hat die Stadt ebenfalls verkauft, an die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG. In diesem Jahr will die SWSG wieder einmal ihre Mieten erhöhen, im Gemeinderat ist das heftig umstritten. Auch dies ist ein Stoff, der Clemens Schneider beschäftigt. Der, wenn sich die Gelegenheit ergibt, auch in seine Bilder einfließt. Wie im Fall der Abbruchhäuser.

Wer den Künstler in seinem Atelier besucht, sollte ein wenig Zeit mitbringen. Sonst kann es sein, dass ihm einiges entgeht. Wenn alles gut geht, könnte es hier bald auch wieder Ausstellungen und Vernissagen geben. Stoff für neue Geschichten.

Hier der ganze Artikel.

21. März 2022, Stuttgarter Zeitung

Eine Welle aus Papier umfängt den Besucher, schließt ihn fast ein, und singt. Der Stuttgarter Künstler Clemens Schneider hat den Projektraum des Kunstvereins Wagenhalle verwandelt – in den „Magic Room“ seiner Ausstellung.

Eine Welle aus Papier umfängt den Besucher, schließt ihn fast ein, und singt. Der Stuttgarter Künstler Clemens Schneider hat den Projektraum des Kunstvereins Wagenhalle verwandelt – in den „Magic Room“ seiner Ausstellung. Lediglich zwei Exponate umfasst diese Ausstellung – das eine von eher konventionellem Format, das andere monumental, aber hauchdünn.

Schneider, geboren 1974 in Stuttgart, beschäftigte sich ursprünglich nur mit Zeichnung und Malerei – bis er eine Zeichnung ausführen wollte im Format von drei auf vier Metern. Nirgendwo fand er Papier in diesem Format. Also baute Schneider in seinem Atelier in der Leonhardstraße eine Vorrichtung zum Papierschöpfen. Dabei griff er fast ausschließlich auf gebrauchte Materialien zurück. Seither wurde Recycling zu einem Thema in seiner Arbeit. Ein Thema, das nun, spielerisch verhandelt, in „The Magic Room“ seinen vorläufigen Höhepunkt findet.

Aus Weißwäsche und Jeans

Hier betreibt Clemens Schneider erstmals auch das Recycling von Klang, von „Noise“, vom Lärm des Straßenverkehrs in der Stadt. Schneider baute, wiederum vorwiegend aus Restmaterialien, sogenannte Noise-Harps: Stahlsaiten, versehen mit empfindlichen Tonabnehmern, die Lärm in ein hypnotisch schönes Summen verwandeln. In der großen Papierbahn, die Clemens Schneider in die Wagenhalle gehängt hat, drei auf 52 Meter groß, handgeschöpft in langwierigem Prozess, finden sich unzählige elektronische Bauelemente, die den eingefangenen Klang verwandelt freisetzen. Die Bahn selbst besteht aus sogenanntem Hadernpapier, hergestellt aus Kleidungsresten, denen sie ihre spezifische Färbung verdankt: Zehn Kilogramm Weißwäsche und zehn Kilogramm Jeans ergeben eine Textur, durch die sich blaue Schlieren ziehen, die der Künstler mit den Gesten freier Malerei durchsetzt hat.

Das kleinere der beiden Werke, die Schneider für die Schau schuf, ist auf die gleiche Weise entstanden, klingt jedoch anders. Ihm entströmt die abstrakte Musik des Stuttgarter Duos Noise-Bridge, das aus dem deutschen Klarinettisten Felix Behringer und der US-amerikanischen Sopranistin Christie Finn besteht: Aufnahmen von reißendem Papier und Finns Gesang geben diesem Bild eine lebendige, faszinierende Präsenz.

The Magic Paper Room. Bis 27. März im Projektraum des Kunstvereins Wagenhalle.

Hier der ganze Artikel.

31. Januar 2022, SWR2

https://www.swr.de/swr2/buehne/die-seherinnen-im-projektraum-kunstverein-wagenhalle-104.html

Was haben die mythische Seherin Kassandra, ein FBI-Agent und ein Anthropologe gemeinsam? Sie versuchen Menschen zu lesen – anhand ihrer nonverbalen Kommunikation. Die Choreografin Juliette Villemin hat alles recherchiert, was es zu diesem Thema gibt. Ihr Projekt: „Die Seherinnen – eine Tanzperformance“ geht unserer Körpersprache auf den Grund. Der Anlass: Corona – was sonst…? Die Pandemie verändert alles und damit natürlich auch unsere Kommunikation. Wahrscheinlich aber nicht bei jedem gleichermaßen.

Die gebürtige Spanierin Juliette Villemin hat 16 in jeder Hinsicht unterschiedliche Menschen in Stuttgart zu ihrer Lebenssituation befragt. Aus diesem Interview-Material – ohne Ton, allein aufgrund der Gestik!!!! – hat sie gemeinsam mit ihrem Team ein neues experimentelles Tanzvokabular erarbeitet. Mit dabei: Vier Tänzer und Tänzerinnen, eine bildende Künstlerin, eine Komponistin und ein Dramaturg.

Kunscht! war bei den Endproben im Projektraum der Wagenhallen dabei – und versucht einige Fragen zu klären: Machen uns Videokonferenzen zu Schauspieler*innen? Wie kommunizieren wir ohne Berührung, mit Maske und räumlicher Distanz? Und wie macht man aus nonverbalen Interviews ein abendfüllendes Tanztheaterstück? Premiere ist am 27.1.2022.

aus der Sendung vom Do., 27.1.2022 22:45 Uhr, Kunscht!, SWR Fernsehen

Hier der ganze Beitrag.

18. Oktober 2021, Deutschlandfunk Kultur

Thorsten Schütte im Gespräch mit Mathias Mauersberger

Viel Kreativität, viel Unterdrückung: Musiker in Namibia 1987. (John Liebenberg)
Viel Kreativität, viel Unterdrückung: Musiker in Namibia 1987. (John Liebenberg)

Über Namibias Popmusik zwischen 1950 und 1980 wissen wir hierzulande: nichts. Systematisch wurden schwarze Bands durch das Apartheidsregime an Auftritten gehindert. Eine Ausstellung in Stuttgart zeigt nun, dass trotzdem jede Menge Musik gemacht wurde.

Es muss eine Offenbarung gewesen sein: Sechs Jahre lang haben internationale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen akribisch geforscht, Musikarchive durchstöbert und nach alten Aufnahmen namibischer Bands aus den 1950er- bis 1980er-Jahren gefahndet. Es sind Bands, die offiziell ihre Musik nie veröffentlichen durften.

Die Forscher wurden fündig, und die Ergebnisse sind jetzt in der Ausstellung „Stolen Moments. Namibian Music History Untold“ im Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart zu sehen und zu hören.

Ihre Bühne waren die Townships

Die „untold history“ bezieht sich etwa auf Bands wie The Ugly Creatures oder Children of Pluto, die wegen der durch das südafrikanische Apartheid-Regime auch in Namibia verfügten Rassentrennung nicht öffentlich auftreten oder Alben produzieren durften.

Die Heimat dieser Bands waren die Townships. Die Ausstellung erzählt von Zensur und Unterdrückung, feiert aber auch die Wiederentdeckung, wie der Filmemacher Thorsten Schütte, künstlerischer Leiter der Schau, sagt.

„Die Musik wurde nie kommerziell verwertet, sondern nur auf Tonband oder auch Vinyl gepresst und nur für den Eigengebrauch“, sagt Schütte. „Die Musiker haben dafür auch nie Geld gesehen, geschweige denn Tantiemen.“

Der namibische Rundfunk sei vom südafrikanischen Apartheidsregime kontrolliert worden – schon mit Worten wie „Freiheit“ in Songtexten hätten Musikerinnen und Musiker sich verdächtig gemacht.

Vor ein paar Jahren wurde Schütte im namibischen Rundfunk zu seinem neuen Film interviewt. „Ich hörte im Nachbarstudio Musik, die mir sehr gefiel“, erinnert er sich.

Seine Neugier war geweckt. „Im Archiv, zu dem man mir Zugang gewährte, stieß ich dann auf jede Menge Schallplatten und Tonbänder, die allerdings nur sehr spärlich beschriftet waren, weiße Hüllen, keine Albumcover.“

Ein Musiker als Busfahrer

Einer der Künstler war Ben Molazi, der zu der Zeit als Busfahrer seinen Lebensunterhalt verdiente. Schütte nahm Kontakt zu ihm auf und ließ sich seine Geschichte erzählen.

Tanzhalle in Namibia: Die Bühne der schwarzen Bands waren die Townships. (Stephan Zaubitzer / Hans Lucas)
Tanzhalle in Namibia: Die Bühne der schwarzen Bands waren die Townships. (Stephan Zaubitzer / Hans Lucas)

Ben Molazi hat die Ausstellung nicht mehr erlebt, er starb kurz vor der Eröffnung. Doch im Rahmen der Arbeit für die Schau sei es gelungen, seine Musik auf einem Album zu veröffentlichen, berichtet Schütte.

Ab dem kommenden Jahr soll die Ausstellung dauerhaft in Namibia gezeigt werden. „Damit ist sie dann erstmals auch dem namibischen Publikum im großen Stil zugänglich. Und wir glauben, dass das dann noch mal einen ganz anderen Schub bekommt in der namibischen Bevölkerung. Und hoffen, weitere Tonträger veröffentlichen zu können.“

Die Ausstellung ist noch bis zum 21. November 2021 im Projektraum Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart zu sehen.

Hier gehts zum Presseartikel auf Deutschlandfunk Kultur

14. Oktober 2021, TAZ

Die Ausstellung „Stolen Moments. Namibian Music History Untold“ in Stuttgart rückt die unterdrückten Facetten einer Musik ins Licht, die sich gegen Kolonialismus und Apartheid behaupten musste

„Bitter and sweet“ sei die Ausstellung „Stolen Moments. Namibian Music History Untold“, sagte der namibische Botschafter Martin Andjaba in seiner Rede bei der Vernissage im Stuttgarter Kunstverein Wagenhalle am Montag. Sie zeige die unterdrückten Facetten einer Musikkultur, bringe aber gleichzeitig ins Bewusstsein, dass die Menschen trotz Apartheidstaat Momente der Selbstbehauptung erleben konnten, zum Feiern zusammenkamen, zum Musizieren und zum Tanzen. Die Ausstellung rette, meint Andjaba außerdem, diejenigen vor dem Vergessen, die unter den Bedingungen der Apartheid eine namibische Popkultur geformt haben.

Die Geschichte Namibias ist durchzogen von solchen „gestohlenen Momenten“, etwa einer eigenen musikalischen Sprache. Schon die deutschen Kolonisatoren, die ab 1884 „Deutsch-Südwestafrika“ besiedelten, hatten wenig Interesse an der Kultur der unterschiedlichen Volksgruppen des Landes; mit dem Völkermord an den Herero und den Nama ab 1904 wurden auch deren kulturellen Traditionen zerschlagen.

Stattdessen brachten die deutschen Siedler – etwa 12.000 waren es bei einer Gesamtbevölkerung von 200.000 im Jahr 1913 – ihre eigenen Kulturformen mit ins Land, von Schwarzwälder Kirschtorte bis zu Blasmusik. Mit dem Ende der deutschen Kolonie 1915 endete jedoch nicht die Zeit der Fremdbestimmung: 1919 erteilte der Völkerbund an Südafrika ein Mandat zur Verwaltung des Landes, woraufhin die dortigen Apartheidgesetze nach und nach auch im heutigen Namibia umgesetzt wurden.

Insbesondere der „Population Registration Act“ von 1950 organisierte im Alltag die räumliche Trennung zwischen Weißen und den als „Black“ kategorisierten Menschen, die in sogenannten Homelands angesiedelt wurden. Hier setzt die Ausstellung zeitlich an, die von der „Stolen Moments Research Group“ um die namibische Kuratorin Aino Moongo und den Filmemacher Thorsten Schütte als eine „erinnerungsarchäologische Spurensuche“ konzipiert worden ist. Sie geht dabei weniger didaktisch vor, sondern stellt vielmehr Material zur eigenen Interpretation bereit: Bildmaterial von Fotos über Zeitungsausschnitte bis zur Kunst auf Schallplatten­covern sowie Hunderte digitalisierte Songs an Hörstationen.

„Stolen Moments“ fragt nach dem Verhältnis von Politik und Popkultur, nach der Kultur als Speicher gesellschaftlicher Entwicklungen. Denn in den Homelands entwickelte sich vor der Folie der Traditionen von Nama, Herero, San oder Damara eine eigene musikalische Kultur, angereichet durch Folk- und Blueselemente, Bebop und Jazz. Aus regelmäßigen Tanzabenden und Konzerten in den 1950ern entstand in den Augen der Machthaber ein Widerstandspotenzial, das sie dazu veranlasste, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wiederum in separaten Gebieten anzusiedeln. Doch trotz aller Zensurmaßnahmen, gewaltsamen Umsiedlungen und Verbote konnte nicht verhindert werden, dass sich die Popkultur Wege suchte, weiter die Menschen zu erreichen.

Oftmals auch ungewollt vorbereitet wurde dies durch die weiße Gesellschaft, die schwarze Musiker als Hotelbands, für Hochzeiten und andere Feste engagierte und ihnen dabei westliche Popkultur nahebrachte: „Ich erinnere mich, dass wir die Beatles gespielt haben, ‚With a Little Help From My Friends‘ und ‚Here Comes the Sun‘“, erzählt Tony Figueira in einem 2015 für die Ausstellung geführten Interview. Baby Doeseb, Drummer der Ugly Crea­tures, ergänzt: „Wir wurden oft auch von Afrikaans sprechenden Weißen gebucht. Sie ließen uns in Hotels auftreten und gaben uns im Voraus ihre Lieblingsplatten, damit wir ihre Musik lernen konnten.“

Auch stellte das Regime Strukturen zur Verfügung, die sich die Schwarzen angeeignet haben: Ende der 1960er wurden Radioprogramme lanciert, die in unterschiedlichen Landessprachen der Schwarzen Bevölkerung das Gefühl von Beteiligung geben sollten, aber vornehmlich das Ziel hatten, sie ruhigzustellen. Ruhig waren sie allerdings keineswegs: Im Archiv der staatlichen Radioanstalt fanden die Kuratoren ungezählte Stunden Musik, die seit den Sechzigern vornehmlich auf Tonbändern aufgenommen worden war. Das musikalische Spektrum reicht von traditionellen Melodien, die mit Rock, Funk und Pop fusioniert wurden, über Singer/Songwriter-Folk bis hin zu krautigen Drums oder souligen Balladen.

Children of Pluto nannten sie sich, an den Afrofuturismus-Zeitgeist eines Sun Ra anschließend, und The Dead Wood oder Rocking Kwela Boys. The Ugly Creatures, mit ihrem funkigen Rock die bekannteste Band Namibias in den 1970ern, singen in ihrem Song „Exit for the Artist exists“: „Wie ich mich als Künstler ausdrücke, ist nur ein kleiner Teil dessen, wie ich mich fühle.“ Die Musik ist das eine, daneben steht die reale Erfahrung im Alltag, ein Mensch zweiter Klasse zu sein, nicht von der Musik leben zu können und der Willkür des Staats ausgesetzt zu sein.

Die Ausstellung macht diese Leerstellen deutlich: Musiker, die keine sein durften, die ins Exil gingen oder die Instrumente an den Nagel hängten; Tonbandaufnahmen, die über Jahrzehnte in Archiven schlummerten, und von den Machthabern zerkratzte Schallplatten, weil diese Momente der Selbstbehauptung ihnen zu heikel geworden waren.

„Stolen Moments“ bringt diese Leerstellen zurück ins Bewusstsein, ergänzt um das, was war, was gewesen sein könnte, und um das, was verloren ist: Musik aus dem Radioarchiv wurde digitalisiert und zugänglich gemacht, Künstler der Gegenwart haben Plattencover für die nie erschienenen Alben entworfen, und Fotografen haben sich auf die Suche nach den ehemaligen Orten der Subkultur begeben. Sie haben die Gemeindesäle, Gemeindezentren und Bars fotografiert, die heute verlassen und nur noch stumme Zeugen einer ehemals lebendigen Kultur sind.

Aus den vielen Stimmen und Songs, die in der Ausstellung zusammengetragen wurden, formt sich das Bild einer verlorenen Welt, das gleichzeitig deutlich macht, welche Kraft in Popkultur stecken kann: die Utopie einer besseren Welt, einer Welt, in der Blut und Boden, Hautfarbe und Zuschreibung keine Rolle mehr spielen. Die Ausstellung macht sich von Stuttgart aus übrigens auf den Weg zurück nach Namibia; die gestohlenen Momente kehren heim.

Doch Zensur, gewaltsame Umsiedlungen und Verbote konnten nicht verhindern, dass sich die Popkultur Wege suchte, die Menschen zu erreichen

30. September 2021, Stuttgarter Nachrichten

Riesen-Marionette läuft 8000 Kilometer weit

Ihre lange Reise führt das übergroße Marionetten-Mädchen Amal auch nach Stuttgart. Ihr Freund Dundu wird sie an diesem Freitag vor dem Stuttgarter Kunstverein Wagenhalle begrüßen.

Stuttgart – Der Name Amal bedeutet Hoffnung. Und hoffend begeben sich Jahr für Jahr Tausende Menschen auf die Suche nach einer neuen, sicheren Heimat. So tut es auch das Flüchtlingskind Amal. Das neunjährige, dreieinhalb Meter große Marionetten-Mädchen ist auf der Suche nach seiner Mutter und hat bereits einige Länder hinter sich gelassen. Seit Juli ist Amal auf dem Weg von Syrien nach Manchester. Drei Tage wird sie auch auf deutschem Boden rasten.

Über Grenzen, Politik, Sprache hinweg

An diesem Freitag, 1. Oktober, führt sie ihr „Walk“ nach Stuttgart, wo sie in zwei Performances um 17 und 20 Uhr im Kulturschutzgebiet im Stuttgarter Norden, vor dem Kunstverein Wagenhalle, auf den sanften Riesen Dundu trifft, der sie empfängt.

Dundu-Mitbegründer Stefan Charisius und Beatbox-Talent Robeat begleiten das Ganze musikalisch. Beide Figuren sind von ihrer Statur her einzigartig und machen Kunst auf eine ganz besondere Art und Weise erlebbar. „Unsere von Tobias Husemann gebaute Lichtgestalt bedeutet Du und Du. Dahinter steht die Aufgabe, in einen kulturellen Austausch zu treten. Fremde sollen aufeinandertreffen, sich begegnen, und das macht Dundu spielerisch möglich“, sagt Dundu-Geschäftsführer Fabian Seewald. Zum einen ist „The Walk“, vom Londoner Good Chance Theatre produziert, ein wanderndes Kunstfestival und mit mehr als 120 Aufführungen sowie künstlerischen Begegnungen geplant, zum anderen soll das Thema Flüchtlinge hierbei mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. „The Walk“ ist eine kulturelle Odyssee über Grenzen, Politik und Sprache hinweg, um eine Geschichte gemeinsamer Menschlichkeit zu erzählen. Die Millionen vertriebenen Kinder sollen nicht vergessen werden, die während der Pandemie verwundbarer sind denn je.

 

Sie floh vor Feuer und traf den Papst

Das Festival startete im Juli 2021 an der türkischen Grenze. Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich, Schweiz, Deutschland, Belgien und Großbritannien. Ganze 8000 Kilometer legt Amal zurück, und nächsten Monat, im November, wird sie dann in Manchester ankommen. Sie hat bereits viel gesehen. In Griechenland und der Türkei musste Amal vor den Bränden fliehen, in Rom traf sie Papst Franziskus und reiste anschließend mit einem Boot weiter in Richtung Marseille. Das Zusammentreffen in Stuttgart soll nun Dundus Licht der Hoffnung an Amal und die Festivalbesucher vor Ort weitergeben, die sie zu Fuß begleiten können.

Hier gehts zum Artikel.

27. Juli 2021, DW.com

A giant puppet of a young refugee girl is part of "The Walk," an art initiative that will travel 8,000 kilometers in support of refugees. It will also stop in Germany.

Amal at an earlier press conference in London: She will return to the British capital at the end of her three-month trip
Amal at an earlier press conference in London: She will return to the British capital at the end of her three-month trip

Little Amal has a long journey ahead of her. She is set to travel 8,000 kilometers (around 5,000 miles) from the Turkish-Syrian border to Manchester in the United Kingdom. She is looking for her mother, who set out in search of some food and never returned.

Little Amal, however, is a no ordinary girl: She is a 3.5-meter-tall (nearly 12-foot-tall) puppet, and the central and sole character of a theater project called „The Walk,“ which kicks off on July 27, 2021, in Gaziantep, Turkey, near the Syrian border. Over the next two months, Amal — Arabic for „hope“ — will travel through eight European countries, including Germany.

Through this project, the British Good Chance theater company aims to draw attention to all displaced children, many separated from their families, whose plight has been overshadowed by the COVID pandemic.

Little Amal’s ambitious trek embodies an urgent message: „Don’t forget about us.“

A unique art initiative

„It’s precisely because the world is now looking at other issues that it’s so important to bring the refugee crisis back into focus,“ stresses Amir Nizar Zuabi, the initiative’s artistic director. He says the goal is to highlight „the potential of refugees“ rather than just their „dire circumstances.“

On its website, the initiative calls the art action „one of the most innovative and adventurous public art works ever undertaken,“ with the puppeteers including former refugees.

Amal's German itinerary

Amal will arrive in Germany after traveling through Izmir, Rome, Marseille, Geneva and Strasbourg. From October 1-3, 2021, she will stay in Stuttgart, Cologne and Recklinghausen.

All along „The Walk,“ communities will welcome Little Amal with cultural programs staged by local artists.

Amal's arrival in different countries will be greeted by local cultural activities
Amal's arrival in different countries will be greeted by local cultural activities

In Stuttgart for example, one of the German strongholds of large-scale puppetry, the puppeteers of Dundu will represent her dreams with their own 5-meter-tall puppets, Dundu’s Fabian Seewald told DW.

Seewald emphasizes the ambitiousness of „The Walk.“ It is unique, he says, to put on such a performance under pandemic conditions across eight national borders.

The Stuttgart puppet theater company Dundu is specialized in large illuminated figures
The Stuttgart puppet theater company Dundu is specialized in large illuminated figures

In Cologne, the ArtAsyl association will organize a meeting between Amal and older people who have also experienced war, and in Recklinghausen, a „Welcome Street“ will be paved for Amal by local residents and the Ruhrfestspiele Recklinghausen.

She will then continue with her travels to Antwerp, Brussels, Paris, London and finally Manchester in the UK.

Four puppeteers serve Little Amal

The larger-than-life puppet was built by the renowned South African Handspring Puppet Company. The company’s founders, Basil Jones and Adrian Kohler even came out of retirement to create it. „The refugee story is the big issue of our time,“ says Kohler on „The Walk“ website.

„At a time when theaters are still struggling to reopen their doors, a public art event like this can bring people back together.“

It takes a total of four puppeteers to animate Little Amal: one for each arm, one for her back, and one actor inside her body, walking on stilts. The latter also operates „the harp,“ a complex system of strings that control the puppet’s facial expressions.

Four puppeteers - including one inside her frame - animate Amal's movements and gestures
Four puppeteers - including one inside her frame - animate Amal's movements and gestures

Art brings people together

The Good Chance theater company was founded in 2015 in the refugee camp in Calais, which was then known as „The Jungle.“ Their first play, also called „The Jungle,“ was met with critical acclaim in London’s most important theaters and in the West End.

Time and again, the artists involved emphasize that the goal is to help people connect. „Since our inception, we have emphasized the great importance of art in humanitarian crises,“ writes Naomi Webb, Good Chance’s executive director on its website. „Art has the disarming ability to bring people together and tell human stories.“

Seewald agrees. „With Dundu, for example, we also performed in Tahrir Square in Cairo in 2013. There, with our large puppets, we created a situation of shared childlike wonder that momentarily bridged the differences among people and the borders in their minds and made it possible to experience what they have in common.“

The special thing about large puppets like Little Amal is that they require several animators. „Many forces have to work together to make something happen.“

„The greatest ‚aha‘ moment occurs when you give people the opportunity to lead the puppet themselves. Then they create something together. That’s the magic of puppetry: bringing things to life together,“ says Seewald.

This article has been adapted from German by Brenda Haas.

Hier gehts zum Artikel.

15. Juli 2021, Stuttgarter Zeitung

Die Planer des neuen Stadtquartiers konkretisierten in der Sitzung des Bezirksbeirats ihre Vorstellungen für das neue Quartier auf dem Rosensteinareal.

S-Nord – Die Maker City auf dem Rosenstein-Areal soll weitgehend autofrei werden. „Aber wie soll das gehen, falls dort die Interimsoper, die 1200 Mitarbeiter hat, errichtet wird“, wollte Bezirksbeirätin Aynur Karliki (die Fraktion) in der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirats Stuttgart-Nord wissen. Und ihr Kollege Ralph Wöhrle (Grüne) vertrat die Ansicht, dass es auf dem Areal auch „erlebbares Wasser“ geben sollte.

Die ASP-Architekten, die den Wettbewerb für die Entwicklung des Quartiers gewonnen haben, stellten gemeinsam mit dem Amt für Stadtplanung und Wohnen die Weiterentwicklung des Teilgebiets C 1, der Maker City, vor. Ihre Antwort auf die Frage von Aynur Karliki: Geplant sei kein autofreies, sondern ein autoarmes Quartier mit insgesamt rund 500 Stellplätzen für Bewohner und Gewerbetreibende. Wer im Quartier leben wolle, wisse, dass er sich auf das Mieten von Autos einstellen müsse. Das Thema „erlebbares Wasser“ halten die Planer für problematisch: Vorgesehen sei lediglich eine Mulde mit Wasser.

Zu den wesentlichen Punkten der Planung gehört es, den Verkehr im Quartier zu reduzieren und ihn bereits vor dem Quartier abzufangen. Außerdem soll der Artenschutz gewährt sowie Ausweichflächen für den Verein Stadtacker und die Ateliergemeinschaft Bauzug 3YG zur Verfügung gestellt werden. Der Verein Stadtacker soll 2024 in den südlichen Bereich des Areals Richtung Pragfriedhof ziehen und dort dauerhaft bleiben. Auch wird es Raum für Spiel, Sport und Bewegung geben. Entstehen soll ein „produktives Kreativquartier“, dessen Anker die Wagenhallen mit ihren Künstlern sind. Das Quartier, als dessen Mitte der Wagenhallenplatz geplant ist, soll 70 Prozent neue Wohnformen und 30 Prozent Produktion und Gewerbe bieten. „Es soll ein Quartier der kurzen Wege entstehen, das von der Durchmischung lebt. Erd- und Dachgeschosse können eventuell für Kunst und Kultur genutzt werden“, sagte ASP-Architekt Cem Arat und stellte fest, dass eine große Herausforderung für die Planer das Zeitfenster ist: Denn die Maker City ist auch ein Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027. Bis dahin muss sie fertig sein.

Auf der gesamten Fläche gibt es 300 Bäume. 150 sollen gefällt und durch 400 neue Bäume ersetzt werden. Die imposante Weide auf dem derzeitigen Gelände des Vereins Stadtacker ist Opfer des vergangenen Sturms geworden. Das Zugeständnis an Ralph Wöhrles Forderung nach erlebbarem Wasser: Es soll geprüft werden, ob sich der Wegfall der Weide auf dem Stadtacker durch Wasser kompensieren lässt.

Beete und Gewächshäuser des Stadtackers werden Richtung Pragfriedhof verlegt
Beete und Gewächshäuser des Stadtackers werden Richtung Pragfriedhof verlegt

14. Juli 2021, Stuttgarter Zeitung

Rund um die sanierten Wagenhallen haben Künstler eine Heimat gefunden. Die Nutzer drängen darauf, „den einzigartigen Ort der Kunst und Kultur“ zu erhalten. Nun hat sich die Stadtverwaltung zu diesem und vielen weiteren Themen aus dem Bürgerhaushalt geäußert.

Das als Ausweichquartier während der Sanierung der Wagenhallen gedachte Containerdorf wird nicht bleiben können. Derzeit sucht die Stadtverwaltung nach Alternativen, um den Künstlern eine neue Bleibe zur Verfügung zu stellen.
Das als Ausweichquartier während der Sanierung der Wagenhallen gedachte Containerdorf wird nicht bleiben können. Derzeit sucht die Stadtverwaltung nach Alternativen, um den Künstlern eine neue Bleibe zur Verfügung zu stellen.

Der sechste Stuttgarter Bürgerhaushalt biegt auf die Zielgerade ein. Am Donnerstag, 15. Juli, nehmen die Stadträte in der Sitzung des Gemeinderats Kenntnis von den Stellungnahmen der Stadtverwaltung und der Bezirksbeiräte zu den Top 100 Vorschlägen. In dieser Liste tauchen übrigens mindestens zwei Wünsche aus jedem der insgesamt 23 Stadtbezirke auf.

Die Fachämter und Eigenbetriebe der Stadt haben in den vergangenen Tagen unter anderem geprüft, wie die Ideen im Hinblick auf die Machbarkeit und die finanziellen Folgen zu beurteilen sind. In den nächsten Tagen wird unsere Redaktion einige Vorschläge samt Stellungnahmen vorstellen.

Verwaltung sucht nach einer Lösung für die Künstler

Am Ende der Bewertung, zu der alle Stuttgarter aufgerufen waren, landete von den insgesamt 2156 Vorschlägen im Bürgerhaushalt der Wunsch nach dem „Erhalt der Waggons am Nordbahnhof“ ganz vorne. Denn: nach 22 Jahren könnten die Waggons bald weichen müssen (wir berichteten). Derzeit arbeiten dort 18 Künstlerinnen und Künstler. „Wir haben im Februar dieses Jahres überraschend die Kündigung von der Deutschen Bahn erhalten, von der das Gelände nach wie vor gemietet wird. Unser Atelierhaus und das Gelände der Waggons sollen geräumt und an die Stadt übergeben werden“, berichtete Schauspielerin und Theaterpädagogin Gwendolin Stisser aus der Künstlergemeinschaft unserer Zeitung. Im Herbst soll voraussichtlich das Atelierhaus abgerissen werden.

Die Stadtverwaltung äußert sich zum dem Thema wie folgt: Man habe gemeinsam mit der Künstlergemeinschaft ein Ziel, nämlich mögliche Standortoptionen auszuloten. Es würden derzeit zwei Prüfszenarien untersucht: der Verbleib der zehn Eisenbahnwaggons am aktuellen Standort. Und die Verlagerung der Ateliergemeinschaft „Bauzug 3YG“. „Der Parkplatz Nordbahnhofstraße 161 könnte der Ateliergemeinschaft als Ersatz für das Versorgungsgebäude, das von der DB abgebrochen wird, zur Zwischennutzung (Sanitär- und Lagerflächen) verpachtet werden.“ Nun sollen für alle Optionen Baugesuchspläne eingereicht werden, um zu schauen, was möglich ist.

Auf Platz zwei im Bürgerhaushalt landete der „Erhalt des Kulturschutzgebiets Wagenhalle“. Es habe sich in den vergangenen Jahren zu einem kreativen und lebendigen Ort für innovative Kultur in Stuttgart entwickelt, heißt es im Vorschlag. Die Außenflächen rund um die sanierte Wagenhalle mit der Atelier-Wiese und der Container-City seien ein wichtiger Ort für die Kunstproduktion, für Festivals, Veranstaltungen und ein beliebter Treffpunkt der Stadtgesellschaft. Vieles werde sich dort in den nächsten Jahren verändern: Die Planungen für das zukünftige Rosensteinviertel würden rund um die Wagenhalle eine Maker City für Arbeit, Wohnen, Forschung, Produktion und Kultur vorsehen. Bei der Internationalen Bauausstellung IBA´27 habe der Kunstverein ein Projekt eingereicht, das Vorfeld der Wagenhalle für ein temporäres Architektur-Kunst-Festival zu nutzen. „Die aktuellen Planungen der Stadt Stuttgart und der Internationalen Bauausstellung jedoch zeigen, dass die schnelle Bebauung des Kulturschutzgebiets vor den Erhalt und die Weiterentwicklung der lebendigen Fläche geht. Es besteht die Gefahr, dass Stuttgart einen einzigartigen Ort der Kunst und Kultur verliert!“ , heißt es im Vorschlag aus dem Bürgerhaushalt.

Das Alte Reitstadion kommt als Interim nicht in Frage

Die Stadtverwaltung stellt hierzu klar, dass ihr die freie Kunstszene vor Ort sehr wichtig ist, „als Inkubator oder Brutstätte kreativer Milieus nehmen sie bereits eine besondere Rolle in der Stadt ein“. Man sei seit Januar in intensiven Gesprächen mit allen Nutzergruppen. Allerdings sei klar, dass die Verlagerung der Künstler auf andere Flächen erst einmal notwendig werde. Denn: „die Fläche der Container-City wurde zeitlich befristet (bis Oktober 2021) als Ersatz für die Dauer der Sanierung der Wagenhallen von der Stadt zur Verfügung gestellt“. Grundlage der Vereinbarung sei gewesen, dass die Nutzer des Platzes nach der Sanierung der Wagenhallen wieder in die Ateliers der Halle einziehen; „leider erfolgte hier ein Nachzug von neuen Nutzern auf die freizumachenden Flächen“. Diese werden allerdings im Zuge der Baumaßnahmen zur Maker City benötigt und müssen zwingend geräumt werden.

Die Stadtverwaltung habe nun vorgeschlagen, dass für einen Interimszeitraum von mindestens fünf Jahren eine Fläche an der Nordbahnhofstraße für die Künstler gepachtet werden könnte, sobald die Deutsche Bahn die darauf befindlichen Gebäude abgebrochen und die Fläche an die Landeshauptstadt Stuttgart übergeben habe. Auch das Alte Reitstadion am Neckar wurde von den Künstlern ins Spiel gebracht. „Es muss allerdings erwähnt werden, dass hier ein Interim mit den Planungen und Umsetzungen zur Neugestaltung des Wasenufers und der Wasenquerung kollidiert“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt weiter.

Noch vor der Sommerpause soll der Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik über das Ergebnis der Standortprüfungen sowie den Stand der Abstimmungen mit den Nutzern informiert werden.

3. Mai 2021, Stuttgarter Zeitung

Wo in der Kunst überall entsteht

Die einen hausen in einem kleinen Container, die anderen haben ihre eigene Immobilie: Stuttgarts Künstlerinnen und Künstler arbeiten unter ganz unterschiedlichen Bedingungen. Wir haben uns umgeschaut.

Stuttgart – Das Publikum bekommt Kunst eigentlich immer erst zu sehen, wenn sie bereits vollendet ist. Bis es soweit ist, dass Künstler ein Werk der Öffentlichkeit zeigen, gehen oft Monate oder Jahre voraus, wird überlegt, experimentiert und verworfen, wieder durchgestartet – und manchmal auch verzweifelt. Gerade in Corona-Zeiten ist für die Künstlerinnen und Künstler in Stuttgart das Atelier der wichtigste Anker und Zufluchtsort. Während Museen, Kunstvereine und Galerie geschlossen wurden, war wenigstens hier die Welt noch halbwegs in Ordnung.

Coole Locations und umfunktionierte Fabriken

Aber wo sind überhaupt Stuttgarts kreative Orte? Manche Künstlerinnen und Künstler mögen im heimischen Wohnzimmer arbeiten (müssen), aber in der Stadt gibt es eine große Vielfalt an Ateliers – seien es hier die Prestige-Projekte früherer Zeiten, bei denen die Bewohner auch Bauherren sind, seien es dort die coolen Locations und dazwischen die umgebauten Fabrikgebäude. Wir haben uns umgeschaut, wo die Stuttgarter Künstlerschaft den Pinsel schwingt, hämmert, bohrt und sägt.

Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie, um zu sehen, wo in Stuttgart Kunst gemacht wird!

Die Wagenhallen sind inzwischen Stuttgarts kreatives Herz / Foto: Leif Piechowski
Die Wagenhallen sind inzwischen Stuttgarts kreatives Herz / Foto: Leif Piechowski
Bezahlbar Lange zwangen die Stuttgarter Immobilienpreise die Künstlerschaft, wegzuziehen – etwa nach Berlin. Mit der Sanierung der Wagenhallen hat sich das geändert: Hier ist eine Künstlerstadt erhalten, die Maßstäbe setzt und bezahlbaren Arbeitsraum in großem Stil bietet. Der Quadratmeter kostet zwischen 3,50 und 5,50 Euro / Foto: Leif Piechowski
Bezahlbar Lange zwangen die Stuttgarter Immobilienpreise die Künstlerschaft, wegzuziehen – etwa nach Berlin. Mit der Sanierung der Wagenhallen hat sich das geändert: Hier ist eine Künstlerstadt erhalten, die Maßstäbe setzt und bezahlbaren Arbeitsraum in großem Stil bietet. Der Quadratmeter kostet zwischen 3,50 und 5,50 Euro / Foto: Leif Piechowski
Selbsthilfe Dass es möglich wurde, die Wagenhallen zu sanieren und zu erweitern, verdankt Stuttgart dem Engagement des 2004 gegründeten Kunstvereins. Er hat sich von einer kleinen Initiative zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Stadt entwickelt und konnte diese von den Investitionen in die Kunst überzeugen / Foto: Leif Piechowski
Selbsthilfe Dass es möglich wurde, die Wagenhallen zu sanieren und zu erweitern, verdankt Stuttgart dem Engagement des 2004 gegründeten Kunstvereins. Er hat sich von einer kleinen Initiative zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Stadt entwickelt und konnte diese von den Investitionen in die Kunst überzeugen / Foto: Leif Piechowski
Nachwuchs Vor den Wagenhallen befindet sich die sogenannte Container-City, in der der künstlerische Nachwuchs günstig arbeiten kann. Die Zukunft des kreativen Areals ist allerdings wacklig / Foto: Lichtblick Max Kovalenko
Nachwuchs Vor den Wagenhallen befindet sich die sogenannte Container-City, in der der künstlerische Nachwuchs günstig arbeiten kann. Die Zukunft des kreativen Areals ist allerdings wacklig / Foto: Lichtblick Max Kovalenko
Preisgekrönt Die Künstlerschaft der Wagenhallen hat das Areal vor den sanierten Hallen zum „Kulturschutzgebiet“ ernannt. 2018 wurde das Konzept sogar mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet / Foto: Lichtblick Max Kovalenko
Preisgekrönt Die Künstlerschaft der Wagenhallen hat das Areal vor den sanierten Hallen zum „Kulturschutzgebiet“ ernannt. 2018 wurde das Konzept sogar mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet / Foto: Lichtblick Max Kovalenko

14. April 2021, Stuttgarter Zeitung

„Man geht mit der neuen Realität um“

Die Wagenhallen Stuttgart sind als kreativer Produktionsort konzipiert worden. Im Interview erzählt Robin Bischoff wie Corona nun die Künstlerinnen und Künstler ausbremst.

Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Adrienne B.: Herr Bischoff, die Wagenhallen am Stuttgarter Nordbahnhof waren als lebendiges Kunstquartier geplant. Was hat Corona gemacht?

 

Robin B.: Der Austausch ist stark eingeschränkt. Wir können natürlich auch keine Veranstaltungen machen. Normalerweise mache ich einmal im Jahr einen Rundgang und besuche jeden im Atelier, das konnte ich jetzt natürlich nicht tun.

 

Adrienne B.: Ist überhaupt jemand vor Ort?

 

Robin B.: Ja, die Leute sind am arbeiten. Die Maler produzierten ihre Werke, sie haben oft Ausstellungen aufgebaut und warten, dass sie eröffnet werden können. Die Theaterleute machen Produktionen – für Online-Formate, oder um sie später aufzuführen.

 

Adrienne B.: Wie ist die Stimmung?

 

Robin B.: Manche habe keine Aufträge mehr. Für Dundu, die Großpuppe, die international unterwegs ist, sind die Aufträge komplett weggefallen. Es ist nicht anders als in der übrigen Bevölkerung: Man geht mit der neuen Realität um, weil man nicht weiß, wie es weitergeht.

 

Adrienne B.: Wie sieht es finanziell aus?

 

Robin B.: Es gibt welche, die Nothilfe bekommen haben, manche aber nicht. Wir als Verein versuchen, Informationen weiterzugeben zu Förderprogrammen, Stipendien und Künstlersozialhilfe. Mehr Spielraum haben wir leider nicht. Wir haben als Kunstverein zwar Geld, aber das steht natürlich nur für Kunstprojekte zur Verfügung.

 

Adrienne B.: Musste jemand sein Atelier aufgeben?

 

Robin B.: Bisher nein. Einige hatten Probleme, die Miete zu zahlen. Das konnten wir so regeln, dass sie später zahlen. Aber wir müssen es weiter beobachten. Ich habe schon mal Kontakt mit der Stadt aufgenommen, für den Fall, dass es schlimmer wird.

 

Adrienne B.: Bei der Debatte des Stuttgarter Bürgerhaushalt stand der Erhalt des Kulturschutzgebiets vor den Wagenhallen ganz vorn.

 

Robin B.: Ja, das ist eine erfreuliche Nachricht. Der Mietvertrag für die Container-City, die wir zum Kulturschutzgebiet ernannt haben, läuft der Mietvertrag aus. Für uns ist die Außenfläche wichtig für temporäre Projekte, die Wagenhallen funktionieren gar nicht ohne sie. Umso wichtiger, dass das im Bürgerhaushalt bestätigt wurde.

 

Der Kopf des Kunstvereins

Person
Robin Bischoff ist in Ludwigsburg geboren worden und hat zunächst Zimmerer gelernt und und dann an der Uni Stuttgart Architektur studiert.

 

Verein
Der Kunstverein Wagenhallen hat 100 Mitglieder verschiedener Sparten. Seit 2004 haben diese eine einzigartige Produktionsstätte am Stuttgarter Nordbahnhof aufgebaut.

10. März 2021, Kontext: Wochenzeitung

Der Innere Nordbahnhof ist eine Oase für Kunst und Urban Gardening in Stuttgart. Die soll auch nicht verloren gehen, wenn auf dem Gelände irgendwann die "Maker City" entsteht. So der Plan. Doch nun hat die Bahn den KünstlerInnen gekündigt, der Stadtacker soll verschwinden und die Stadt schwurbelt.

Dass Spenden in die Faust in Pandemien problematisch sind, gehört noch zu den kleinsten Sorgen der KünstlerInnengemeinschaft der Waggons.
Dass Spenden in die Faust in Pandemien problematisch sind, gehört noch zu den kleinsten Sorgen der KünstlerInnengemeinschaft der Waggons.

Mit dem Bauzug 3YG begann vor 22 Jahren die künstlerische Inbesitznahme des Inneren Nordbahnhofs. Architekturstudierende auf der Suche nach Arbeitsräumen wandten sich an die Bahn, um die alten Umbauwagen anzumieten, die in den 1950er-Jahren aus noch älteren Waggons hervorgegangen waren. Inzwischen ist die 18-köpfige Gemeinschaft fester Bestandteil des städtebaulichen Konzepts einer „Maker City“ im Rosensteinquartier. Gewonnen hat den städtebaulichen Wettbewerb das Architekturbüro asp und das bespricht seit Mitte Januar mit den Künstlern vom Bauzug, dem Kunstverein Wagenhalle und dem Urban-Gardening-Projekt Stadtacker, wie es weitergehen soll.

 

Alles also ganz harmonisch. Erst Anfang Januar hat der Bauzug die zweite Bewerbungsrunde für eine KünstlerInnen-Residenz in der „Raumstation“ ausgeschrieben. Das ist der Waggon, der sich durch eine silberne Lackierung hervorhebt. Vier Stipendien wurden bereits im Vorjahr vergeben, gefördert von der Stadt Stuttgart. Ab 15. März kann die Stuttgarterin Clarissa Kassai für ein bis zwei Monate die Raumstation beziehen. Vier weitere Residenzen sind vorgesehen. Die KünstlerInnen kommen aus Porto, Tel Aviv, Seoul und New Mexico.

 

Doch dann platzte die Bombe: Kündigung. Bis Ende April sollen die KünstlerInnen das Areal räumen, verlangt die Deutsche Bahn als Vermieter. Gemäß den Verträgen mit der Stadt, die 2001 sämtliche Flächen erworben hat, die durch das Projekt „Stuttgart 21“ frei werden sollen, ist die Bahn zum Rückbau der Gleisanlagen verpflichtet. Seit zwei Wochen wissen die KünstlerInnen Bescheid. Sofort setzten sie sich mit der Stadt in Verbindung, hofften auf eine gute und schnelle Lösung. Doch bald erhielten sie so viele besorgte Anfragen, dass sie entschieden, die Nachricht über ihre Facebook-Seite publik zu machen.

Ab dem 15. März könnte die Künstlerin Clarissa Kassai hier einziehen. Doch schon bis Ende April soll das Areal geräumt sein.
Ab dem 15. März könnte die Künstlerin Clarissa Kassai hier einziehen. Doch schon bis Ende April soll das Areal geräumt sein.

Per Copy und Paste klärt sich nichts

Kontext fragte bei der Stadt nach, wie es denn nun mit der Beteiligung der KünstlerInnen und der Stadtacker-MacherInnen weitergehen soll. Die Ämter müssten sich erst abstimmen, hieß es. Das dauerte ein paar Tage, dann erschien eine Pressemitteilung, die aber keineswegs alle Fragen beantwortet. Nach erneuter Rückfrage braucht es nurmehr anderthalb Stunden, bis die Antworten eintreffen. Die sind allerdings zum Teil per Copy und Paste aus der Pressemitteilung übernommen. „Im Zuge der städtebaulichen Flächenentwicklung des C1-Gebiets“, heißt es da, „sind planerische und bauliche Veränderungen notwendig.“ Aha.

 

Ein Satz scheint den Antwortenden so gut gefallen zu haben, dass er in den Antworten gleich dreimal wiederkehrt: „Es ist das Anliegen der Stadt Stuttgart, dass alle Nutzergruppen im Anschluss an die Durchführung der notwendigen Maßnahmen für die gesamthafte Entwicklung des C1-Gebiets ein langfristiger Bestandteil des neuen Stadtquartiers sein können.“ Nur: „Auf dem Weg dorthin sind Interims-Verlagerungen notwendig.“

 

Als Bauzug-Künstlerin und eine der Hauptaktiven des Stadtackers weiß Elisa Bienzle im Moment nicht, woran sie zuerst denken soll. Denn eine halbe Stunde vor dem nächsten Termin für die Akteursbeteiligung mit dem Architekturbüro ist auch dem Stadtacker mitgeteilt worden, dass er nur noch bis Oktober auf dem bestehenden Areal bleiben könne. Schwierig, eine ferne Zukunft zu planen, wenn das eigene Atelier in zwei Monaten geräumt sein soll und völlig unklar ist, was mit den Gärten im nächsten Jahr passiert.

 

„Der Zeitpunkt, zu dem der Rückbau der Logistikgleise abgeschlossen ist, ist derzeit nicht bekannt“, teilt die Stadt mit. „Das entsprechende Planfeststellungsverfahren ist noch nicht beendet. Es ist jedoch das Ziel der Landeshauptstadt, die Entwicklung der ‚Maker City‘ parallel zu den Nutzungen der Deutschen Bahn – sowohl im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm als auch für den Gleisrückbau – im C1-Gebiet zu ermöglichen.“ Die Formulierungskünste eröffnen einen gewissen Deutungsspielraum: Bezieht sich „die Entwicklung der ‚Maker City'“ auf die Planung des zukünftigen Quartiers oder ist damit auch gemeint, dass sich Stadtacker und Waggons kontinuierlich weiter entwickeln können? Immerhin scheint der Begriff „Interims-Verlagerungen“ anzudeuten, dass sie nicht verschwinden, sondern nur den Platz wechseln sollen. Doch wohin, bleibt offen.

 

Derweil laufen im Hintergrund die Telefondrähte heiß. Jetzt schaltet sich das Stadtplanungsamt ein. Zu den Waggons gehört auch ein kleines Haus jenseits der Bahnlinie, von dem die KünstlerInnen Strom und Internet-Anschlüsse beziehen und in dem sich Sanitär- und Lagerräume befinden. Dieses Haus soll abgerissen werden, weil man dort Eidechsen ansiedeln will. Das Stadtplanungsamt schlägt nun vor: Vielleicht könnten drei Container an der Nordbahnhofstraße weiterhelfen, wenn zumindest die Waggons noch bleiben. Allerdings befindet sich in dem Haus auch die Hälfte der Ateliers. Wo sollen diese KünstlerInnen dann hin? Die Stadt schweigt.

Von links: Benjamin Köhl, Marion Köhler, Marius Alsleben und Elisa Bienzle von der Ateliergemeinschaft im Bauzug 3YG.
Von links: Benjamin Köhl, Marion Köhler, Marius Alsleben und Elisa Bienzle von der Ateliergemeinschaft im Bauzug 3YG.

Zwei Büros arbeiten parallel

„Die Akteursbeteiligung haben wir angestoßen“, hält Markus Weismann vom Büro asp fest. „Wir haben von vornherein gedacht, dass wir das Quartier mit den Künstlern von der Wagenhalle, dem Bauzug und dem Stadtacker zusammen entwickeln. Dazu gehört natürlich auch, dass sie Perspektiven, verbindliche Zusagen und Planungssicherheit haben.“ Langfristig sollen weitere Nutzer dazu kommen, Handwerker etwa oder kleine Mittelständler. „Im Moment sind wir noch viel zu sehr damit beschäftigt“, so Weismann, „dass die jetzigen Nutzer ihren Platz finden.“

 

„Städtebau ist ja heute viel akteursbezogener und prozesshafter“, betont der Architekt. Nach dem üblichen Verfahren wird zuerst ein Bebauungsplan aufgestellt. Er enthält bereits die Konturen der Wohnblöcke, die noch zu entwerfen sind. Ein vergleichsweise starres, unflexibles Procedere. Zwischen Plan und Ausführung liegen Jahre, in denen sich vieles ändern kann. Tatsächlich hat die Stadt auch für den Inneren Nordbahnhof bereits ein anderes Büro mit dem Bebauungsplan beauftragt. Das heißt: Parallel arbeiten zwei Büros mit zwei Planungsansätzen an der Zukunft des Areals.

 

Weismann hat kein Problem damit, er steht mit dem Büro in Kontakt. Offenbar müssen die beiden Büros untereinander ausmachen, was die Stadt nicht zu Ende gedacht hat. Ein Beispiel: In einem Bebauungsplan sind Funktionen wie Wohnen, Arbeiten und Erschließung eindeutig definiert und klar getrennt. Ein Quartier, das pionierhaft neue Formen des Wohnens und Arbeitens zusammenbringen will, braucht andere Vorgehensweisen. Es reicht nicht, soundso viele Wohnblöcke vorzusehen, und für Urban Gardening bleibt dann kein Platz mehr. Weismann ist überzeugt: Platz ist genug vorhanden. Er kann sich auch vorstellen, die Beete über die Innenhöfe der Wohnblöcke zu verteilen.

 

Bretter, die hier Stadt bedeuten.
Bretter, die hier Stadt bedeuten.

So etwas wie der Stadtacker oder der Bauzug kommen in der herkömmlichen Stadtplanung überhaupt nicht vor. Ja, man kann sagen, sie sind genau deshalb entstanden. Sie füllen eine Lücke. Allerdings beanspruchen die Freizeit-Gärtner nicht einfach nur zusätzlichen Raum, den sie den künftigen Bewohnern des Viertels wegnehmen. Bereits jetzt gärtnern auf dem Stadtacker auch viele Anwohner des angrenzenden Quartiers Auf der Prag. Urban Gardening ist ein idealer Weg, Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen.

 

Weismann ist überzeugt: „Der Stadtacker ist auch ein sozialräumliches Projekt, ein sozialer Treffpunkt. Das ist ein Riesen-Potenzial für die Neuentwicklung eines Quartiers.“ Ähnlich sieht es die Leitung der IBA’27. Denn das Quartier C1, also der Innere Nordbahnhof, ist auch eines der Projekte der Bauausstellung. „Die AkteurInnen vor Ort haben das Gelände zu dem gemacht, was es heute ist“, beantwortet Pressesprecher Tobias Schiller die Anfrage von Kontext: „Ein lebendiger und experimentierfreudiger Ort. Das ist ein Glücksfall für die Stadt, die Stadtgesellschaft und letztlich auch die IBA.“

Die Stadt scheint überfordert

Allerdings gibt es hier eine besondere Konstellation: „Wir als IBA’27“, so Schiller, „haben zwei Projekteinreichungen zu dem Vorhaben bekommen: von der Landeshauptstadt und eine gemeinsame Eingabe der Vereine Wagenhalle und Stadtacker. Wir haben gleich am Anfang gesagt: Wir verstehen das als ein Projekt, Kunstverein Wagenhalle und Stadtacker (natürlich nebst den weiteren AkteurInnen vor Ort) sind Teil dieses Projekts, das aber von der Landeshauptstadt als Grundstückseignerin gesteuert wird.“

 

„Den Fall“, so die IBA-Leitung, „dass Menschen gute Ideen ausprobieren wollen auf Flächen, über die sie nicht direkt verfügen, haben wir immer wieder und da entstehen immer wieder auch Konflikte. Diese können nur partnerschaftlich ausgehandelt werden. Wir als IBA können dabei vor allem vermitteln und inspirieren, entscheiden können wir diese Dinge nicht.“ Das müssten die demokratisch legitimierten Organe wie der Gemeinderat.

 

Offenbar weiß bei der Stadt die eine Hand nicht, was die andere tut. So hat der Kunstverein Wagenhalle für das Containerdorf einen begrenzten Nutzungsvertrag, einen Teil der Flächen hat der Verein an den Stadtacker untervermietet. Der Stadtacker hätte sich immer wieder um einen eigenen Vertrag bemüht, betont Elisa Bienzle, aber keinen bekommen. Weiß das Liegenschaftsamt, dass der Stadtacker als Teil der „Maker City“ nach Ende des Nutzungsvertrags weiterhin einen Ort braucht? Es sieht nicht danach aus.

 

Im Fall der Waggons hängt alles am zwanzig Jahre alten Vertrag zwischen Bahn und Stadt. Plötzlich will die Bahn zur Tat schreiten und es stellt sich heraus: Die Stadt hat kein Konzept, wo der Bauzug hin soll. Dass die Waggons auf dem C1-Areal bleiben müssen und die Stadt den Künstlern nicht etwa nur Ausweichateliers anbietet, steht für Markus Weismann fest: „Die Waggons sind die Identität des Bauzugs.“

 

Zusatz: Verhandlungen laufen
Wie kurz nach Redaktionsschluss bekannt wurde, hat es in den vergangenen Tagen bereits ein Treffen von Vertretern der Bahn und der Stadt gegeben, in dem erörtert wurde, inwieweit sich die Kündigung der Waggons noch verschieben ließe. (dh)

 

Dem Erhalt der Waggons gilt auch ein Vorschlag im Bürgerhaushalt der Stadt Stuttgart. StuttgarterInnen können hier abstimmen.

26. Januar 2021, Stuttgarter Filmwinter

Der Stuhlkreis (Buggles Award 2021 - Preis der Jury)
Der Stuhlkreis (Buggles Award 2021 - Preis der Jury)

Der Stuhlkreis

Buggles Award 2021

Der in Höhe von 1.000 Euro dotierte „Buggles Award – Landesmusikvideopreis“ wurde an „Der Stuhlkreis“ von Ged Haney, Robert Steng und André Mohl, Musik Rocket Freudental von einer unabhängigen Jury vergeben.

Die Jury bestand aus Yannik Gölz (Redakteur, u.a. bei laut.de), Dr. Ulrike Groos (Direktorin Kunstmuseum Stuttgart) und Jessica Manstetten (Auswahl & Koordination MuVi Programme Kurzfilmtage Oberhausen).

Jurybegründung

„Stuhlkreis“ zeigt, was ein gutes Musikvideo ausmacht: Eine Idee, simpel genug, um sich –
augenblicklich/auf einen Blick zu erschließen, die dann so gut ausgeführt wird, dass sich jeder Funken
Persönlichkeit, Humor und Ausstrahlung des Songs sofort darin wiederfinden. Was die Animation der
beiden Cartoon-Charaktere hier leistet, ist nicht nur ein perfektes Einfangen der Groteske der Lyrics,
sondern auch eine Illustration der Stimmfarbe des Sängers, der Bewegung des Rhythmus und der
zunehmenden psychedelischen Verworrenheit des Songs an sich. „Stuhlkreis“ ist ein Video, das
seinen Song nicht nur spiegelt, sondern aus den darin enthaltenen Elementen in eine ganz neue
Dimension übersetzt. Und was am wichtigsten ist: Es macht verdammt viel Spaß. Es ist ein Video, das
Aufmerksamkeit einfordert. Das man am nächsten Morgen noch im Kopf hat und wieder ansehen
möchte. So simpel es auf den ersten Blick wirken mag: Seine unweigerliche Effektivität heben dieses
Projekt auch gegen beeindruckende High-Budget-Projekte deutlich ab.

Laharland und Hinter unbewohnten Häusern

Lobende Erwähnungen

Die Jury zeichnete zwei weitere Werken mit Lobenden Erwähnungen in Höhe von 300 Euro aus: „Laharland“ von Katharina Wibmer, Musik Portosol und „Hinter unbewohnten Häusern“ von Duc-Thi Bui, Musik Kaufmann Frust.

Aufeinanderliegen

Publikumspreis

Über 6.000 Herzen wurden bei der Abstimmung zum Publikumspreis in Höhe von 500 Euro vergeben, das Werk „Aufeinanderliegen“ von Timo Hauer bekommt den Publikumspreis.

26. Januar 2021, SWR2 - Journal am Mittag

Beim 34. Stuttgarter Filmwinter hat am 9. Januar der Song „Der Stuhlkreis“ der Band Rocket Freudental mit einem Video des britischen Illustrators Ged Haney den mit 1.000 Euro dotierten neuen Landesmusikvideopreis Baden-Württemberg gewonnen. Der Publikumpreis ging an „Aufeinanderliegen“ von Tiemo Hauer und Nicole Kiefner. Lobende Erwähnungen der Jury gab es für „Hinter unbewohnten Häusern“ von Kaufmann Frust und Duc-Thi Bui und für „Laharland“ von Portosol und Katharina Wibmer. Der sogenannte Buggles Award wurde in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen.

„Der Stuhlkreis“: Punk im Ohr und britischer Humor fürs Auge

Rhythmische Drums und Sprechgesang im Ohr, und für die Augen britischer Humor – schwarz auf weiß gezeichnet zwei Männer, groß und klein, dick und dünn – die zum Song „Der Stuhlkreis“ von Rocket Freudental im Musikvideo tanzen, sich foppen und mächtig auf die Trommel hauen.

„Der Stuhlkreis“ ist ein Punk Song voller Energie und bissiger Lyrics. Und im Zusammenspiel mit dem Video zum Song ist er der Gewinner des ersten Buggles Awards beim Festival Stuttgarter Filmwinter. „Das war in jeder Hinsicht eine Überraschung, wir haben gar nicht damit gerechnet, dass es so passend zu unserer neuen Platte einen neuen Musikvideowettbewerb hier gibt in Stuttgart und dass wir da so gut reinpassen“, freut sich der Drummer der Zweimannband Robert Steng.

Vor allem freut er sich auch für Ged Haney, den Londoner Illustrator und Videokünstler, „weil es einfach auch unheimlich viel Arbeit ist, ich habe es ja gesehen, wie er die einzelnen Bilder am Rechner zusammenbringt, und da auch so ein Rhythmusgefühl reinbringt. Da hat er wochenlang dran gearbeitet.“

„Ein Video, bei dem man immer wieder etwas Neues entdeckt“

Prämiert hat das Video eine dreiköpfige Jury. Eine der Jurorinnen, Jessica Manstetten, lobt: „Man kann eben mit einer einfachen Idee, die gut umgesetzt ist, eine ganz neue Ebene schaffen neben der musikalischen Ebene. Und wir fanden, dass dieses Video das sehr gut macht. Es ist so ein Video, wo wir alle Lust hatten, es uns nochmal anzugucken, weil man immer wieder etwas Neues entdeckt, und es auch verdammt viel Spaß gemacht hat, das anzuschauen.“

Publikumspreis: „Aufeinanderliegen“ von Tiemo Hauer und Nicole Kiefner

Auch das Publikum hat einen Preis vergeben: Mehr als 6000 Leute haben abgestimmt – gewonnen hat am Ende der Song „Aufeinanderliegen“ von Tiemo Hauer und Nicole Kiefner. Ein melancholischer Song, in dem auf visueller Ebene im Video Schaufensterpuppen, mal von Kopf bis Fuß, mal in einzelne Körperteile auseinandergenommen, mit dem Sänger in Szene gesetzt werden. Sowohl die Bild- als auch die Textebene stimmen nachdenklich.

Perlen im digitalen Musikvideo-Dschungel – möglichst bald auch auf großer Leinwand

Mit dem neu ins Leben gerufenen Landesmusikvideopreis Buggles Award möchte Festival Co-Leiterin Giovanna Thiery zusammen mit dem Pop Büro Region Stuttgart auf Perlen im digitalen Musikvideo-Dschungel aufmerksam machen. „Das ursprüngliche Ziel ist, diese tolle Musikvideos in einem anderem Kontext zu zeigen, aber nicht nur online, sondern auf der großen Leinwand in einem Festival-Kontext, wo die Macher und das Publikum sich auch treffen und austauschen können“, erklärt Thiery. Sie hofft, schon im Sommer die Möglichkeit zu haben, die Preisträger auf großer Leinwand zu zeigen.

Der Buggles Award ist benannt nach den „Buggles“, der Gruppe, mit dessen Video „Video killed the Radio Star“ der Musiksender MTV vor 40 Jahren, am 1. August 1981, erstmals auf Sendung ging.

Alle Musikvideos des Buggles Award sind auf der Webseite des Stuttgarter Filmwinters zu sehen.

Audio Datei zu Rocket Freudental gewinnt mit der Stuhlkreis den ersten Landesmusikvideopreis beim Stuttgarter Filmwinter

21. Dezember 2020, Stadtkind

Plakat-Aktion wird zur mobilen Ausstellung

Die Public Poster Gallery als Mutmacher im öffentlichen Raum geht in die nächste Runde und kommt nun als mobile Ausstellung – reloaded – daher. Bis Mitte Januar 2021 kann die Plakatserie von 40 Gestalter*innen in der Container City vom Kunstverein Wagenhalle bestaunt werden – corona-konform, open-air, radikal empathisch.

Stuttgart – Ob an der Kultursäule am Feuersee, der Bahn-Unterführung in Untertürkheim oder zuletzt im Kultur Kiosk: Die Public Poster Gallery zauberte uns seit Mai 2020 an vielen Orten in Stuttgart ein Lächeln ins Gesicht, brachte uns zum Nachdenken und stimmte uns zuversichtlich. Wir wurden auf kunstvolle Art darin bestärkt, dass die Krise auch eine Chance sein kann und bessere Tage kommen werden – man müsse nur daran glauben. Es ist nicht leicht, aber wir geben unser Bestes, tragen Maske, halten Abstand und bleiben zu Hause. Und wenn wir doch mal rausgehen, dann freuen wir uns über die radikal empathischen und bunten Lichtblicke, die nun mobil daherkommen.

Corona – die Krise als Chance begreifen

Was heißt das genau? Für einen ersten Testlauf ist die Ausstellung auf das Gelände des Kunstvereins Wagenhalle gezogen. Die Public-Space-Spezialist*innen des Architekturbüros Studio umschichten haben hierfür ein mobiles Ausstellungssystem aus Standard-Bauzäunen entwickelt. Zwei Infotafeln liefern Hintergrundinfos zum Projekt und stellen die beteiligten Künstler*innen kurz vor.

"Die Open-Air-Ausstellung kann ganz coronakonform bei einem Spaziergang durch das Kulturschutzgebiet besucht werden".

Auch diesmal geht es darum, den Menschen ein wenig Zuversicht zu geben und vielleicht ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern – ganz im Sinne der Bewegung für Radikale Empathie (BRE), die Ende 2016 als freies Kunstprojekt von Dominique Brewing und Anja Haas gegründet wurde.

Seit dem Frühjahr 2020 sind auch die Designer*innen Melanie Müller und Markus Niessner Teil des Künstler*innenkollektivs, mit deren Idee die Public Poster Gallery entstand.

Public Poster Gallery: Plakate von 40 Gestalter*innen

Für die zweite Runde haben die Macher*innen alle Gestalter*innen der ersten Auflage reaktiviert und neue Mitstreiter*innen gefunden. 40 Gestalter*innen steuerten Plakate bei, deren Motive aktuelle künstlerische Positionen aus Fotografie, Illustration und Design zeigen und Mut machen, unsere Solidarität feiern, Haltung zeigen.

„Wir möchten an die Idee der Public Poster Gallery von Anfang April anknüpfen. Corona ist nicht vorbei und wahrscheinlich wird uns das Thema noch länger beschäftigen. Wir wollen einen Beitrag leisten, für eine offene und tolerante Gesellschaft und für die Chance, die in jeder Krise steckt“.

Mit Unterstützung des Kulturamts Stuttgart und der Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart sowie in Kooperation mit zahlreichen Ladenbesitzer*innen wurden seit Mai mehr als 1.600 Plakate auf freien Werbeflächen und in Schaufenstern gezeigt. Im Sommer waren die Poster noch einmal gesammelt im StadtPalais — Museum für Stuttgart zu sehen. Die zweite Auflage wurde durch das Programm „Kultur Sommer 2020“ des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg ermöglicht und tourt als mobile Installation durchs Ländle. Bis zum Sommer nächsten Jahres gehen die 40 neuen Motive auf Reisen und sind in zehn baden-württembergischen Städten zu sehen.

Public Poster Gallery Reloaded
Container City Kunstverein Wagenhalle
Innerer Nordbahnhof 1
70191 Stuttgart

Laufzeit:
ab 20. Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021

Mehr Infos gibt’s hier >>>

25. November 2020, Stuttgarter Zeitung

Wo man für die Kunst sein letztes Hemd hergibt

Sechs nackte Puppenspieler und eine Lichtgestalt: Die Kunstfigur Dundu mit den Männern, die sie zum Leben erwecken, in den Stuttgarter Wagenhallen. Foto: Ferdinando Iannone
Sechs nackte Puppenspieler und eine Lichtgestalt: Die Kunstfigur Dundu mit den Männern, die sie zum Leben erwecken, in den Stuttgarter Wagenhallen. Foto: Ferdinando Iannone

 

Ohne Kleidung, aber mit kühnen Träumen: Künstlerinnen und Künstler der Wagenhallen geben für den Nacktkalender „Pandemic Fantastic 2021“ das letzte Hemd. Ihre Botschaft: Fantasien sind stärker als Fesseln im Lockdown.

Stuttgart – Nacktheit erzeugt Aufmerksamkeit, sofern nicht alle nackt in der Sauna sitzen. Ein künstlerischer Kalender mit Nackten, die keine durchs Beauty-Programm gejagten Models sind, sondern ganz normale Menschen, besitzt in Stuttgart fast schon eine kleine Tradition. Die Stadt hat sich daran gewöhnt. Der Aufschrei ist nicht mehr so laut. In den vergangenen Jahren waren die beiden Künstlerinnen Justyna Koeke und Marie Lienhard überfallartig in Stuttgart unterwegs, um belebte Orte mit Enthüllungen aufzumischen.

20. November 2020, Wirtschaftsförderung Region Stuttgart

Regionale Wirtschaftsförderung und IBA’27 geben Gewinner bekannt

Diese Orte für kreatives Arbeiten sind besonders innovativ

Insgesamt fünf Orte kreativen Arbeitens sind nun beim Wettbewerb „Creative Spaces Region Stuttgart“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) und der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) für ihren hohen Grad an Innovation und Nachhaltigkeit ausgezeichnet worden. Die Gewinner erhalten jeweils 5.000 Euro Preisgeld. Kriterien für die Auswahl der eingereichten Konzepte waren unter anderem Nachhaltigkeit, Tragfähigkeit, Innovationsgrad und Übertragbarkeit. Die fünf Preisträger sind:

Schwäbischer Maker Salon
Next:Lab
Stadtbühne
houseofinnovation.io

Drei weitere Kreativ-Orte erhielten einen Sonderpreis in Höhe von 2.000 Euro für ihre engagierte Nachwuchsförderung und ihre Wirkung auf Stadtraum und Region:

Innovationsmeile Küferstraße
[F]EMPOWER.STUTTGART
We Create Space

Der Schwäbische Maker Salon ist ein Projekt des Kunstvereins Wagenhalle e.V., einem Kreativ-Quartier für Kultur, Kunst und experimentelle Stadtentwicklung. Er wurde unter anderem aufgrund seines innovativen Ansatzes und der sehr breiten Beteiligung der Akteure in kreativen Prozessen ausgezeichnet.

Das Next:Lab ist ein Projekt des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation, das lokale Akteure aus Wirtschaft, Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft zusammenbringt. Das Next:Lab zeichnet sich laut Jury durch sein professionelles Konzept und seinen hohen Innovationsgrad aus.

Der Hobbyhimmel in Stuttgart-Feuerbach ist eine offene Werkstatt, in der Einsteiger wie Profis ihre Projekte umsetzen können. Der Hobbyhimmel ist laut Jury tragfähig, differenziert, fundiert und nachhaltig. Die Jury würdigte besonders die Wertschätzung des Handwerks als Kunst.

Bei der Stadtbühne aus Waiblingen handelt es sich um eine mobile Bühne für Veranstaltungen jeder Art, die unkompliziert und kostengünstig genutzt werden kann. Die Stadtbühne überzeugte die Jury als neues, innovatives und fundiertes Konzept. Die mobile Lösung ermögliche es, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren.

Das houseofinnovation.io in Stuttgart bietet als offen zugängliches Innovationscenter eine Anlaufstelle für Startups aus dem Bereich Digitalisierung. Besonders hervorgehoben wurden von der Jury die gute Ausarbeitung des Konzepts, die Übertragbarkeit und Sicherheit. Das houseofinnovation.io überzeugte durch Professionalität und technologieorientierte Ausrichtung.

Die Innovationsmeile Küferstraße in Esslingen bietet Räume zum kooperativen und stillen Arbeiten sowie Zugang zu Netzwerken und Veranstaltungen. Die Jury bewertete die Innovationsmeile als erfolgversprechend und als möglichen Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer entsprechender Angebote.

[F]EMPOWER.STUTTGART ist eine Coworking-Community aus Stuttgart speziell für Frauen und bietet den Teilnehmerinnen regelmäßige Veranstaltungen, Weiterbildungsprogramme und Frauen-Netzwerke an. Die Jury lobte das gut ausgearbeitete Konzept sowie die Umsetzung.

Im We Create Space in Stuttgart können kreative Selbstständige an ihren Projekten arbeiten und sich mit anderen austauschen. Das Angebot soll insbesondere für junge Kreative ausgebaut werden, um sie bei ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Die Jury überzeugte das gut ausgearbeitete Konzept.

Weitere Informationen zum Wettbewerb und den gekürten Projekten: kreativ.region-stuttgart.de/creativespaces

14. November 2020, Stuttgarter Zeitung

So verlief die dritte Gesprächsrunde des Bürgerforums

Beim dritten Durchgang des Opern-Bürgerforums am Freitag kommt sogar der längst verstorbene Opernhaus-Architekt zu Wort

Stuttgart – Auch die dritte Gesprächsrunde des Bürgerforums zur Sanierung der Stuttgarter Oper verlief kontrovers. Bei der am Freitagabend virtuell durchgeführten Videokonferenz standen erneut das Thema „Kreuzbühne“ sowie eine mögliche Interimsoper bei den Wagenhallen oder auf dem Gelände des Königin-Katharina-Stifts im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Die eingeladene Schulleiterin der 1818 gegründeten Bildungseinrichtung direkt neben den Staatstheatern plädierte leidenschaftlich dafür, die Idee fallenzulassen, den Standort des Gymnasium zugunsten eines Interimsbaus zu verlegen, wie es der Verein Aufbruch Stuttgart vorgeschlagen hatte. Kathrin von Vacano-Grohmann betonte, dass das Schulgebäude aus dem Jahr 1903 mit seinem „wunderbaren Treppenhaus“ zurecht denkmalgeschützt sei. Die Schulleiterin wies darauf hin, dass die rund 600 Schüler des Gymnasiums in vielfältiger Weise vom benachbarten Kulturbetrieb profitierten.

Baubürgermeister Peter Pätzold erinnert an Sanierung

Bei den 40 zufällig ausgewählten Bürgern, die am Bürgerforum teilnehmen, fiel das Plädoyer der Rektorin auf fruchtbaren Boden: So betonte ein Teilnehmer, dass es ein falsches Zeichen sei, „eine Schule mit kulturbegeisterten Schülern und eines der wenigen noch übrigen historischen Gebäude zu opfern“. Ein anderer wunderte sich, dass der Verein Aufbruch Stuttgart zwar gemeinsam mit dem Gymnasium für die Kulturmeile demonstriert hat, nun „der Aufbruch aber den Abbruch der Schule plant“. Dass das Schulgebäude zuletzt 2012 für 10 Millionen Euro saniert worden war, daran erinnerte Baubürgermeister Peter Pätzold: „Das wäre unsinnig, diese Gelder verschwendet zu haben.“ Hinzu kommt: Ein zusätzlicher Schulneubau für das Stift müsste sich in die Gesamtplanung der Stadt einfügen. „Die Folge wäre unweigerlich, dass dafür ein anderer Schulneubau weichen müsste.“ Auch eine unterirdische Fernwärme-Einrichtung der ENBW müsste verlegt werden. Kosten allein hierfür: 40 Millionen Euro.

Doch auch eine Interimsbühne auf dem Gelände des Kulturvereins Wagenhallen, wie sie derzeit von der Stadt präferiert, birgt reichlich Konfliktstoff. Der Architekt Robin Bischoff, erster Vorsitzender des Kunstvereins Wagenhallen, wies darauf hin, dass sich auf der Arbeitsfläche des Kunstvereins bei einer ausverkauften Aufführung über 1000 Besucher tummeln würden. „Wie soll das funktionieren?“, fragte der Architekt. „Da tritt man sich gegenseitig auf die Füße.“

Experte hebt Stellenwert der Kreuzbühne hervor

Der Geschäftsführer der Deutschen theatertechnischen Gesellschaft Hubert Eckart stellte als Experte für Bühnentechnik nicht nur die Funktion einer sogenannten Kreuzbühne vor. Er betonte zugleich, dass viele Opern aus dem Kanon des klassischen Repertoires ohne eine solche gar nicht aufführbar seien. An zahlreichen Beispielen aus der internationalen Opernarchitektur machte er deutlich, dass derzeit weltweit versucht werde, bei Opernneu- und Umbauten eine solche Technik zu installieren. „Mit weniger würde ich mich als Bürger nicht abgeben“, so Eckart. Nach heutigem Stand würde der Einbau einer Kreuzbühne rund 20 Millionen Euro zusätzlich kosten, wobei eine mögliche Preissteigerung auf bis zu 35 Millionen Euro hier nicht eingerechnet ist.

Auch der Littmann-Experte Martin Laiblin vertrat trotz der hierfür notwendigen Fassadenverschiebung die Ansicht, dass eine Kreuzbühne für die Oper „eine Qualitätssicherung für die nächsten 50 Jahre“ darstellte. Um zu unterstreichen, dass sich der Architekt des Stuttgarter Opernhauses, Max Littmann (1862–1931), einem solchen baulichen Eingriff mutmaßlich nicht entgegenstellen würde, präsentierte Laiblin ein bemerkenswertes Zitat des Architekten: „Als zeitgemäß kann nur das Haus erachtet werden, das in seinen inneren Einrichtungen die Bedingungen erfüllt, die nach der heutigen Erkenntnis erfahrener und denkender Bühnenleiter und Künstler nötig sind, um in gleicher Weise sowohl Produktionen unserer Klassiker wie alter und lebender Musiker und Dichter gerecht zu werden, und bei denen überdies die Anforderungen nicht außer acht gelassen werden, die das Publikum stellt, für das wir Theater erbauen.“

Info

Die Gesamtkosten der Opernsanierung werden derzeit auf rund 958 Millionen Euro taxiert, wobei hierin potenzielle Kostensteigerungen während der Bauzeit bereits berücksichtigt sein sollen. Werden lediglich die heute geltenden Baukosten addiert, würde die Sanierung, deren Kosten sich Land und Stadt teilen, nur mit etwa 550 Millionen Euro zu Buche schlagen. In jedem Fall hinzu kommen rund 85 Millionen Euro für eine Interimsspielstätte. Außerdem würde die Stadt in diesem Zusammenhang für weitere rund 84 Millionen Euro zwei Gebäude errichten, die nach der Zwischennutzung dauerhaft erhalten bleiben. Die Kostenrelation von Opernsanierung und Interimsbauwerken sei, so Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold, „vergleichbar mit anderen Bauprojekten“. Verzögert sich der Start der Sanierung, verteuert sich das Projekt jeweils pro Jahr um geschätzte 30 Millionen Euro.

12. Oktober 2020, SWR2

Kunstraum

 Schon der neue Eingang zur Stuttgarter Wagenhalle ist eine Show für sich: Flankiert von symmetrischen Seitenflügeln, erhebt sich eine Industriefassade aus der Epoche der Dampflokomotive. Dahinter ein topmoderner Veranstaltungsaal und ein weiträumiges Foyer.
Schon der neue Eingang zur Stuttgarter Wagenhalle ist eine Show für sich: Flankiert von symmetrischen Seitenflügeln, erhebt sich eine Industriefassade aus der Epoche der Dampflokomotive. Dahinter ein topmoderner Veranstaltungsaal und ein weiträumiges Foyer.
 „Es ist eben ein Gebäude von 1895, man sieht das jetzt auch noch teilweise, irgendwelche alten Sicherungskästen mit Porzellanfassungen, die an den Wänden sind“, erzählt Robin Bischoff, Vorsitzender des Kunstvereins Wagenhalle.
„Es ist eben ein Gebäude von 1895, man sieht das jetzt auch noch teilweise, irgendwelche alten Sicherungskästen mit Porzellanfassungen, die an den Wänden sind“, erzählt Robin Bischoff, Vorsitzender des Kunstvereins Wagenhalle.
 Vor zehn Jahren waren die Wagenhallen ein exotischer Fleck ganz am Rand der „sauberen Schwabencity“. Erst langsam dämmerte es der Stadt, was für ein Schatz sich in jenem anarchistischen Areal gebildet hatte. Dass die Renovierung der damals baufälligen Halle nicht zur Vertreibung ihrer Kreativbelegschaft führte, grenzt an ein Wunder. – Im Bild: Atelierbesuch bei Stefan Rohrer
Vor zehn Jahren waren die Wagenhallen ein exotischer Fleck ganz am Rand der „sauberen Schwabencity“. Erst langsam dämmerte es der Stadt, was für ein Schatz sich in jenem anarchistischen Areal gebildet hatte. Dass die Renovierung der damals baufälligen Halle nicht zur Vertreibung ihrer Kreativbelegschaft führte, grenzt an ein Wunder. – Im Bild: Atelierbesuch bei Stefan Rohrer
 Die Mietpreise von vier und fünf Euro würden sich genau im geplanten Rahmen bewegen, so Bischoff – damit erlaube man den Künstler*innen sich langfristig zu entwickeln und eine Existenz in der Kulturlandschaft der Landeshauptstadt aufzubauen.
Die Mietpreise von vier und fünf Euro würden sich genau im geplanten Rahmen bewegen, so Bischoff – damit erlaube man den Künstler*innen sich langfristig zu entwickeln und eine Existenz in der Kulturlandschaft der Landeshauptstadt aufzubauen.
 In das Projekt Wagenhallen eingegliedert wurde auf Anraten einer städtebaulichen Jury auch noch das umgebende Außengelände – das Übergangsquartier Container City. Diese Außenfläche dient auch der Weiterentwicklung der verschiedenen Künstler*innen der Wagenhallen. – Im Bild: Eröffnungfeier
In das Projekt Wagenhallen eingegliedert wurde auf Anraten einer städtebaulichen Jury auch noch das umgebende Außengelände – das Übergangsquartier Container City. Diese Außenfläche dient auch der Weiterentwicklung der verschiedenen Künstler*innen der Wagenhallen. – Im Bild: Eröffnungfeier
„Ich finde das Umfeld super, diese Vernetzung mit den ganzen verschiedenen Gewerken, da gibt es Grafiker, da gibt es Architekten, freie Künstler, Skulpturenhauer“, so Thomas Stromberger, Architekt, Bühnenbildner und ebenfalls Wagenhallen-Resident. – Im Bild: Robin Bischoff, Fabian Mayer, eine Jounalistin, Michel Cassertano und Künstler Oliver Köhler
„Ich finde das Umfeld super, diese Vernetzung mit den ganzen verschiedenen Gewerken, da gibt es Grafiker, da gibt es Architekten, freie Künstler, Skulpturenhauer“, so Thomas Stromberger, Architekt, Bühnenbildner und ebenfalls Wagenhallen-Resident. – Im Bild: Robin Bischoff, Fabian Mayer, eine Jounalistin, Michel Cassertano und Künstler Oliver Köhler
 Bei Künstler*innen und Publikum kommt der neue Look der Wagenhallen gut an – auch wenn es für Kettensägen-Skulpteur Thomas Putze schon fast wieder „zu chic“ ist. Und Star-Tänzer Friedemann Vogel fühlt sich gar an einen „Art District irgendwo in Peking“ erinnert. – Im Bild: Thomas Putze klettert blind an einem Stahlträger
Bei Künstler*innen und Publikum kommt der neue Look der Wagenhallen gut an – auch wenn es für Kettensägen-Skulpteur Thomas Putze schon fast wieder „zu chic“ ist. Und Star-Tänzer Friedemann Vogel fühlt sich gar an einen „Art District irgendwo in Peking“ erinnert. – Im Bild: Thomas Putze klettert blind an einem Stahlträger

„Kulturschutzgebiet“: Die renovierten Wagenhallen in Stuttgart

https://www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/kulturschutzgebiet-die-renovierten-wagenhallen-in-stuttgart-100.html?startTime=0.00&endTime=242.14

Das Stuttgarter Kunst- und Kulturareal Wagenhallen ist nach dreijähriger Renovierungsphase wieder von den Kreativen bezogen worden. Das Gelände ist im weiten Umkreis einmalig mit seinen Werkstätten aus unterschiedlichsten Sparten – Darstellende und Bildende Kunst, Film, Musik, Design, Architektur und Stadtplanung.

Wichtiger Raum für Kunst bleibt erhalten

Was nur selten Priorität hat, konnte in der badenwürttembergischen Landeshauptstadt in die Tat umgesetzt werden: „Positive Gentrifizierung“ nennt der Kunstverein Wagenhalle den Umbauprozess. Der Bestand ist jetzt auf Jahrzehnte gesichert und das Ziel, den ansässigen Künstler*innen erschwingliche Mieten zu garantieren, wurde fürs Erste erreicht.

Erfolgreiche Wieder-Eröffnung

Bei der Wieder-Eröffnung am Wochenende des 10./11. Oktober 2020 erhielt aber nicht nur die Projektidee, das selbsternannte „Kulturschutzgebiet“, an sich viel Applaus, sondern auch die Durchführung und das Endergebnis begeisterten viele Besucher*innen.

„Wenn man einen Platz für Kunst schafft, hat das eine Bedeutung für die ganze Menschheit.“ Friedemann Vogel, Ballett-Tänzer, bei der Eröffnung

11. Oktober 2020, Stuttgarter Zeitung

Ein Riesengewinn für die Stadt

Die Umbauten sind abgeschlossen: In den Wagenhallen sind die Künstlerateliers eröffnet worden. Damit besitzt Stuttgart ein spektakuläres Kreativquartier, das den gesamten Kulturbetrieb voranbringen wird.

Die Ateliers bestehen aus gestapelten Kuben mit geschlossenen oder transparenten Wänden.
Die Ateliers bestehen aus gestapelten Kuben mit geschlossenen oder transparenten Wänden.
Der letzte Etappe ist geschafft: Der Kunstverein Wagenhalle hat nun auch die Halle eröffnet
Der letzte Etappe ist geschafft: Der Kunstverein Wagenhalle hat nun auch die Halle eröffnet
Zum Eröffnungswochenende kamen viele Interessierte zu den Wagenhallen, schließlich ist die Eröffnung ein Meilenstein für die Stuttgarter Kunstszene.
Zum Eröffnungswochenende kamen viele Interessierte zu den Wagenhallen, schließlich ist die Eröffnung ein Meilenstein für die Stuttgarter Kunstszene.
Der Kunstverein Wagenhalle hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Gesprächspartner für die Stadt entwickelt.
Der Kunstverein Wagenhalle hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Gesprächspartner für die Stadt entwickelt.
Die Wagenhalle hat sich im Inneren komplett verändert. In den alten Ateliers musste viel improvisiert werden. Ziel der neuen Einbauten war es, den Anforderungen der Künstlerschaft möglichst gut gerecht zu werden.
Die Wagenhalle hat sich im Inneren komplett verändert. In den alten Ateliers musste viel improvisiert werden. Ziel der neuen Einbauten war es, den Anforderungen der Künstlerschaft möglichst gut gerecht zu werden.
Der Charme des historischen Gebäudes ist erhalten geblieben.
Der Charme des historischen Gebäudes ist erhalten geblieben.
Abstand halten fällt hier leicht. Die Künstlerinnen und Künstler haben jetzt insgesamt fast 10 000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung.
Abstand halten fällt hier leicht. Die Künstlerinnen und Künstler haben jetzt insgesamt fast 10 000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung.
Die neuen Ateliers sind in die Halle hineingestellt.
Die neuen Ateliers sind in die Halle hineingestellt.
Das Büro Atelier Brückner hat das 120 Jahre alte Gebäude ertüchtigt. . .
Das Büro Atelier Brückner hat das 120 Jahre alte Gebäude ertüchtigt. . .
. . .einzelne Holzkuben eingebaut, die die Künstlerinnen und Künstler nach ihren Bedürfnissen gestalten konnten.
. . .einzelne Holzkuben eingebaut, die die Künstlerinnen und Künstler nach ihren Bedürfnissen gestalten konnten.
Die Decken bestehen aus Holzbalken, so dass durch transparente Auflagen noch Licht fällt.
Die Decken bestehen aus Holzbalken, so dass durch transparente Auflagen noch Licht fällt.
Die Ateliers verfügen über zwei Etagen und eine Treppe nach oben. Fabian Kühfuß wollte in der oberen Etage anstelle einer Wand lieber eine Glasfront.
Die Ateliers verfügen über zwei Etagen und eine Treppe nach oben. Fabian Kühfuß wollte in der oberen Etage anstelle einer Wand lieber eine Glasfront.
Die Ateliers sind aus Holz gebaut. Nicht alle Mieter wollten weiße Wände, sondern den Charme der Spanplatten erhalten.
Die Ateliers sind aus Holz gebaut. Nicht alle Mieter wollten weiße Wände, sondern den Charme der Spanplatten erhalten.
Die Räume im Obergeschoss sind über einen langen Gang zugänglich. Über den flachen Decken der Ateliers sieht man das Dach der Halle.
Die Räume im Obergeschoss sind über einen langen Gang zugänglich. Über den flachen Decken der Ateliers sieht man das Dach der Halle.
Im Erdgeschoss erleichtern große Türen die Anlieferung von Material. Sogar eine Anfahrt mit dem Auto ist möglich.
Im Erdgeschoss erleichtern große Türen die Anlieferung von Material. Sogar eine Anfahrt mit dem Auto ist möglich.
Das Atelier Brückner wollte die Vergangenheit nicht verstecken. Stromkästen oder andere funktionale Elemente wurden erhalten und alte Kabel einfach durchgeschnitten.
Das Atelier Brückner wollte die Vergangenheit nicht verstecken. Stromkästen oder andere funktionale Elemente wurden erhalten und alte Kabel einfach durchgeschnitten.
Zum Eröffnungswochenende überraschten die neuen Mieter mit Kunst und Installationen.
Zum Eröffnungswochenende überraschten die neuen Mieter mit Kunst und Installationen.
So ordentlich wird das Atelier von Stefan Rohrer wohl nicht lange bleiben.
So ordentlich wird das Atelier von Stefan Rohrer wohl nicht lange bleiben.
Der Kunstverein hat sich zur Eröffnung auch grafisch neu Ausgestellt.
Der Kunstverein hat sich zur Eröffnung auch grafisch neu Ausgestellt.
 Bild 21 von 24 Zurück zum Artikel
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Im neuen Projektraum wird es künftig Ausstellung, Diskussionen und andere Veranstaltungen geben. Eine künstlerische Leitung gibt es nicht, ein Gremium entscheidet, was hier stattfinden wird.
Im neuen Projektraum wird es künftig Ausstellung, Diskussionen und andere Veranstaltungen geben. Eine künstlerische Leitung gibt es nicht, ein Gremium entscheidet, was hier stattfinden wird.
Sicher ist sicher: An der Decke des Projektraums hängt ein riesiger Rettungsring.
Sicher ist sicher: An der Decke des Projektraums hängt ein riesiger Rettungsring.
Der neue Projektraum ist vielseitig nutzbar. Die neu eingezogene Wand eignet sich für Ausstellungen, aber es ist auch Ton- und Lichttechnik vorhanden.
Der neue Projektraum ist vielseitig nutzbar. Die neu eingezogene Wand eignet sich für Ausstellungen, aber es ist auch Ton- und Lichttechnik vorhanden.

 

Stuttgart – So ordentlich wird das Atelier von Stefan Rohrer sicher nie mehr sein. Noch steht nur eine seiner dynamisch verwirbelten Autoskulpturen mitten in der großen Halle, bald aber wird hier heftig gearbeitet werden. Am vergangenen Wochenende sind die letzten Ateliers in den Wagenhallen offiziell eingeweiht worden. Damit besitzt Stuttgart eine spektakuläre, quietschlebendige Künstlerstadt, die den Kunstbetrieb verändern wird.

Mehrere Jahre lang ist das „Kulturschutzgebiet“, wie die Künstler das Areal getauft hatten, in eine vielfältige Produktionsstätte verwandelt worden. Im vergangenen Jahr ging neben zwei alten Atelierhäusern ein Neubau mit schöner Klinkerfassade in den Betrieb. Nun ist auch die große Halle fertig geworden, in die das Stuttgarter Architektur- und Gestaltungsbüro Atelier Brückner schlichte und zweckmäßige Holzbauten eingefügt hat, zweistöckige Ateliers aus einfachen Spanplatten. Die Nutzer konnten entscheiden, ob sie das blanke Holz oder weiße Wände wollten und ob der obere Raum abgeschlossen oder Galerie ist.

Ungewöhnlich für Stuttgart: Die neuen Ateliers sollten bezahlbar sein

Hundert Ateliers, Werkstätten und Studios stehen nun zur Verfügung, die die Misere der Künstlerschaft in der Stadt lindert, weil sie vor allem eines sind: bezahlbar. Zwischen 3,50 und 5,50 Euro kostet der Quadratmeter. Fast das gesamte Who’s who der Stuttgarter Kunstszene arbeitet nun hier – Thomas Putze, Pia Maria Martin oder Gabriela Oberkofler. Auch Justyna Koeke ist von Ludwigsburg in die Wagenhallen umgezogen, in denen nun gemalt, gesägt und programmiert wird, wo man schreiben „oder mal wieder spinnen kann“, wie es Sigrun Kilger vom Ensemble Materialtheater sagt.

Das Figurenspielkollektiv hat ebenfalls eines der zweistöckigen Ateliers bezogen, in dem der gesamte Arbeitsprozess stattfinden kann: von der Konzeption über den Bau der Figuren bis hin zu den Proben. „Es ist hier wahnsinnig inspirierend“, sagt Sigrun Kilger, „man hört immer jemanden, der etwas macht“ – und man kann sicher sein, dass sich alsbald neue künstlerische Kooperationen ergeben werden, von denen das Stuttgarter Kulturpublikum profitieren wird.

Möglich wurde all das durch das Engagement des 2004 gegründeten Kunstvereins, der sich von einer kleinen Initiative zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Stadt entwickelt und diese von den Investitionen in die Kunst überzeugen konnte. „Die Selbstorganisation war schwierig, für uns Künstler war es immer ein Zeitproblem“, erzählt die Malerin Susa Reinhardt und ist froh, dass Robin Bischoff inzwischen als hauptamtlicher Geschäftsführer des Vereins tätig ist. Dass er Architekt ist, kam dem Umbau des Areals durchaus zugute. Entscheidungen werden aber nach wie vor im Kollektiv getroffen. In Workshops wurde der Raumbedarf erarbeitet. Ein Gremium vergibt die Ateliers. Und selbstverständlich gibt es für den nun eröffneten Projektraum auch keine künstlerische Leitung, sondern ein Team. Das Programm in dem riesigen Projektraum wird von der Stadt mit 60 000 Euro pro Jahr unterstützt. Neben Ausstellungen soll es auch Veranstaltungen zur Stadtentwicklung geben. Eines der ersten Projekte wird eine Ausstellung zu afrikanischer Musik der Kolonialzeit sein.

Ein Gremium hat entschieden, welche Künstler einziehen

Auch wenn die gigantische Halle über das notwendige technische Equipment verfügt, ist ihr Charakter erhalten geblieben. In den Fluren hängen noch Sicherungskästen, deren Kabel einfach abgezwickt wurden. Zahllose Spuren erzählen in dem Gebäude von der Vergangenheit. Auch die großen Glasfronten wurden nicht ersetzt, sondern man hat neue Fenster vor sie gesetzt.

In den Containern sind bereits junge Künstlerinnen und Künstler nachgerückt

Die Containercity existiert ebenfalls noch. Hier fanden die Künstler während der Umbauten Unterschlupf. Kaum haben sie ihre neuen Ateliers bezogen, sind jüngere Künstler nachgerückt und hoffen, in den Containern bleiben zu können, selbst wenn die Oper hier ein Interimsgebäude erhalten sollte. Für Robin Bischoff ist diese Außenfläche mindestens so wichtig wie die Arbeit in den Wagenhallen selbst, da viele Projekte und Ausstellungen im Außenraum stattfinden. Und tatsächlich ist dieses Sammelsurium so charmant und originell, dass man es nicht missen will. Es hat schon seine Gründe, dass das „Kulturschutzgebiet“ 2018 mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet wurde.

11. Oktober 2020, Stuttgarter Zeitung

Der kreative Geist kann wehen

Mit dem neuen Atelierquartier der fertiggestellten Wagenhallen hat Stuttgart endlich die Chance, eine ernst zu nehmende Kunststadt zu werden, kommentiert unsere Autorin.

Auch der neue Projektraum in den Wagenhallen wird die Stadt beflügeln.
Auch der neue Projektraum in den Wagenhallen wird die Stadt beflügeln.

 

Stuttgart – Stuttgart ist keine Kunststadt. Die Mieten zu hoch, das Publikum satt: So formulierten es vor ein paar Jahren Kunststudenten und Akademieabsolventen in einer Studie– und bestätigten das, was Galerien seit Jahren beklagen. Der Standort taugt nicht für eine florierende Kunstszene. Deshalb suchen die meisten Künstlerinnen und Künstler irgendwann das Weite. Stichwort Berlin.

Bezahlbarer Arbeitsraum

Nun ist an den Wagenhallen die letzte Baumaßnahme abgeschlossen worden und Stuttgart hat tatsächlich eine Künstlerstadt erhalten, die Maßstäbe setzt. Dass man endlich verlässlichen und bezahlbaren Arbeitsraum in großem Stil geschaffen hat, wird nicht nur Künstlern die Möglichkeit geben, zu bleiben, es wird die gesamte Kunstszene verändern. Denn in einem so spannenden und lebendigen Areal empfängt man Sammler, Museumsleute, Kuratorinnen anders als in einer Werkstatt in Kaltental oder in einer Garage.

Gut, dass die Stadt die Chance genutzt hat, mit dem Pfund zu wuchern. Der kreative Geist, der nun endlich wehen darf, wird sich an vielen Stellen bemerkbar machen – ob in einzelnen Gemälden, ganz neuen Kooperationen oder ungewöhnlichen Ideen für die Stadtentwicklung.

7. Oktober 2020, Kontext: Wochenzeitung Ausg. 497

Am kommenden Wochenende sind am Stuttgarter Nordbahnhof Tage der offenen Tür: Nach dreieinhalb Jahren sind die KünstlerInnen aus ihrem Containerdorf wieder in die Wagenhalle zurückgekehrt. Alle Probleme sind damit noch nicht gelöst.

In der Wagenhalle reiht sich jetzt Atelier an Atelier – die Warteliste ist trotzdem lang.
In der Wagenhalle reiht sich jetzt Atelier an Atelier – die Warteliste ist trotzdem lang.
Manches ist noch gut verpackt, ...
Manches ist noch gut verpackt, ...
... anderes hat schon einen Platz gefunden.
... anderes hat schon einen Platz gefunden.
Requisite des Xciting-Festivals.
Requisite des Xciting-Festivals.
Arbeitsplätze gibt's auch vor der Halle, ...
Arbeitsplätze gibt's auch vor der Halle, ...
... dort lässt's Steffen Osvath rundgehen.
... dort lässt's Steffen Osvath rundgehen.
Moritz Junkermann rostet auch bei Regen nicht.
Moritz Junkermann rostet auch bei Regen nicht.
Kohei Matsunaga malt lieber drinnen. Hier in seiner Ausstellung während des Xciting-Festivals.
Kohei Matsunaga malt lieber drinnen. Hier in seiner Ausstellung während des Xciting-Festivals.

 

Wer sich von der Heilbronner Straße der Wagenhalle nähert, stößt gleich zu Beginn auf ein kleines Stück Brachland. Ein Trampelpfad führt hindurch. Ein gelber Reifen, Stäbe, wimpelartige Schilder an langen Stangen deuten an, dass es sich nicht nur um Wildwuchs handelt, sondern um ein Experimentierfeld. Es ist das „Theatre of the Long Now“, das Theater der ausgedehnten Jetztzeit. Eine Bühne für Bäume, denen man beim Wachsen zusehen kann. Nur braucht das etwas Geduld: Die Aufführungsdauer beträgt hundert Jahre.

„Kulturschutzgebiet“ steht auf einem halboffiziellen Schild. Geplant ist eine Allee vor den Toren der Wagenhalle, die schrittweise länger werden soll: jedes Jahr ein Baum, so wird der Wachstumsprozess erfahrbar. Ein wenig winkt das John-Cage-Orgelprojekt aus Halberstadt herüber, Tempovorschrift „As Slow as Possible“, so langsam wie möglich. Aber natürlich will all dies auch besagen, dass die Künstler das Gebiet am Inneren Nordbahnhof nicht so schnell wieder zu verlassen gedenken: dass sie sich hier dauerhaft einrichten wollen.

Das Theatre of the Long Now ist ein Projekt des Bureau Baubotanik, das sind die Architekten Hannes Schwertfeger und Oliver Storz, die zusammen mit Ferdinand Ludwig vor einigen Jahren das Prinzip des Bauens mit lebenden Bäumen entwickelt haben. Schwertfeger ist froh, dass sie nun nach dreieinhalb Jahren Containerdorf wieder in die Halle zurückkehren konnten. 130 Quadratmeter misst ihr neues Atelier, das ist etwas weniger als früher, aber mehr als doppelt so viel wie zuletzt im Container.

In ihrem Versuchsfeld voll Biobaumaterial: Oliver Storz und Hannes Schwertfeger.  In ihrem Versuchsfeld voll Biobaumaterial: Oliver Storz und Hannes Schwertfeger.
In ihrem Versuchsfeld voll Biobaumaterial: Oliver Storz und Hannes Schwertfeger. In ihrem Versuchsfeld voll Biobaumaterial: Oliver Storz und Hannes Schwertfeger.

Draußen betreute Bäume, drinnen Häuser im Haus

Bureau Baubotanik hat auch schon ein neues Projekt: Es heißt Habitat und beschäftigt sich mit dem Zusammenleben von Mensch, Pflanzen und Tieren. Der Naturschutzverband NABU ist mit an Bord, die Uni Hohenheim wird helfen, die Pflanzen und Tiere zu finden, die gut zusammenpassen. Wenn der Mensch kommt, insbesondere der Architekt, ist für Pflanzen und Tiere oftmals kein Platz mehr. Eine schädliche Entwicklung für alle. Zu erproben, wie es auch anders gehen könnte, wird vielleicht nicht gleich die Welt retten. Aber ohne solche modellhaften Ansätze kann es die dringend benötigten Veränderungen nicht geben.

Zur Wiedereröffnung der Wagenhalle am kommenden Wochenende bieten Storz und Schwertfeger noch einmal ihren Audiowalk an: Vor den Containern stehen Bäume, die von den dort tätigen Künstlerinnen und Künstlern betreut werden. Zwar sind diejenigen, die bisher dort gearbeitet haben, nun in die Halle zurückgezogen. Doch die Container sind schon wieder vermietet. Wer mit seinem Smartphone einen QR-Code scannt, erfährt etwas zu beiden: dem Baum und der KünstlerIn.

Es hat etwas länger gedauert als ursprünglich geplant. Mindestens ein Jahr, hieß es, als die Künstler Anfang 2017 wegen der Sanierung die Wagenhalle verlassen mussten. Eigentlich hat Atelier Brückner, das Büro, das den Umbau geplant hat, den Kostenrahmen von 30 Millionen Euro eingehalten. Bis auf ein kleines, aber wichtiges Detail: Für die Ateliers, die im Haus-in-Haus-Prinzip in die Halle eingebaut werden sollten, hat das Budget nicht gelangt. Also hat der Kunstverein neu verhandelt, eine gemeinnützige GmbH als Träger gegründet und einen Kredit von 1,7 Millionen aufgenommen, um selbst als Bauherr auftreten zu können.

Die große Halle der Wagenhalle.
Die große Halle der Wagenhalle.

Michael Föll, der damalige Kämmerer, hat zugestimmt, dass die Stadt dafür eine Bürgschaft übernimmt und die gGmbH die Ateliers für die ersten 18 Jahre kostenfrei erhält. Dies ist die Frist, innerhalb derer sie den Kredit abzahlen muss, erzählt Robin Bischoff, der in Personalunion als Vorstand des Kunstvereins und der gGmbH fungiert. Die KünstlerInnen zahlen nun eine kostengünstige Miete von 4,50 Euro pro Quadratmeter an die gGmbH, die dieser wiederum erlaubt, den Kredit abzustottern.

Um herauszufinden, wie viel Raum sie benötigen, rief Bischoff KünstlerInnen und einen Architekturstudenten zu einem Workshop zusammen. Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich: Einige brauchen kaum mehr als ein Zimmer. Ein Fotostudio oder ein Theater-Probenraum benötigen dagegen viel mehr Platz, und 2,50 Meter Deckenhöhe sind zu wenig. Die Gliederpuppe Dundu hat eine ganze Halle in der Halle bekommen. Um alles unter einen Hut zu bekommen, wurden die Ateliers in einer Holz-Modulbauweise erstellt. In acht Blöcken, zweigeschossig, wie eine Stadt mit engen Gassen, stehen sie nun in der Halle.

Hereinspaziert: einstöckiger Atelierraum, bezugsfertig.
Hereinspaziert: einstöckiger Atelierraum, bezugsfertig.

Allerdings musste für diese Bauweise ein neues Brandschutzkonzept her. Drei Monate für die Erarbeitung, drei Monate für die Prüfung: Und schon war wieder ein halbes Jahr um. Im November letzten Jahres eröffnete der neue Projektraum mit einem Theaterstück, einem Musikfestival und einer Ausstellung. Zu Jahresbeginn sollten nun endlich auch die KünstlerInnen einziehen. Dann kam Corona. Alles verschob sich noch einmal um fünf Monate. Den Mietausfall hat die Stadt übernommen.

"Hallo Halle!" mit offenen Ateliers

Einen kompletten Stillstand gab es freilich nicht. Allerdings musste das IBA-Forum der Internationalen Bauausstellung im Mai noch online stattfinden. Doch dann kam nach und nach wieder einiges in Gang, zunächst im Freien: eine Aufführung der Oper, die hier ihr Interimsquartier beziehen will; ein Projekt von fünf Künstlern an der nahe gelegenen Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“; schließlich ein ganzer „Kultursommer im Kulturschutzgebiet“ mit Kinderworkshops, Figurentheater und Führungen durch das Gelände.

Kurz vor der Eröffnung folgte Ende September die zweite Auflage des Xciting-Festivals mit MusikerInnen verschiedenster Genres aus allen Teilen der Welt. Die Amerikanerin Kali Malone spielte Orgel in der Sankt-Georgs-Kirche. Zu einer Art Trance-Dub provozierte Klein, Tochter nigerianischer Eltern aus London, mit blendendem Flashlight, sodass man überhaupt nicht hinsehen konnte. Krönender Abschluss war der Auftritt der außergewöhnlichen Violinistin und Sängerin Ana Kravanja aus Slowenien.

Schon bezogen: die Ateliers von Moritz Junkermann ...
Schon bezogen: die Ateliers von Moritz Junkermann ...

So ein Festival lässt sich allein aus Vereinsmitteln nicht stemmen. Seit 2018 erhält der Kunstverein eine jährliche institutionelle Förderung der Stadt in Höhe von 60.000 Euro. Doch das Geld muss gerecht verteilt werden. Moritz Junkermann und sein Team, die das Festival veranstaltet haben, mussten selber weitere Mittel einwerben. Veranstalten kann jede/r, der oder die Lust hat, sich in einer der offenen Gruppen zu engagieren, die sich um Kunst, Musik, Theater, Film und Stadtentwicklung kümmern. Gelegentlich wird der Projektraum auch vermietet, allerdings nicht wie nebenan im Kulturbetrieb Wagenhalle an Unternehmen zu hohen Preisen, sondern eher im nichtkommerziellen Bereich.

Nun warten am kommenden Wochenende die Ateliers auf neugierige Besucher. Steffen Osvath zum Beispiel hat seine Räume direkt hinter einem der Tore der alten Halle. Er ist bereits im Juli eingezogen und hat sein neues Domizil auf anderthalb Etagen wohnlich eingerichtet. Osvath arbeitet mit alten Fotos, aber auch als Setdesigner für die Bühne und Ausstellungsgestalter. Räume einzurichten ist sozusagen sein Metier, und es sieht bei ihm fast so aus, als wäre er schon immer da.

... und Steffen Osvath.
... und Steffen Osvath.

Alles paletti also? Nicht ganz, denn noch ist die größere Frage nicht beantwortet, wie es auf dem Areal am Inneren Nordbahnhof insgesamt weitergehen soll. Ursprünglich war einmal ein reines Wohngebiet geplant. Dann hat die Wählergruppe der Stadtisten in der Bürgerbeteiligung zum Rosensteinquartier, zu dem das Gebiet gehört, den Gemeinderat überzeugt, insgesamt fünf Hektar für kulturelle Nutzungen zu reservieren.

Projekt und Projektionsfläche bei IBA und "Maker City"

Diese Forderung ging auch in den städtebaulichen Wettbewerb ein, den das Büro asp gewann, das aus dem Gebiet eine „Maker City“ machen will: eine kreative Mischung aus Wohnen und Arbeiten. Zur selben Zeit wurde die Container City der Wagenhallen-Künstler im Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet. Das vielfältig nutzbare Areal sei zu einem Impulsgeber und programmatischen Baustein für das zukünftige Quartier geworden, hieß es in der Begründung. Und auch der Stadtacker, das größte innerstädtische Urban-Gardening-Projekt, gleich im Anschluss an das Containerdorf, hat mehrere Auszeichnungen eingeheimst – vom Verschönerungsverein bis hin zur UN-Dekade biologische Vielfalt.

Dazu kommt: Vor zwei Jahren befand eine von Oberbürgermeister Fritz Kuhn eingesetzte Task Force, dass es für das Opern-Interim während der Sanierung keinen anderen geeigneten Standort gäbe als direkt neben der Wagenhalle. Eine ziemlich komplexe Situation, zu der sich die Wagenhallen-Künstler als direkt Betroffene natürlich ihre eigenen Gedanken machen. Robin Bischoff hat am Rosenstein-Dialog teilgenommen. Kunstverein und Stadtacker haben selbst ein Arbeitspapier entworfen, wie sich das Quartier entwickeln soll.

Es gibt also eine Flächenkonkurrenz, die sich umso stärker bemerkbar macht, je weiter die Entwicklung voranschreitet. Bezahlbare Wohnungen werden dringend benötigt. Die Oper braucht einen Interimsstandort. Aber ebenso fehlen Ateliers für Künstler. Dies war bereits eines der zentralen Themen im Stuttgarter Kulturdialog 2011 bis 2013, und die Situation ist seither nicht viel besser geworden. Obwohl die Container längst wieder vermietet sind, stehen beim Kunstverein Wagenhalle ständig um die 40 KünstlerInnen auf der Warteliste.

Dies alles verlangt nach einer intelligenten Lösung. Und da das allen Beteiligten klar ist, haben die Stadt ebenso wie Kunstverein und Stadtacker sich unabhängig voneinander bei der IBA beworben. Sie sind nun in einem Boot. Und das Bild, mit dem die Bauausstellung das Projekt „Quartier C1 Wagenhallen“ ankündigt, zeigt das Verkehrsschild mit der Aufschrift „Kulturschutzgebiet“ und der Andy-Warhol-Banane, im Hintergrund das Containerdorf. Konkret geht es im November weiter, wenn das Büro asp an die Wagenhalle kommt, um das weitere Vorgehen zu sondieren. Im kommenden Jahr sollen dann weitere, öffentliche Diskussionsrunden folgen.

Mit „Hallo Halle!“ feiert der Kunstverein Wagenhalle e.V. von Freitag, 9. bis Sonntag, 11. Oktober die Wiedereröffnung der Ateliers im Kulturschutzgebiet: am Freitag und Samstag von 14 bis 18 Uhr, am Sonntag von 13 bis 18 Uhr. Mehr Informationen hier.

1. Oktober 2020, Lift - das Stuttgart Magazin

Drei Jahre mussten die 127 KünstlerInnen des Kunstvereins Wagenhallen auf Container ausweichen, nun ist die Sanierung der Wagenhallen am Stuttgarter Nordbahnhof endlich abgeschlossen. Dabei entstanden in Eigenregie neue Ateliers in Holzbauweise, die für jede Kunstsparte die passenden Räumlichkeiten bieten – etwa für Werkstätten oder Proberäume.

Jetzt will der Verein die neuen Wirkungsstätten bei den Tagen der offenen Ateliers der Öffentlichkeit präsentieren. „Aufgrund der Pandemie beschränken wir uns auf kleinere Programmpunkte wie Walking Acts oder Performances“, sagt die stellvertretende Vorsitzende Sylvia Winkler. Programmschwerpunkt ist ein Stop-Motion-Film der Künstlerin Andrea Roggon, der die Sanierung und den Hallenausbau im Zeitraffer zeigt.

Unter Dach und Fach ist auch die Zukunft des Vereins: „Unser 30-jähriger Mietvertrag gibt uns neue Perspektiven und Planungssicherheit“, freut sich Winkler.

Hallo Halle – Tage der offenen Ateliers [9.-11.10. 14-18 Uhr, Innerer Nordbahnhof 1, S-Nord, www.kunstverein-wagenhalle.de]

21. Juli 2020, Stadtkind

Architektur, Theater, Kunst, Film und Musik – von Juli bis Mitte September lädt der Kunstverein Wagenhalle zum Kultursommer in die Container City ein.

 

Stuttgart – Der Kessel muss in diesem Sommer zwar ohne Feste auskommen, nicht aber ohne kleine, feine Kultur-Veranstaltungen. Die haben wir lange genug schmerzlich vermisst. Nun geht es auch endlich mal wieder in den Stuttgarter Norden. Der Kunstverein Wagenhalle lädt an drei Samstagen zum Kultursommer im Kulturschutzgebiet ein.

Kultur in der Container City

Die Veranstaltungsreihe beginnt am 25. Juli und gibt einen Einblick in die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler am Nordbahnhof: temporäre Architektur, Performances, Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, Filme und Musik – all das wird auf einer eigens errichteten Open-Air-Bühne im Zentrum der Container City präsentiert.

Auch für Kinder ist einiges geboten. Schon der Auftakt widmet sich den Kleinen: Das Festival startet mit einem Figurentheater von Oliver Köhler, Kreativ-Workshops und dem Stück „Frühstücksmärchen“ vom Ensemble Materialtheater.

Eine Alm im Container-Dorf, Austellungen und Performances

Am 8. August laden die Künstlerinnen und Künstler dazu ein ungewöhnliche Räumlichkeiten zu besuchen: eine Alm im Container-Dorf oder etwa ein mobiler Beichtstuhl sind Orte für Austellungen und Performances.

Den Abschluss bilden schließlich die Programmpunkte am 12. September. Unter anderem wird der mit dem Grimme Preis ausgezeichnete Dokumentarfilm „Alarm am Hauptbahnhof“ vom Filmkollektiv Böller&Brot gezeigt. Der Film dokumentiert den Protestsommer gegen Stuttgart 21 vor genau zehn Jahren.

Natürlich gelten auch bei dieser Veranstaltung die Corona-Verordnungen. Deshalb ist nur eine begrenzte Anzahl Besucher zugelassen. Außerdem wird um eine verbindliche Anmeldung gebeten.

21. Juli 2020, Kontext: Wochenzeitung

Während der Saal nicht bespielt werden kann, erprobt die Stuttgarter Staatsoper neue Formate. Und siehe da: Am Hafenkai oder vor der Wagenhalle entsteht in der untergehenden Abendsonne eine magische Atmosphäre, mit der das Opernhaus nicht mithalten kann.

Nachmittags gab es noch Starkregen, wenn auch nicht so stark wie am Vortag. Aber am Samstagabend gegen 19 Uhr ist der Himmel vor der Wagenhalle blau mit einzelnen Schönwetterwolken, die Luft klar und die Sonne immer noch warm. Wer rechtzeitig da ist, kann sich entscheiden, ob er auf den mit Abstand gestellten Stühlen in der Sonne oder im Schatten Platz nehmen will. 50 Zuschauer sind zugelassen.

„Die Geschichte vom Soldaten“ schrieb Igor Strawinsky mit dem Schriftsteller Charles-Ferdinand Ramuz gegen Ende des Ersten Weltkriegs. In Russland war Revolution, der Komponist ging nicht zurück. Doch auch in der neutralen Schweiz unterlag das Kulturleben starken Einschränkungen. Eine Parallele zu heute?

Eine Parallele ist jedenfalls, dass bereits Strawinsky das Stück für eine mobile Wanderbühne konzipiert hatte: Ein Bauwagen sollte von Dorf zu Dorf ziehen, so die ursprüngliche Idee, bis die Spanische Grippe dem Plan einen Strich durch die Rechnung machte. Der Stuttgarter Operntruck ist der Planenauflieger (auch Tautliner genannt) eines gemieteten Sattelschleppers. Da Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart, großes Interesse hat, mit den Wagenhallen-Künstlern, seinen Nachbarn am künftigen Standort der Interimsoper, zusammenzuarbeiten, wandte er sich Anfang Mai an das Architekturbüro „studio umschichten“.

Drei Wochen für die Gestaltung

Gestaltete den Operntruck: Alper Kazokoglu vom Studio Umschichten.
Gestaltete den Operntruck: Alper Kazokoglu vom Studio Umschichten.

„Wir waren schon ein wenig nervös“, bekennt Alper Kazokoglu. Schließlich soll die Oper mit ihren Interimsbauten, ihren 1500 Mitarbeitern und ebenso vielen Gästen bald in die unmittelbare Nachbarschaft der 100 Wagenhallen-Künstler ziehen. Kazokoglu ist seit Anfang 2019 bei „studio umschichten“. Wie die Bürogründer Peter Weigand und Lukasz Lendzinski, der inzwischen in Hamburg weilt, hat er Architektur studiert, war aber mit einem Abschluss in Szenografie prädestiniert, den Operntruck zu gestalten.

Auch Weigand ist angetan. Die Zusammenarbeit mit den Opern-Technikern war gut, an anderen Opern- oder Theaterhäusern hat er ganz andere Erfahrungen gemacht. Freilich blieb nicht viel Zeit. „Es musste alles ganz schnell gehen“, erzählt er, gerade mal drei Wochen standen zur Verfügung. Gemeinsam haben sie das Materiallager des Opernhauses am Hallschlag besichtigt. „studio umschichten“ arbeitet grundsätzlich nur mit Materialien, die anschließend weiterverwendet werden – so genanntes Precycling – oder immer wieder neu zum Einsatz kommen. Bei der Oper wird auch vieles weggeworfen. Neue Spanplatten sind auf Vorrat in den Regalen gestapelt.

Das wichtigste Gestaltungselement der Inszenierung ist die Korrespondenz zwischen der nicht ganz aufgezogenen Plane vorne links, die wie ein Bühnenvorhang wirkt, und dem roten Vorhang rechts hinten, durch den die zwei Tänzerinnen und der Schauspieler die Bühne betreten. Vom vorderen Rand führen mehrere schräge Rampen hinab. Die sieben Musiker*innen sitzen links unter schwarzen Zeltdächern.

Allegorie des Kapitalismus

„Die Geschichte vom Soldaten“ beruht auf einem russischen Märchen. Der Soldat verkauft seine Violine dem Teufel, gegen ein Buch, das ihm erlaubt, in die Zukunft zu sehen. Er wird reich, aber auch gefühllos. Es mag ein Volksmärchen sein, aber es gibt viele Bezüge zur Gegenwart, 1918 wie heute. Ramuz und Strawinsky gehen aus von der Situation der vielen Kriegsheimkehrer und machen daraus eine Allegorie des Kapitalismus. Der Soldat kommt zu Vermögen, weil er weiß, wie sich die Börsenkurse entwickeln. Das Stück erzählt eine einfache Geschichte, den Kommentar dazu liefert die Musik: wenn die Marschrhythmen ins Stolpern geraten oder die betörenden Akkorde der Geige die Zuhörer in Bann halten.

Szene aus
Szene aus "Die Geschichte vom Soldaten", vorne Alexandra Mahnke in der Titelrolle. Foto: Martin Sigmund

Alexandra Mahnke bietet dazu das adäquate Bild des Soldaten: Mit weiß geschminktem Gesicht, ungelenk ein Bein nachziehend, strammstehend, verzückt an einer Violinen-Attrappe die Kurbel drehend, erinnert sie an eine Stummfilmfigur. Auch Miriam Markl macht ihre Sache als Handlangerin und später Prinzessin gut. Einzig Robert Rožić, der als Erzähler den gereimten Text der deutschen Übersetzung vorträgt und zugleich den Teufel darstellt, übertreibt. Mit Einwürfen wie „Wow, wow, wow, so viel Emotionen!“, Schweizer Dialekt, französischem Akzent und viel Rumgehampel versucht er krampfhaft, zeitgemäß und witzig zu sein, und wirkt doch zumeist nur albern.Aber das kann dem schönen Abend kaum Abbruch tun, ebenso wenig wie die unvermeidlichen Geräusche von außen, etwa wenn einmal längere Zeit die Kirchenglocken läuten. Während die Sonne langsam tiefer sinkt, verzaubern die Klänge der Musik, und der finale Tanz des Soldaten und der Prinzessin verdichtet sich zu einem außergewöhnlichen Sommererlebnis, dessen Ausgang der Deutung jedes Einzelnen überlassen bleibt und das auf dem Heimweg noch viel Stoff zum Nachdenken bietet.Was stört ist allenfalls der Zaun. Vielleicht geht es wegen der Abstandsregeln und Platzbeschränkungen nicht anders, aber für die Künstler draußen muss die Aufführung wie ein sperriger Eindringling erscheinen, während die Besucher drinnen von dem Künstlerdorf nichts mitbekommen. Oder liegt es an den Tickets? Kann die Oper, bei einem Etat von mehr als 50 Millionen Euro, nicht auch einmal auf maximal 600 Euro pro Vorstellung verzichten?

Eskapismus am Hafen
Keinen Zaun braucht es am Hafen, wo die Staatsoper „Die Blume von Hawaii“ inszeniert, eine 1931 uraufgeführte Operette, man könnte auch Musical sagen, des damals äußerst erfolgreichen Komponisten Paul Abraham. Es gibt eine Art Pforte, und von selbst kommt hier ohnehin niemand vorbei. Hafen klingt nach Exotik, Aufbruch, Abenteuer, eben den Themen, die in „Die Blume von Hawaii“ angesprochen sind. Der Stuttgarter Hafen wäre dagegen mit dem Wort Binnenschifffahrtsverladestelle treffender charakterisiert. Lange Kolonnen von Lkw parken an den Rändern der Straßen, die prosaische Namen wie „Am Ostkai“ oder „Am Mittelkai“ tragen.

„Ein Paradies am Meeresstrand/ wär‘ das mein Heimatland“: So beginnt die Operette nach einer jazzigen Einführung der sechsköpfigen Band auf einem Schlepper, der links senkrecht an die Kaimauer angedockt hat, während die fünf Darsteller*innen auf einer Bühneninsel stehen, singen, tanzen, sich räkeln. Eigentlich ist die Umgebung alles andere als paradiesisch: der Neckar zum Kanal degradiert, gegenüber die riesigen Kästen von Rhenus Logistics und auch sonst nichts als Beton, Stein und Asphalt. Doch was braucht es mehr als ein paar bunte Hemden und aufblasbare Requisiten, die muntere Musik des Ensembles und die richtige Beleuchtung, um der Fantasie auf die Sprünge zu helfen.

„Die Blume von Hawaii“ ist Eskapismus pur. Der Hauptfigur, der hawaiianischen Prinzessin Laya, kommt Fiorella Hincapié am nächsten. Doch es ist eigentlich gar nicht die Operette von Paul Abraham, die hier zur Aufführung gelangt, sondern eher eine Nummernrevue: Einige der bekanntesten Lieder aus dem Singspiel sind verbunden durch allerhand Amüsantes aus der Kulturgeschichte, meistens zum Thema Hawaii.

Dabei kommt die Entstehung des Hawaii-Toasts ebenso zur Sprache wie der Ursprung des Hawaii-Hemds, und auch die Hawaii-Gitarre darf natürlich nicht fehlen. Einmal lutschen alle fünf ein Capri-Eis, und es ist auf einmal völlig egal, dass der Hawaii-Toast erst aus der Nachkriegszeit stammt. Stand es nicht im Programmheft, die Operette sei „witziger, schneller, anzüglicher, sicher auch oberflächlicher“ gewesen als ihre große Schwester, die Oper, „bevor sie in der Bundesrepublik zu einem Heile-Welt-Kitsch aus der guten alten Zeit verklärt wurde“?

Nach dem Kuss wird sofort desinfiziert

Die dürfen das.
Die dürfen das.

Die Aufführung ist aus den Corona-Einschränkungen geboren. Hände desinfizieren ist Pflicht, aber die Zuschauer dürfen diesmal auch paarweise auf den Paletten Platz nehmen: wenn sie in einem Haushalt leben. Anspielungen finden sich auch im Bühnengeschehen wieder. Bei „Kann nicht küssen ohne Liebe“, seinerzeit ein Top-Seller, küssen sich Matthias Klink und Natalie Karl auf der Bühne. Sofort eilt Moritz Kallenberg mit dem Desinfektionsspray herbei und sprüht, was das Zeug hält. Dabei dürfen die das, denn sie leben in einem Haushalt.

„Unter der Überschrift ‚quick & dirty‘ wollen wir Werke aus der wunderbaren Welt der Operette und des Musicals zeigen“, kündigt die Staatsoper an und macht es sich, wie sie selbst schreibt, „relativ einfach: nicht länger als 90 Minuten, maximal 5 Personen, 14 Tage Proben, 3 Aufführungen, nicht im Opernhaus.“ Ein wenig hapert es noch mit dem ungewohnten Format. 70 Minuten – in diesem Fall – sind zwar schnell vorbei, schneller als ein dreistündiger Opernabend. Aber „quick“, also schnell: Dafür gibt es dann doch manchmal zu lange Kunstpausen. Paul Abraham hätte sich das nicht leisten können. Als er das Stück schrieb, nach der Weltwirtschaftskrise, hungerten die Leute nach Unterhaltung – ähnlich wie junge Menschen heute, die nach drei Monaten Abstandsregeln wieder leben wollen.

Einmal zieht Martin Bruchmann eine Flaschenpost aus dem Neckar. Nach theatralischem Entkorken trägt er die Geschichte von Paul Abraham vor, der nach der Machtergreifung der Nazis über Nacht vom Megastar zum Mr. Nobody wurde. 100 Schlager hatte er nach eigenem Bekunden wöchentlich geschrieben. Im New Yorker Exil dirigierte er verwirrt den Verkehr, und als er 1956 in die BRD zurückkehrte, glaubte er, er sei immer noch dort und stünde kurz vor dem Durchbruch. „Das Paradies mag eine Insel sein“, heißt es am Schluss, „die Hölle ist es auch.“

Ein Korrespondent der New York Times ist aus München angereist. Es gebe nicht viele Opernhäuser, die so kreativ mit den Einschränkungen umgehen wie in Stuttgart, meint er. Eine Zuschauerin möchte von den zwei Journalisten wissen, für welche Zeitungen sie tätig sind. „Sie müssen unbedingt schreiben“, insistiert sie, „wie toll das ist, dass die Oper endlich auch einmal an solche Orte kommt.“

12. Mai 2020, Stuttgarter Zeitung

Die Lage am Neckar wird in der Stadt und der Region Stuttgart viel zu wenig genutzt. Damit beschäftigte sich auch das fünfte Plenum der Internationalen Bauausstellung IBA 2027. Doch nicht alles lief glatt, manches fiel ins Wasser.

Stuttgart – Die Künstlerinnen Ute Beck und Karin Sauerbier vom Kunstverein Wagenhalle haben es vorgemacht: Sie hoben am Donnerstagabend ihr ­Neckargold – eine 49 Quadratmeter große goldene Folie, die sie aus dem Fluss auf den Berger Steg zogen. Die Botschaft ist klar: Auch die Politik müsse endlich den Schatz heben, den der Neckar bietet. Die Kunstaktion war Teil des fünften Plenums der Inter­nationalen Bauausstellung (IBA) 2027 Stadt-Region Stuttgart, das Corona-bedingt vom Veranstaltungsschiff Fridas Pier per Livestream übertragen wurde und unter dem Motto stand: „Der Fluss gehört allen.“

Weder identitätsstiftend noch blau

Zwar gab und gibt es bedeutsame Projekte, um den Neckar für die Bevölkerung erlebbarer zu machen – vom Masterplan und dem Landschaftsparkprojekt der Region bis hin zu Aktivitäten der Stadt Stuttgart und anderer Kommunen. Aber noch immer ist der Neckar nicht das „identitätsstiftende blaue Band“, von dem OB Fritz Kuhn (Grüne) in seinem Grußwort sprach: Weder ist der Fluss im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert, noch lässt seine braun-grünliche Färbung auch nur leichte Spuren von Blau erkennen. Der Neckar war und ist ein Problemkind der Politik in Stadt und Region, und passend zu dieser Einschätzung bestimmten dann auch technische Pannen das virtuelle IBA-Plenum, dem in Spitzenzeiten bis zu 200, zum Schluss noch rund 90 Interessierte im Netz folgten.

Virtuelles Plenum mit Pannen

„Es könnte schon ein bisschen besser funktionieren“, musste auch IBA-Intendant Andreas Hofer im Lauf des Abends einräumen, als eine Rednerin mal wieder zu sehen, aber nicht zu hören war. Manchmal war es auch umgekehrt, was die Sache nicht viel besser machte. „Wir probieren ein völlig neues digitales Veranstaltungsformat“, sagte Moderatorin Hannah Pinell, die mit Kapitänsmütze auf der Brücke von Fridas Pier stand: „Ein Experiment im Großexperiment IBA.“ Dass Ersteres geglückt wäre, lässt sich nicht sagen, der Lerneffekt dürfte aber groß sein, zumal die IBA in Corona-Zeiten vermehrt auf digitale Formate setzen werde, so Hofer, auch wenn einige Projektpartner wie Kommunen und Investoren in letzter Zeit „etwas abgetaucht“ seien: „Wir warten nicht, bis die Krise vorüber ist, sondern suchen neue Wege“, sagte er.

Industrie soll am Fluss bleiben

In den Workshops und den Aussagen von Experten zum Neckar stand immer wieder ganz oben, dass das Baden im Neckar wieder möglich gemacht werde müsse. Doch es gab eine Vielzahl anderer Ideen: mehr Kunst und Aktionen am Fluss, einen autofreien Sonntag auf den Uferstraßen, die Aufwertung des Hafens als urbaner Raum bis hin zu einer im Neckar schwimmenden Badeanstalt, deren Becken mit Mineralwasser gefüllt sind, oder Gemüse- und Trödelmärkte auf dem Fluss. Liveschaltungen nach Kiew, Madrid, Warschau und Breslau zeigten, wie weit andere Städte gekommen sind, wobei Hofer auf einen wichtigen Unterschied hinwies: „Das sind Beispiele, wie nach einer Deindustrialisierung eine Freizeitnutzung kam. In Stuttgart und der Region wollen wir das Gewerbe am Fluss nicht verdrängen.“ Aber warum müsse Daimler ein Parkhaus direkt ans Ufer stellen, fragte Hofer; wäre eine Kantine dort nicht besser platziert? Deshalb ist seine Vision auch, dass der Neckar ein produktiver Raum bleibt: „Ich will 2050 an einer Fa­brik vorbeischwimmen.“ An Zukunftsplänen mangelt es also nicht – wie aber sie realisieren? Man müsse Räume für die Bürger zugänglich machen, daraus entstehe dann schon etwas, sagte Ute Meyer, Städtebau-Professorin an der Hochschule Biberach. Für Hofer könnte der Neckar, um den sich zahlreiche Behörden kümmern – was leicht zu gegenseitigen Blockaden führe – ein gutes Beispiel für eine neue Planungskultur sein – mit der IBA als Antreiber? „Ich will 2027 schon etwas Gebautes sehen“, sagte Hofer. Groß war auch der Wunsch in den Workshops, rasch etwas zu tun. „Wir wollen zum Machen kommen“, fasste Moderatorin Nina Riewe die Stimmung der Teilnehmer zusammen.

Wird die IBA zum Antreiber

Da hatte Iradj Esmailpour vom Kunstverein Wagenhalle seine Flaschenpost mit dem Hölderlin-Zitat „Glückliches Stuttgart, nimm freundlich den Fremdling mir auf“ schon in den Fluss geworfen. Auch eine Botschaft für die Vielfalt als Identität der Region, aber auch ein Symbol dafür, dass der Neckarschatz bisher, wenn überhaupt, langsam gehoben wird, zu langsam. Ob die IBA das Tempo erhöht?

31. Januar 2020, G+L Magazin für Landschaftsarchitektur

Hundert Jahre nach der Eröffnung der Weißenhofsiedlung verspricht die IBA Stuttgart 2027 wegweisende Innovationen. Im März 2019 nahm die Internationale Bauausstellung die ersten Projekte auf. Darunter das Wagenhallen-Quartier, das seit vielen Jahren durch die Stuttgarter Kreativszene geprägt wird. Im Rahmen der IBA wollen Künstler und Stadt das Areal um die Wagenhalle zum Experimentierfeld für produktiv-kreative Pilotprojekte und Konzepte zur zukunftsfähigen Stadt entwickeln. Doch es entstehen bereits jetzt erste Begehrlichkeiten, die den kreativen Ort gefährden.

Die IBA 2027 für die Stadt und Region Stuttgart hat es gut. Sie kann sich in den Windschatten der Weißenhofsiedlung stellen und darauf abzielen, wie vor hundert Jahren Architekturgeschichte schreiben zu wollen. Damals provozierten die Häuser am Stadtrand die Diskussion um das Leben,Wohnen und Arbeiten im Industriezeitalter. 2027 soll die IBA Ähnliches leisten. Sie soll „radikal neue Ideen für die Stadtregion im Zeitalter von Digitalisierung, Klimawandel und Globalisierung“ präsentieren, heißt es in deren Memorandum. Obwohl die Bauausstellung erst in den Anfängen ihres zehnjährigen Aktionszeitraumes ist, ist die Debatte um die zukunftsweisende Entwicklung der Stadt schon in vollem Gange.

Zu einem der bisher angemeldeten IBA Projekte gehört das sogenannte C1 Wagenhallen-Quartier. Die Bezeichnung C1 stammt aus der Rahmenplanung für Stuttgart 21. Während die durch den Bahnumbau freiwerdenden Gleisflächen in der Innenstadt als Baufelder A bezeichnet und derzeit entwickelt werden, warten die B- und C-Flächen noch einige Jahre auf ihre Neunutzung. Das als C1 bezeichnete Areal, nur drei Kilometer nördlich der Innenstadt, aufgespannt zwischen Pragfriedhof und altem Nordbahnhof, wartet aber nicht als Brache auf seinen Umbau. Vielmehr lockte der alte Lokschuppen auf dem Gelände schon früh Künstler an. Auf deren Initiative kaufte die Stadt 2003 die sogenannten Wagenhallen und vermietete darin Ateliers und Werkstätten zur Zwischennutzung.

VOM KUNSTORT ZUM „KULTURSCHUTZGEBIET WAGENHALLEN“

Lange bevor von einer IBA in Stuttgart die Rede war, machten Kreative verschiedener Sparten die Wagenhallen im Stuttgarter Norden zu einer einzigartigen Produktionsstätte für Malerei, Fotografie, Architektur, Baubotanik, Theater und vielem mehr. Mit zwei bis drei großen Kunstprojekten pro Jahr und im regen Austausch mit anderen kreativen Initiativen der Stadt wurden die Wagenhallen zu einem stadtbekannten Kunstort. Schließlich ist es dem Engagement der Künstler zu verdanken, dass die Hallen nicht abgerissen, sondern denkmalgerecht saniert wurden. Denn als brandschutztechnische Gründe die Nutzung als Ateliers bedrohten, sicherte die Stadt dem mittlerweile gegründeten Kunstverein Wagenhalle die dauerhafte Weiternutzung zu. Für die Bauzeit bot die Stadt den Kunstschaffenden eine alternative Nutzungsfläche unweit der Hallen an. Auch die Gestaltung dieses Interimsquartiers wurde zum ausgezeichneten Projekt: Die Ateliers, Werkstätten, Proberäume und Büros des Kunstvereins wanderten in etwa hundert Container, die auf der Fläche neben dem Lokschuppen aufgestellt wurden. Diese provisorisch gedachte Container City ist durch zahlreiche Ausstellungen, Vorträge, Symposien und Workshops zum zentralen Treffpunkt der kreativen Szene geworden. Die Mitglieder des Kunstvereins sprechen mittlerweile sogar vom „Kulturschutzgebiet Wagenhallen“. Sie sehen, dass von diesem Ort mit seinen verschiedenen Akteuren und vielschichtigen Projekten wichtige Impulse für die Stadtentwicklung ausgehen. Das sehen nicht nur die Künstler so. Das Kulturschutzgebiet wurde 2018 im Rahmen des Deutschen Städtebaupreises mit einer Belobigung ausgezeichnet. Darin heißt es, dass „diese Form ephemerer Stadtentwicklung […] zur Schnittstelle zwischen Ateliergemeinschaft und Stadtgesellschaft“ geworden ist. Das Kulturschutzgebiet ist damit zu einem „Impulsgeber und programmatischen Baustein für das zukünftige Quartier“ geworden. Und mit diesem Quartier ist nicht nur die von ehemaliger Eisenbahnnutzung geprägte alte Umgebung der Wagenhallen gemeint. Das Kulturschutzgebiet soll vielmehr eine wichtige Rolle im neu zu gestaltenden Rosenstein-Quartier spielen.

KULTURSCHUTZGEBIET WIRD KREATIVER HOTSPOT IM ROSENSTEIN-QUARTIER

Als Rosenstein-Quartier werden etwa 85 Hektar Entwicklungsfläche nördlich der Stuttgarter Innenstadt bezeichnet, die durch die Umstrukturierungen des Bahnverkehrs frei werden (G+L berichtete zum Beteiligungsprojekt Rosenstein in der Ausgabe02/2017). Hier sieht die Stadt Stuttgart die Chance, eine neue Städtebaukultur zu etablieren. Es sollen städtebauliche Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu Flächenknappheit, Mobilität, Klimaanpassung, Wachstumsdruck und Bezahlbarkeit von Wohnraum gefunden werden. Die IBA 2027 ist dabei hilfreicher Rahmen, um diese Zukunftsthemen zu diskutieren. Erste Lösungsansätze, die die Gewinner des kürzlich prämierten städtebaulichen Wettbewerbs erarbeitet haben, strotzen nicht vor Innovation. Laut Preisgericht spiegelt der Siegerentwurf den klassischen Städtebau einer dichten europäischen Stadt wider. Ob dieser dazu taugt, wirklich zukunftsweisende Stadtentwicklung zu entwickeln, bleibt abzuwarten. Da voraussichtlich noch viele Jahre ins Land gehen werden, bis die Flächen des neuen Rosenstein-Quartiers dann wirklich für die Umnutzung verfügbar sind, kann noch viel diskutiert werden. Ein Areal innerhalb des Wettbewerbsgebiets setzt sich von der „klassischen europäischen Stadt“ ab: die „Maker City“. Als Kreativquartier, als Experimentierfeld oder Stadtlabor wird das Areal rund um die Wagenhallen von den Entwurfsverfassern des Wettbewerbs beschrieben. Es soll zum Pionierfeld in Stuttgart werden, was den Vorsitzenden des Kunstverein Wagenhalle e.V. erfreut. Robin Bischoff war Mitglied der Jury und sieht ein wichtiges Zeichen darin, dass das Kulturschutzgebiet als besonderes Stück Stadt wahrgenommen wird. Hier darf schon jetzt und soll in Zukunft weiter experimentiert werden, hier werden Innovationen erprobt, verworfen und wieder neu errichtet. Schon jetzt ist das Areal rund um die Wagenhallen ein dynamischer Ort, eine regelrechte Keimzelle für Innovationen. Deshalb ist es wohl auch in den Reihen der IBA-Projekte aufgenommen worden. Aber in der Stadt sieht das nicht jeder so.

PLÄNE FÜR INTERIMSOPER GEFÄHRDEN KULTURSCHUTZGEBIET

Mit der zunehmenden Aufmerksamkeit, die das Wagenhallen-Quartier erfährt, wachsen Begehrlichkeiten. Was früher ein Unort war, soll zum Ort der Hochkultur werden. Plötzlich taucht das Kulturschutzgebiet Wagenhallen in den Diskussionen um die Zukunft des Stuttgarter Opernhauses auf. Ob Sanierung des Altbaus mit einer Interimsspielstätte oder kompletter Neubau, die Diskussion scheint verfahren. Und offen wird sie auch nicht immer geführt. Denn viele Kunstschaffende erfuhren aus der Zeitung, dass ihr Areal aktuell als ein möglicher Standort für einen Interimsbau der Oper in Betracht gezogen wird. Der würde einen großen Teil des C1-Areals in Beschlag nehmen und dem Kunstverein viel Freifläche nehmen. Vor allem aber würde er das benachbarte urbane Gartenprojekt gefährden.

Neben den hundert Künstlern sind mittlerweile fast hundert urbane Gärtner im Kulturschutzgebiet aktiv, die dort nicht nur Obst und Gemüse anbauen. Wie auch in anderen Städten, leistet auch der Gemeinschaftsgarten des Vereins Stadtacker wichtige Beiträge zu Stadtentwicklung. Er ist Treff- und Kommunikationspunkt, Ort der Bildung, Forschung und Integration, der Ökologie und Demokratie. Als solche schätzt der Gemeinderat der Stadt Stuttgart eigentlich seine urbanen Gärten. Aber diese Unterstützung scheint zu wanken, wenn Hochkultur auf die Bühne kommt. Für den Bau einer Interimsoper würde der Garten weichen müssen. Damit würden nicht nur mittlerweile tief verwurzelte Pflanzen, neu angesiedelte Tiere und engagierte Gärtner verdrängt. Vor allem würde ein innovativer, dynamischer Projektort verschwinden, der in Synergie mit dem benachbarten Kunstverein wichtige Beiträge im Diskurs um die Zukunft der urbanen Gesellschaft leistet. Der Blick auf das C1-Wagenhallen-Quartier offenbart eine wechselvolle Geschichte. In über 15 Jahren hat sich der Standort von einem kaum beachteten, alten Bahnareal zu einem begehrten und zukunftsweisenden Experimentierfeld entwickelt. Nun gilt es, an das bereits vorhandene Potenzial anzuknüpfen und die bereits verwurzelten Kreativen und Querdenker zu respektieren und wertzuschätzen. Denn nur mit denen kann ein wahres Zukunftslabor entstehen. Dass das in die herkömmlichen Schubladen von Bauleitplanung und Wirtschaftsförderung nicht passt, ist klar. Vielmehr müssen Rahmenbedingungen und Freiräume für Experimente geschaffen werden, in denen auch Wildwuchs und Ungeordnetes erlaubt sind. Ob die IBA und die Stadt das ertragen können, bleibt abzuwarten. Hoffentlich, denn mit der perfekten Ästhetik der Weißenhofsiedlung wird dieser Experimentierraum wenig gemein haben. Aber Stuttgart würde er guttun.

FAKTEN

Genau 100 Jahre nachdem die europäische Architekten-Avantgarde in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ihr damals radikales „Wohnprogramm für den modernen Großstadtmenschen“ vorstellte, soll die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) ganz neue Antworten finden auf die Frage: Wie leben, wohnen, arbeiten wir im digitalen und globalen Zeitalter? Gesteuert wird die IBA von der IBA 2027 StadtRegion Stuttgart GmbH. Gesellschafter sind die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH, die Architektenkammer Baden-Württemberg sowie die Universität Stuttgart.

13. November 2019, KONTEXT:Wochenzeitung

Die Milliarde ist auf dem Tisch. Die hohe Zahl für die Sanierung des Stuttgarter Opernhauses droht freilich, die näherliegende Frage nach dem Interim und der Wagenhalle zu überdecken. Kontext hat sich bei einigen der Beteiligten umgehört.

Wieland Backes, Sprecher der Initiative „Aufbruch Stuttgart“, sprach am Tag der Sitzung des Verwaltungsrats per dpa-Meldung von „unanständig hohen Kosten“. Es gäbe günstigere Alternativen, die das Gleiche leisten: „Auch die Hochkultur muss sich der Frage der Wirtschaftlichkeit stellen“. Einer Nachfrage von Kontext erteilt Thomas Rossmann, der Geschäftsführer der Initiative, allerdings eine Absage. „Wir stehen gerade vor dem Start unseres großen Workshops ‚Aufbruch in die Verkehrswende Stuttgart“, schreibt er am Tag vor Beginn der Veranstaltung, die von 7. bis 9. November stattgefunden hat, „sodass wir gerade keine Kapazität für anderes frei haben.“

„Über die Kostenschätzung kann ich nur den Kopf schütteln“

Guntrun Müller-Enßlin, Stadträtin für SÖS im Stuttgarter Gemeinderat, hat Zeit, zu antworten. Zwar war diesmal Hannes Rockenbauch an ihrer Stelle in der Verwaltungsratssitzung. Doch mit den Kosten der Opernsanierung hat sie sich intensiver beschäftigt als jeder andere im Gemeinderat. Ihr Fazit: „Über die Kostenschätzung von rund einer Milliarde Euro Baukosten für die Opernsanierung kann ich nur den Kopf schütteln. Mit wem ich auch darüber rede, alle sind sich einig, dass diese Zahl von einem erschreckenden Realitätsverlust der Befürwortenden zeugt. Eine Milliarde für ein einzelnes Kultursegment, das ist nicht mehr vermittelbar. Da läuft etwas völlig aus dem Ruder. Ein einfaches Rechenbeispiel: In meiner Kirchengemeinde in Weilimdorf, deren Geschäftsführerin ich bin, haben wir gerade die 500 Jahre alte denkmalgeschützte Oswaldkirche mit knapp einer Million saniert. Mit einer Milliarde könnte man 1000 solcher Kirchen sanieren. Eine Milliarde: Das steht auch in keiner Relation dazu, wie sonst im Kulturbereich über Geld geredet und damit umgegangen wird. In den kommenden Haushaltsberatungen wird, wie schon in der Vergangenheit, um jeden müden Cent gefeilscht werden, für die Oper aber soll nichts zu teuer sein. Mit einer solchen Haltung werden die verschiedenen Kultursparten gegeneinander ausgespielt. Es kann mir niemand weismachen, dass eine Ertüchtigung der Spielstätte nicht billiger zu haben sein soll. Mir leuchtet auch nicht ein, warum man auf Gedeih und Verderb an dieser Littmannbau-„Lösung“ festhalten muss und diese Kreuzbühne unbedingt da rein muss. Wenn es denn in der Zukunft eine Spielstätte mit Kreuzbühne sein soll, dann bitte in einem Neubau. Es wird sich rächen, dass es zur vorgestellten Planung, obwohl angemahnt, keine Alternative, keinen Plan B gibt.“

„Was passiert mit dem Stadtacker?“

Was die Kosten betrifft, „hat natürlich jeder seinen eigenen Standpunkt“, meint Lonni Görlach, Architektin und Mitglied des Urban-Gardening-Projekts „Stadtacker“, dessen rund 2000 Quadratmeter großes Areal von einem Opern-Interim am Inneren Nordbahnhof zunächst bedroht schien. Nun ist das Interim an eine andere Stelle gerückt, und die Initiative kann erst mal aufatmen.

„Für uns ist die entscheidende Frage: Was passiert mit dem Stadtacker? Im Entwurf des Büros asp., das den städtebaulichen Wettbewerb gewann, ist er an der Stelle, wo er sich jetzt befindet, nicht vorgesehen. Und das Opern-Interim drohte vollendete Tatsachen zu schaffen. Von daher haben wir nun zunächst einmal Zeit gewonnen. Das Opern-Interim kommt in ungefähr fünf Jahren, alles weitere später. Ob der Stadtacker dann genau an dieser Stelle bleibt oder wie sich der Entwurf weiterentwickeln kann: Da ist jetzt der Druck raus. Immerhin haben wir gerade zum dritten Mal eine Auszeichnung des Verschönerungsvereins erhalten. Es ist einiges aufgebaut worden: an Pflanzen, der Boden. Der städtebauliche Entwurf soll ja auch nicht unabänderlich sein, sondern nach und nach weiterentwickelt werden. Das Kreativquartier soll als IBA-Projekt entwickelt werden. In diesem Prozess möchten wir als lokale Experten mitreden.“

„Wir wollen und wir müssen zusammenarbeiten.“

Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle sieht das ähnlich:„Natürlich haben wir nichts gegen die Oper. Wir waren nur dagegen, dass für ein Interim vor der Wagenhalle Tabula rasa gemacht wird. Von daher war schon der Entwurf des Büros asp voll in unserem Sinne. Die Frage ist nun, wie es umgesetzt wird. Von der Container City muss nach dem jetzigen Plan ein kleines Stück weg, das ist o.k, sie wird sich weiterentwickeln. Im besten Fall entsteht daraus eine Dynamik, die sich auf das ganze Viertel überträgt. Wir haben dazu ein Positionspapier entwickelt und Baubürgermeister Peter Pätzold überreicht. Wir sind in Kontakt, OB Fritz Kuhn und Pätzold haben uns noch vor der Verwaltungsratssitzung informiert. Die Intendanten der Staatstheater, Viktor Schoner, Tamas Detrich und Marc-Oliver Henriks waren schon vor einem Jahr hier. Das Wagenhallen-Quartier ist IBA-Projekt, beantragt von uns, also Kunstverein Wagenhalle und Stadtacker, und von der Stadt, unabhängig voneinander. Wir müssen und wollen zusammenarbeiten. Wenn die Oper jetzt hier hin soll – wir hätten uns das auch anders vorstellen können – müssen wir über die Ausgestaltung im Gespräch bleiben. Es sollte einen regelmäßigen Jour fixe geben, wie bei der Sanierung der Wagenhalle: Andernfalls wäre da einiges schief gelaufen. Dicht neben der Wagenhalle sollen große fünfgeschossige Volumen errichtet werden. Verdichtung ist nicht verkehrt. Wichtig ist aber, wie die Übergänge gestaltet und wie die Besucherströme geregelt werden. Wir haben die Stadt darauf hingewiesen: Der Verkehr ist das Hauptproblem. Die Oper ist ein Schwergewicht. Der Betrieb mit seinen 1500 Mitarbeitern und bis zu 1500 Besuchern pro Vorstellung darf die Abläufe an der Wagenhalle, bei den Künstlern und im Kulturbetrieb, nicht beeinträchtigen. Auch wir haben Besucher- und Lieferverkehr, manchmal auch mit übergroßen Sattelschleppern.“

“Da wird Überraschendes und Verblüffendes passieren”

Und was meint Viktor Schoner, der Opernintendant, dazu? Er hat sich bisher aus der Diskussion herausgehalten. Als eines seiner ersten Projekte hat er die Oper „Herzog Blaubart“ von Bela Bartók im alten Bahnpostamt aufgeführt, die daraufhin zum Interimsstandort gekürt wurde – was sein Vorgänger Jossi Wieler noch für völlig unmöglich hielt. Dann jedoch schickte Oberbürgermeister Fritz Kuhn nochmal eine Task Force aus, um im Vergleich zu der jetzt genannten Summe lächerlich wenig Geld zu sparen. So kam es zum Interim am Nordbahnhof.

„Der Interims-Stand ist sehr okay“, sagt Schoner nun. „Wir haben das nie ausgesprochen, aber uns immer unwohl gefühlt mit der Überlegung, dass andere weggehen sollen, weil wir kommen. Jetzt gibt es eine schöne WG, und wir werden eine schöne gemeinsame Zeit miteinander verbringen. Als Künstler treffen wir hier auf andere Künstler. Das ist sehr inspirierend – für alle, die dabei neue Beziehungen und Bezüge entwickeln, beiderseitig eben. Das ist qualitativ eine ganz andere Sache, als wären wir beispielsweise in ein ehemaliges Industriegebiet gekommen. Was im Einzelnen dabei entsteht, kann und will ich gar nicht sagen. Aber ich bin mir jetzt schon sicher, dass da eine Menge Überraschendes und Verblüffendes passieren wird. Die Junge Oper im Nord arbeitet ja bereits seit einer Spielzeit ganz aktiv im nördlichen Stadtbezirk zwischen Löwentor und Hallschlag, gerade auch mit den Anwohnern und Schülerinnen und Schülern der umliegenden Bildungseinrichtungen. Ihr gelingt es aber auch, Besucher und Mitwirkende aus anderen Stadtteilen zu den vielfältigen Projekten und Vorstellungen im Nord zu bringen. Warum sollte es am Nordbahnhof anders sein, wenn wir dort, sicherlich auch gemeinsam mit der Jungen Oper anfangen, Projekte zu entwickeln. Ich glaube, dass wir alle noch davon überrascht sein werden, was dort möglich ist.“

 

Verzicht auf experimentelles Wohnen

Suse Kletzin, SPD-Gemeinderätin und Bezirksvorsitzende des Kammerbezirks Stuttgart der Architektenkammer, zeigt sich „etwas irritiert, dass man jetzt nur diese eine Variante für das Opern-Interim geprüft hat.“ Die Architektin hat sich früh für die Wagenhalle engagiert und moderiert mit Odile Laufner am 19.11. eine Diskussion zum Thema:

„Auch wenn man jetzt den Platz getauscht hat: Ursprünglich war dieses Gebiet einmal für experimentelles Wohnen vorgesehen, eine Mischung von Wohnen und Arbeiten, und das ist ja auch, was der Kunstverein Wagenhalle so denkt. Mit dem Opern-Interim ist für die nächsten zehn Jahre jedenfalls auf ungefähr einem Viertel der Fläche keine Entwicklung möglich. Dass ein Teil der Gebäude stehen bleibt, ist ja im Prinzip der richtige Ansatz. Aber dafür verzichten wir darauf, das Gebiet als Wohngebiet richtig zu entwickeln. Wenn man da schon ein IBA-Projekt macht, hätte man das nun in Angriff nehmen können. Dann setzt man halt mal die Bauordnung außer Kraft, um etwas Neues zu probieren. Das wäre zusammen mit dem Kunstverein möglich gewesen – denn ich finde, die Beteiligung der Nutzer bei der Sanierung der Wagenhalle und beim Containerdorf, das war schon vorbildlich. Es gibt also diesen Baustein: Wie Planungsbeteiligung laufen kann mit den Betroffenen, das läuft eigentlich gut und hat sich schon gut entwickelt. Aber statt dies aufzugreifen, setzt man da nun das Opern-Interim hin.

Ich finde, die Stadt sollte schon mal Stellung beziehen, wo sie eigentlich die Potenziale für Kulturstandorte sieht. Man sieht das ja am Kulturbetrieb Wagenhalle. Wenn da Daimler Veranstaltungen macht: Natürlich parken da die Autos. Mir tut es auch deswegen leid. weil auch die endgültige Lösung für die Oper besser sein könnte. Es hätte die Möglichkeit gegeben, diesen ganzen Schlossgarten-Bereich neu zu ordnen. Das tut man jetzt nicht.“

 

Info: Am Dienstag, 19. November um 19.30 Uhr findet in der Architektenkammer in der Danneckerstraße 54, Stuttgart, eine Diskussion statt zum Thema: „Experimentierfeld Wagenhalle. Chancen für die Stadtentwicklung zwischen Nordbahnhofstraße und Wagenhallen.“ Beteiligt sind Baubürgermeister Peter Pätzold, IBA-Intendant Andreas Hofer, Martina Grohmann vom Theater Rampe und Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle, als Moderatorinnen Suse Kletzin und Odile Laufner.

25. September 2019, Pressestatement

Im Kulturschutzgebiet Wagenhalle treffen Kunst und experimentelle Architektur auf nachhaltige und urbane Gärtnerei. Nach der Entscheidung im Internationalen Städtebaulichen Wettbewerb Rosenstein können nun die Planungen für seine zukünftige Gestaltung konkreter werden. Mit einem nun vorgestellten Arbeitspapier legen die KünstlerInnen und Kulturschaffenden der Wagenhalle und des Stadtackers ihr Konzept für eine innovative Entwicklung des Areals vor.

Parallel zum Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik 2019 haben die KünstlerInnen und Kulturschaffenden des Kulturschutzgebiets der Stadt Stuttgart (vertreten durch Herrn Pätzold, Referat Städtebau, Wohnen und Umwelt) und der Internationalen Bauausstellung IBA 2027 (vertreten durch Herrn Andreas Hofer) ein Arbeitspapier für eine innovative Entwicklung des Wagenhallen-Areals übergeben.

Mit „Transformation C1/C2“ haben der Kunstverein und der Stadtacker eine Broschüre erarbeitet, in welcher sie ihre Vision für eine weitere Entwicklung des Wagenhallen-Quartiers darstellen. Diese baut auf bereits etablierte Strukturen und fördert vorhandene Potenziale – um so ein nachhaltiges Kreativquartier entstehen zu lassen. Damit präsentieren sie ein schlüssiges Konzept und eine Alternative zu den Plänen einer Interimsoper auf diesem Gelände.

Für die programmatische Entwicklung eines zukunftsfähigen und nachhaltigen Stadtquartiers haben sie fünf Bereiche definiert: Kunst, Architektur, Ökologie, Wissenschaft und Bildung. Zusammen mit bestehenden und neuen Projekt- und Kooperationspartnern planen der Kunstverein und der Stadtacker das Areal entlang dieser Themen sukzessive und bedarfsorientiert zu transformieren.

Ziel ist es, sich weiterhin aktiv an der Entwicklung des Rosensteinquartiers zu beteiligen, aufzuzeigen, was auf dem Areal der Wagenhalle über viele Jahre entstanden ist und die sich daraus ergebenden Chancen für Stuttgart und die Region zu betonen. Denn hier kann ein Stadtteil entstehen, in dem schon in naher Zukunft erprobt wird, wie die Stadt von morgen aussehen soll und wie sich das Leben darin gestaltet. Die Belobigung durch die Jury des Deutschen Städtebaupreises 2018 für das „Kulturschutzgebiet Wagenhalle / Container City“ und die Ergebnisse des Internationalen Städtebaulichen Wettbewerbs Rosenstein zeigen die Bedeutung der jüngsten Entwicklungen auf diesem Gelände.

Schon jetzt findet man in der Container City, welche ursprünglich als Ausweichquartier für die KünstlerInnen und Kreativen der Wagenhalle geschaffen wurde, außergewöhnliche Architektur und Kunst, sowie Produktionsstätten für kreatives Handwerk. Robin Bischoff: “Das große Interesse der TeilnehmerInnen des Bundeskongresses am Kulturschutzgebiet und die diskutierten Ideen zeigen, dass Stadtentwicklung heute anders funktionieren kann. Wir brauchen dringend mutige Räume, wo wir neue Formen von Arbeiten, Wohnen und Kultur ausprobieren können”.

Stillstand jedoch ist für das Kulturschutzgebiet nicht vorgesehen. Deshalb fordern die KünstlerInnen und Kulturschaffenden hier ein Experimentierfeld für neue Baukultur, nachhaltige Stadtentwicklung, üppige Gärten, freie Kunst und schwäbische Kreativität zu schaffen. Denn nur so kann die Wagenhalle als Inkubator für das neue Wagenhallen-Quartier wirksam werden.

Das Arbeitspapier gibt es hier zum Download.

18. September 2019, Stuttgarter Zeitung

Robin Bischoff steht für die Weiterentwicklung des Wagenhallen-Areals, für den Kunstverein und für die Neugestaltung des Stuttgarter Nordens. Beginn einer neuen Serie über die Menschen von den Wagenhallen.

S-Nord – Es war einmal in Stuttgart eine große innerstädtische Fläche, die bestand zur Jahrtausendwende vor allem aus verrosteten Abstellgleisen und Kleingärten. Dann kam der Baubeschluss für das Projekt Stuttgart 21 und aus dem hektargroßen Areal wurde eine gigantische Verladerampe, auf dem der Erdaushub des neuen unterirdischen Durchgangsbahnhofs weiter transportiert wird. Und ebenfalls in diesem Geschehen: Die Wagenhalle, eine Industriebrache, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts zur Wartung von Eisenbahnfahrzeugen. Der Öffentlichkeit war dies kaum bekannt. Kein Wunder, schließlich war es ja mitten auf dem Bundesbahn-Areal offiziell nicht zugänglich.

Willkommen im Kulturschutzgebiet

Heute ist die Laderampe für den Erdaushub immer noch im vollen Betrieb. Die Wagenhalle ist jedoch Teil eines Kulturschutzgebiets, kenntlich gemacht durch ein grün umrandetes Dreieckschild, das wie die amtlichen Hinweise auf Naturschutzgebiete auf seiner Spitze steht. Da mittendrin: Das stilisierte Abbild einer Banane, also die Einladung, die Schale zu entfernen und so eine süße Frucht zu erkennen. Rockmusik-Fans erinnern sich da an das von Andy Warhol gestaltete Cover des Kultalbums „The Velvet Underground & Nico“ von 1967. Doch die Wagenhalle-Aktivisten schauen vor allem voller Tatendrang nach vorne: Im Veranstaltungsbereich ist wieder jede Menge geboten, die Gastronomie freut sich auf Nachfragen auch von Firmen für interne Feiern. Und den Künstlern vom Kunstverein steht inzwischen nicht mehr nur die Container City zur Verfügung, also das, was gerne mit kreativem Chaos verglichen wird. Inzwischen ist auch das komplett neu erbaute Atelierhaus bezogen. Und im historischen Gebäudeteil werden jetzt die Wände und Decken eingezogen für weitere Atelierräume.

Architekt und Künstler

Dass dieser Wandel vom Abbruchareal zum preisgekrönten Zukunftslabor auch eine hohe Verweilqualität haben kann, dafür steht Robin Bischoff. In seiner Biografie stehen sowohl architektonische wie künstlerische Lehr- und Lernjahre: Und beide Qualitäten sind in seiner Eigenschaft als Vorsitzender und Geschäftsführer des Kunstvereins Wagenhalle gefragt. Dass die Fensterbrücken in der Dachkonstruktion der Belüftung wegen klappbar sein müssen, weiß der Architekt. Dass sie per Jalousie aber auch lichtundurchlässig sein sollten, weiß der Künstler zu schätzen. Wieviel Raum benötigt ein Jongleur, wie gestaltet ein Designer sein Habitat? Das weiß der Künstler, und der Architekt muss diese Vorstellungen zu einem guten Ganzen in einem vorgegebenen Kostenrahmen fügen. Und dann die obligatorischen Fragen in einer Industriebrache: Was an alten Dingen kann und muss weg, was ist so interessant und skurril, das es bleiben muss, beziehungsweise soll? Die Auswahl ist groß an teils monströsen Schalt- und Sicherungskästen, an Leitungen und an mehr oder weniger maroden Backsteinwänden, teils mit, teils ohne Putz.

Atelierräume wie ein Puzzle zusammenfügen

Derzeit werden in der historischen Halle die Ateliers aus Holzelementen zurechtgezimmert: Das eine mit viel Oberlicht, ein anderes mit wenig, ein weiteres mit Zwischengeschoss, dann eben wieder eines ohne – und das alles integriert in einem großen Raumkonzept. „Es ist wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück zueinander fügt“, weiß Bischoff, „und wir haben die Raumkonzepte ja mit den Erwartungen der Nutzer abgestimmt“. Aber es geht ja auch darum, flexibel zu sein, wenn die Nutzer der ersten Stunde eines ferneren Tages mal wieder ausgezogen sind. Bischoff: „Da haben wir ja dann ein sehr vielfältiges Angebot an Varianten für ein Künstleratelier“.

Der Veranstaltungsraum speziell für die Künstler, die hier arbeiten, ist auch schon weitgehend fertig. An den Details wird noch gefeilt: Da gibt es historische Trägerkonstruktionen, die freilich irgendwelchen heutigen Belastungen nicht mehr standhalten können. Neue müssen her, und da sind die Anforderungen denkbar vielseitig: Bildende Künstler, Artisten, Schauspieler, Musiker – sie alle wollen da mal zeigen, was sie können. Immerhin: Auf eine Hierarchie – hier Bühne, da Zuschauer, wurde schon mal verzichtet. Dafür befindet sich da drin unübersehbar ein ziemlich großer Kubus. Da sind die Sanitäranlagen für die Besucher drin. Das weiß der Architekt Bischoff. Aber steht dieser Klotz nicht gewaltig im Weg? – Da ist dann wieder der Künstler gefragt. Denn da geht ja auch eine Treppe hoch auf das Dach dieses Kubus, der damit Teil eines Spielkonzepts sein kann. In der klassischen Theaterarchitektur würde man da von einem Balkon sprechen. Mal sehen, was da wem damit noch alles so einfällt.

Ein Labor für mehr als 100 Künstler

So wechselt Bischoff stets die Rollen, auch als Macher von Kunstboulevard, Projektraum Taut oder Container City sowie als Stadtplaner für das Rosenstein-Quartier. Da war er Sachverständiger in der Jury des Städtebau-Wettbewerbs Rosenstein. Container City, das ist die Realität gewordene Idee eines Labors von etwa 100 Künstlern rund um das historische Gebäude. Das hat Interimscharakter nach dem Motto „Tätig sein statt Wünsche formulieren“, ist aber inzwischen mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet worden als wegweisendes Beispiel dafür, was Innerstädtisch an Ressourcen freigelegt werden kann. Damit auch schon mal ein herausragendes Beispiel für die Internationale Bauausstellung, die Stuttgart im Jahre 2027 ausrichten wird. Auf diese Weise verstetigt sich zugleich ein temporär gedachtes Modell.

Ein neuer Stadtteil

Das Rosenstein-Quartier bleibt trotz erster neuer Wohnbauten entlang der Nordbahnhofstraße noch viele Jahre ein Projekt, an dem noch viel gedacht wird. Bischoff macht da ebenso mit. Einen Stadtteil ganz neu gestalten, ohne frühere Fehler zu wiederholen, die Wagenhalle als Kultur- und Kreativitäts-Standort, wo ganz neue Beziehungen geknüpft werden zu Einrichtungen, die bisher als Solitär funkeln (Theaterhaus am Pragsattel, Probenzentrum Nord, Wizemann, etc.), denen die vitale Anbindung an das städtische Leben aber noch fehlt.

16. September 2019, The New York Times

In a former coal station in Germany, a novel hybrid business is set to open: a renewable energy plant and art museum in one.

LUCKENWALDE, Germany — Disused power plants make excellent museums. Tate Modern in London is perhaps the most famous, but from Toronto to Shanghai, and Istanbul to Sydney, these engines of the industrial age have been remade as temples of culture, long after the turbines have been switched off. Now, 30 miles south of Berlin, a new contemporary art center in a former coal station will present exhibitions and produce power at the same time. The center, E-Werk Luckenwalde, which is set to open Sept. 14, is a renewable energy plant and art museum in one. In addition to shows across three galleries and low-cost studios that artists can rent, E-Werk will generate electricity on site by a process called biomass pyrolysis, in which pine wood chips are heated to temperatures of over 850 degrees Fahrenheit, and then cooled in a reactor. The electricity will be sold on Germany’s national grid, and the profits will be used to run the center.

Pablo Wendel, a German artist, who, with his partner, Helen Turner, is one of the entrepreneurs behind the venture, said in a telephone interview that he hoped the plant would produce enough energy to power the four-story building, and as many as 200 houses. “We talk a lot about sustainability these days,” Mr. Wendel said, “but if we don’t think about it on a bigger scale — on a social scale, a creative and artistic scale, and a visual and aesthetic scale — we will have problems.” The opening night of the arts center will begin with a work by Mr. Wendel. The power plant’s former coal conveyor belt will power into action in darkness, carrying wood chips through the building and into a basement engine room, where they will be heated and cooled using a new pyrolysis machine. The electricity generated will immediately turn on the building’s lights. “It’s a nice metaphor for the whole project,” Mr. Wendel said, “to show how you can transform places into a piece of art.

E-Werk’s opening comes at a time when financial ties between European museums and energy producers are increasingly in focus. The British Museum and Tate galleries in London have been repeatedly targeted by activists over sponsorships from the oil giant BP; last year, the Van Gogh Museum in Amsterdam ended a collaboration with the petroleum company Shell after protests. Other museums, like the Prado and Thyssen-Bornemisza museums in Madrid, have trumpeted their sustainability credentials by making partnerships with Acciona, a Spanish renewable energy conglomerate. But E-Werk is the first arts institution to bring electricity production in-house.

The former coal plant that will house E-Werk was founded in 1913, and it became part of the state infrastructure of communist East Germany in 1949. Bernd Schmidl, the station’s production manager from 1976 to 1994, said in an interview that he worked there alongside 60 others, including his father, sister and father-in-law. “Without this factory, there wouldn’t have been any technical progress in the area,” he said. After the fall of the Berlin Wall, the plant was taken over by a West German electricity company that later went bankrupt. “This factory didn’t get shut down because it was faulty,” Mr. Schmidl said, pointing out that “the customers who were getting energy disappeared” after reunification. Many workers from the former East Germany went west to seek better employment opportunities.

The bricks and mortar of the plant remain, however, and much of the building has been preserved in the recent renovation. The vast building is decorated with original tiled floors, huge green doors and a stained-glass window shaped like a cloud that depicts a hand grasping lightning bolts. On the second and third floors are studios that artists can lease for 3 to 4 euros per square meter, or about 30 cents to 40 cents per square foot. According to a spokesman from B.B.K. Berlin, a professional association for Berlin’s visual artists, studio rents in the city center can be as high as €35 per square meter.

The seven studios are already fully leased, said Ms. Turner, E-Werk’s co- founder. Some of the artists who will work there have relocated to Luckenwalde from Berlin, she added. “Berlin is reaching saturation point for artists,” she said in a telephone interview. “It’s getting so expensive that it’s not possible to create experimental practices any more,” she added. Mr. Wendel said the idea for E-Werk grew from his experimental art practice. He recalled that, in 2008, when he was a struggling conceptual artist living in Stuttgart, in southern Germany, he came up with the idea of producing artworks that made their own electricity. Making money was a concern, too: Mr. Wendel’s ephemeral performances, which include one where he dressed as a terracotta soldier and sneaked into an archaeological site in China to stand among the statues there, were proving hard to sell.

In “Schmarotzer” (“Parasite”), a work from that year, Mr. Wendel mounted solar panels next to illuminated store signs and advertising billboards as a work of performance art. It generated enough electricity to power a single light bulb. Three years later, in a work called “Twenty-Four/Seven,” Mr. Wendel harvested electricity from the hands of a clock on a Stuttgart church by installing a dynamo that converted its mechanical energy. He raised 0.1 kilowatts, enough to boil a kettle. It was the idea of being able to cover costs by creating electricity that led to the development of E-Werk, Mr. Wendel said.

Now fully realized and registered as a nonprofit, E-Werk will be inaugurated with exhibitions by Nicolas Deshayes and Lucy Joyce. Mr. Deshayes’s wall-mounted sculptures look like engorged intestines, but they double as cast-iron radiators, and will heat up as soon as power flows through the building on the opening night. Ms. Turner described them as “huge beasts” that suggest “the planet’s iron core and fundamental genesis.” Ms. Joyce’s work, called “Electric Blue,” takes place outside the power plant and aims to bring the local community inside. She has created seven mirrored sculptures, each shaped like arrows and about seven feet tall, and asked people who live in Luckenwalde, including Mr. Schmidl, the former plant manager, to stand on rooftops around town, holding them up to guide visitors toward E-Werk. “The people of Luckenwalde are very proud that the old structure of the plant lives on,” Mr. Schmidl said. “It’s a positive example of what can happen when people take some initiative.”

17. August 2019, Paesaggio Urbano

A Stoccarda, un progetto “imposto” di trasformazione viene sostituito da una spontanea gestione di intermezzo che ne diventa punto di riferimento per il nuovo sviluppo di quartiere.

Chi scrive ha sempre trovato la suggestione di Conrad, nel suo famoso racconto di critica alla civiltà e all’imperialismo, una metafora buona per essere affiancata anche ad un altro elemento di forte impatto territoriale: la rete di trasporto ferroviario. Questo non vale solo dal lato formale, con l’aggrovigliarsi e stendersi dei binari nel loro avvicinarsi e allontanarsi dai centri urbani. Più volte nella sua esistenza, per alleggerirsi e liberarsi della scorza appesantita, il serpente cambia pelle lasciandola vacante in mezzo al suo cammino. Il trasporto in ferro, la cui rilevanza non è solo storica ma rimane intatta nella visione di una futura mobilità internazionale sostenibile, assume oggi un ruolo chiave nella città, nella misura del residuo di cui essa si libera per obsolescenza o aggiornamento. L’opportunità che da esso nasce, di ripianificazione dei territori, specie quelli europei di profonda complessità e stratificazione storica, è di grande importanza. Chi non è riuscito a sfruttare l’occasione di utilizzare strategicamente le nuove aree libere, propiziati da congiunture economiche migliori del tempo presente, si trova oggi vacante un patrimonio vasto, di localizzazione spesso ghiotta, ma di enormi dimensioni rispetto al palcoscenico di possibili investitori. Di nuovo valgono le parole di Conrad: queste aree affascinano “come un serpente affascinerebbe un uccellino spaventato” – in questo caso sia i pianificatori che gli stessi investitori. Questa situazione vale perlopiù in territorio italiano, dove “le aporie del Piano” (Marzot 2015) sottolineano marcatamente la necessità di soluzioni alternative. Il caso studio qui riportato rappresenta bene questi preamboli e racconta le vicende di riqualificazione di un’area ferroviaria dismessa, parte di un progetto complessivo regionale e, a più larga scala, europeo. Nello specifico, esso mostra l’aver inglobato nell’iter di trasformazione, di spinta prevalentemente pubblica, un processo di rivalutazione in operam del progetto, legittimando la rivendicazione dello spazio e ponendola come linea guida ai processi di trasformazione.

Premesse di un progetto imposto

Alla base di tutto si trova l’efficientamento della rete ferroviaria veloce europea, “Main Line for Europe”, sul quale tracciato si trova Stoccarda, capitale del Land Baden-Württemberg. Il progetto complessivo prevede dunque molteplici ricadute: a livello regionale, con nuovi 57 km di linea (30 dei quali sotterranei) e la costruzione di quattro nuove stazioni interterritoriali (2016 Bahnprojekt Stuttgart-Ulm), ed a livello metropolitano agendo sulla riconfigurazione dell’intera linea di trasporto. La ricaduta sulla città, in termini architettonici, è invece rappresentata dalla necessità di aggiornare l’Hauptbahnhof, da stazione di testa a stazione di passaggio. Mentre la severa facciata del “Bonatzbau”2 guarda il centro città, dal suo retro sgusciano e strisciano i numerosi binari in direzione nord-est, accompagnati nel loro tragitto dal lungo e verde parco cittadino dello Schlossgarten.

Il concorso della stazione, bandito nel 1997 con il nome Stuttgart 21 (S21)3 sottolineava l’opportunità, fin dal principio evidente, di eliminare l’ingombrante tracciato ferroviario in arrivo da nord con la creazione di nuove vie sotterranee, permettendo così di collegare due brani di città da sempre divisi ed implementandone la qualità urbana facendo perno sul grande e adiacente polmone verde. Questo nuovo sviluppo della città si concentra sui quartieri Europaviertel e Rosenstein. Su di essi prova l’amministrazione a mantenere un equilibrio di intenti. I 16 ettari di area dell’Europaviertel, adiacenti al cantiere della nuova stazione, rimangono in proprietà alla società di trasporto ferroviario tedesco Deutsche Bahn, e sono messe a mercato dalla società immobiliare consociata DB Immobilien. L’area urbana denominata Rosenstein rappresenta invece la vera scommessa della città. Sui di esso l’amministrazione si è lasciata l’onere e la responsabilità di proporre un modello di città del futuro, indipendentemente dalle logiche di investimento privato grazie all’acquisto della maggioranza delle aeree con l’utilizzo dei propri fondi di riserva. Un distretto definito family-friendly che poggerà sulla sua centralità ed interconnessione con il grande verde urbano ed il trasporto pubblico, riducendo estensivamente l’uso dell’auto e promuovendo progetti di architettura ecosostenibile con processo partecipativo già avviato.

Uso Temporaneo come guida alla trasformazione

In questo quartiere che verrà c’è un’opera che sta già tagliando il traguardo: Wagenhalle è il progetto di riqualificazione, firmato Atelier Brückner, di uno storico capannone di fine ‘800 costruito per la manutenzione e riparazione dei convogli ferroviari nei dintorni della Stazione Nord della città. Lo è scopo è di farne un centro culturale di riferimento. Ma questa sua riconversione è la parziale sconfitta del progetto “imposto”, o per lo meno il riconoscimento della sua totale inconvenienza. In principio, nel 2004, era prevista la demolizione del fabbricato esistente per fare posto ad un nuovo insediamento residenziale secondo le previsioni di piano, stoppata a causa di rallentamenti sull’intero cantiere di S21. Questo periodo di incertezza ha aperto la possibilità di un uso temporaneo del bene da parte di un gruppo di artisti che ne ha così occupato le mura e, formalizzandosi in associazione, il Kunstverein Wagenhalle e.V4, hanno iniziato a perseguire l’obiettivo di migliorare la propria capacità contrattuale con la città.

La permanenza dei nuovi inquilini è sempre stata concepita come temporanea, dunque messa in discussione con contratti annuali. Ciò non ha fermato lo sviluppo dell’iniziativa che si è radicata con maggiore vigore nel momento in cui l’associazione si è decisa a dischiudere il proprio perimetro ad azioni partecipative, aprendo la conseguente discussione sul futuro dell’area e sullo sviluppo dell’intero quartiere5. Contemporaneamente il progetto di demolizione veniva politicamente bocciato e reindirizzato al recupero del manufatto per un uso culturale che ne comprendesse l’utilizzo futuro dall’associazione stessa. Eventi quali POST-21 (2011) o l’inaugurazione del “Kunstboulevard” (2014), organizzati dal Kunstverein, hanno coinvolto amministrazione, pianificatori, professionisti e cittadini ad immaginare il quartiere del prossimo futuro. Quando nel 2015 per la riqualificazione del vecchio manufatto era necessario lo sgombero dei locali per la messa in opera del cantiere, negoziando con la città, il Kunstverein Wagenhalle ha trovato la soluzione di poter preservare la propria attività nell’area spostandosi nella sua adiacenza, costruendo una cittadella di container utilizzata come location provvisoria da settanta persone, tra artisti e operatori culturali. L’associazione ha così coinvolto il team di progettisti dello Studio Malta per sviluppare e realizzare un progetto insieme agli occupanti e in collaborazione con gli uffici comunali6. Sono stati assemblati a fianco del Baustelle oltre 100 container, due vagoni e altre architetture temporanee, utilizzate come studi, sale prove e uffici e distribuiti in relazione al loro uso, relazione tra le varie funzioni ed impatto acustico – alcuni di essi ospitano veri e propri laboratori ed offici-ne. Una realizzazione svolta attraverso un programma a fasi durato 9 mesi che unisse alla sempre ricercata progettazione partecipata, come il workshop “Baufestival Bauschule” nel 2016, un concreto affiancamento professionale di esperti nella direzioni lavori e nella realizzazione delle opere (Studio Malta 2019).

Simbolo del nuovo insediamento temporaneo è lo spazio TAUT – Temporary Artists Utopia Tool – primo container posizionato a ridosso del Baustelle che funge da forum centre e piattaforma aperta sia agli artisti che ai residenti. Qui si svolgono mostre, conferenze, simposi, spettacoli, proiezioni di film e workshop, rappresentando lo spazio di coordinamento e di dibattito per lo sviluppo del quartiere. Le aree esterne sono utilizzate come laboratori e studi all’aperto per la produzione artistica, mentre la Marktplatz è intesa come punto d’incontro per gli occupanti ma anche per eventi open-door di carattere artistico e culturale. Quel che sarà di questa “riserva culturale”7 di container, una volta terminata la riqualificazione della Halle, non è stato ancora stabilito8. Di certo è che il progetto Container City non è rimasto disconosciuto. Il Deutscher Städtebaupreis, il più importante premio per la pianificazione urbana a livello nazionale, gli ha conferito a settembre 2018 l’encomio come uno dei dieci migliori sviluppo urbano degli ultimi due anni, giudicandolo come virtuosa “interfaccia tra la comunità artistica e la società urbana”, elogiandolo in particolare per “l’intreccio di progetti informali e temporanei, con misure a lungo termine e sviluppi strategici, promuovendo una concentrazione di usi pubblici che si irradia nelle immediate vicinanze e nell’intera città”. Ne è seguita un’altra menzione, questa volta al concorso italiano RI.U.SO 06 organizzato dal CNAPP sui temi della Rigenerazione Urbana Sostenibile. Il riconoscimento dell’uso temporaneo come opportunità urbana, nel duplice aspetto economicosociale, è in Germania ampliamente diffuso, anche se non normato9. La città di Stoccarda, attraverso l’Agenzia per lo sviluppo economico10, offre un servizio di gestione e intermediazione degli spazi liberi da utilizzare in maniera temporanea, in particolar modo per attività di stampo creativo. La città, oltre ad offrire una piattaforma aggiornata per agevolare l’incontro tra domanda e offerta degli spazi, affianca di volta in volta gli utilizzatori nella redazione e realizzazione del progetto definendo caso per caso i vincoli di intervento.

Cambio di paradigma?

A 100 anni dalla costruzione del Weißenhofsiedlung, promosso dal Werkbund e coordinato da Mies van der Rohe, Stoccarda tornerà protagonista della vetrina architettonica. Nel 2027 si terrà qui l’Internationale Bauausstellung (IBA). Il nuovo quartiere Rosenstein ne sarà concettualmente la contemporanea riproposizione. Ci si dovrà allora chiedere se quello che di importante verrà mostrato non sarà il risultato, il nuovo “modello di vita moderno” unito ad una innovativa tecnologia di costruzione (come fu cent’anni prima), quanto piuttosto quel processo a latere creato per agevolare un risultato condiviso e non imposto, “dagli esiti progettuali del cui senso e della cui coerenza dispone ormai una decisione che esula l’intima necessità del costruire, poiché dipendono dalle volontà che intendono renderli operanti nell’ordine della civilizzazione” (Dal Co 1982). Un processo necessariamente lento e democratico (Encore Heureux 2018) e quindi in fondo anche politico, in un’Europa che proprio sulla Democrazia è in cerca di conferme.

Artikel auf Englisch

WAGENHALLE Managing transience of former railway areas

In Stuttgart, an “imposed” transformation project is replaced by a spontaneous interlude management, which has become its guideline for the new district’s development.

The main role of the railway system is not only historical but remains intact in the vision of sustainable international mobility. Moreover, it plays a key role in the contemporary cities when its upgrade brings up the possibility to reuse new vacant lands with the aim to re-plan territories. This is especially true in Europe where historical stratification compels to lead to a deep complexity. Even today, countries which havenot been able yet to take advantage of this opportunity will find assets in their pockets with good localization but enormous dimensions compared to the investors’ stage. The situation is even more relevant in Italy, where the “aporias of Urban Plan” (Marzot 2015) emphasize the need for alternative solutions. This article reports a case study, which can well represent these preambles. It tells the story of a redevelopment project for an abandoned railway area, part of an overall regional project and, on a larger scale, an European one. Specifically, it shows a process of reassessment of the project, by legitimizing the claim of space that has become the guideline for the transformation. To the origin of everything, there is the efficiency improvement of the European high-speed railway network. It is called the “Main Line for Europe”, and Stuttgart is one of its points.

Therefore, the overall project foresees multiple impacts: at regional level new 57 km of line are planned (30 of which underground) and four new inter-territorial stations will be built (2016 Bahnprojekt Stuttgart-Ulm); at metropolitan level, it affects the re-design of the entire transport system. The architectonical impact on the city is represented by the conversion of the central station building. It will be changed from a “terminal” to a “link” typology configuration. From the very beginning, the urban competition, launched in 1997 under the name “Stuttgart 21” (S21), underlined the opportunity to delate the cumbersome railway lines that come from the north side. Throughout the creation of new underground tunnels, two sections of the city will be reconnected and more urban quality will be implemented by basing the new development on the big green lung nearby. The new envisaged districts are the Europaviertel and the Rosenstein. The administration aims to keep on them an equilibrium of intent. Europaviertel is a 16 hectares area close to the new mainstation project, in which the new planned settlement is placed on the market by the subsidiary real estate company of Deutsche Bahn, DB Immobilien. On the contrary, the urban area called Rosenstein represents the city real challenge. The administration has kept the responsibility to develop here the city of the future, independently of the logic of private investment. It would become a familyfriendly district based on efficient public transport, urban greenery, extensively reduction of private caruse, with eco-sustainable architecture and participatory process already underway. In this neighbourhood there is a project, Wagenhalle, that is already coming to an end. Designed by Atelier Brückner, Wagenhalle is a refurbishment project of an historic warehouse of the late XIX century, with the aim to convert it in one of the most important cultural hub of the city. But this conversion is a partial defeat of the “imposed” project, or at least the recognition of its total inconvenience.

In the beginning, was the 2004, the demolition of the existing building was foreseen to make space for a new residential settlement according to the Plan. It has been stopped due to slowdowns of the entire S21 construction site. This period of uncertainty opened up the chance for a temporary use of the property by a group of artists. They occupied the rooms and from the moment they formed an association, the Kunstverein Wagenhalle e.V., they were able to improve their contractual power with the city. Their permanence has always been conceived as temporary and questioned with annual contracts. The uncertain situation did not stop the development of various initiatives, which took place with greater vigour from the moment the association opened its perimeter to participatory actions. Its contribution was significant to re-open the discussion concerning the development of the area and the entire district. Meanwhile, the demolition project of the old Halle was politically rejected and the recovery of the building for a cultural propose was launched, including its future use by the association itself. Events organized by the Kunstverein involved the administration, planners, professionals and citizens to imagine the neighbourhood of the future. In 2015 the redevelopment of the old building was required and the Kunstverein Wagenhalle found the solution to preserve their activities in the area. They moved in its vicinity and built up a temporary settlement of containers. To doing so, the association has involved a team of designers, Studio Malta, to develop and implement a project together with the occupants and in collaboration with the municipal offices. More than 100 containers, two wagons and other temporary architectures have been assembled next to the Baustelle, used as studios, rehearsal rooms and offices, and distributed in relation to their uses and functions. The realization lasted 9 months and combined participatory design with the support of professionals (Studio Malta 2019).

The symbol of this new temporary settlement is TAUT – the “Temporary Artists Utopia Tool”. It is the first container located near the Baustelle, which serves as a forum centre and open-platform to both artists and citizens. Once the redevelopment of the Halle will be completed, the future role of this “cultural reserve” of temporary buildings is still undefined. What is certain is that the Container City project has not remained unknown. In September 2018, the Deutscher Städtebaupreis mentioned it as one of the top 10 urban development projects of the last two years in Germany. It was judged as virtuous “interface between the artistic community and urban society”, praising it in particular for “the interweaving of informal and temporary projects, with long-term measures and strategic developments, promoting a concentration of public uses that radiates in the immediate vicinity and throughout the city”. Recently the project has been awarded with another mention, from the Italian competition RI.U.SO 06 promoted by CNAPP in the contest of Sustainable Urban Regeneration. The temporary use of space as an urban opportunity is overall recognized in Germany, even if it is not regulated bythe law. The city of Stuttgart, through the Agency for Economic Development, offers a service of management and intermediation for vacant spaces to be used temporarily, especially for creative activities. The city offers in addition an updated platform to facilitate the meeting between demand and supply of spaces, and supports the users to drafting and implement the projects, defining case-by-case the constraints of intervention. Hundred years after the realisation of the Weißenhofsiedlung, Stuttgart will be the protagonist of the architectural showcase once again. The Internationale Bauausstellung (IBA) will beheld here in 2027 and the new district of Rosenstein will be conceptually its contemporary reassertion. We should therefore wonder if the most important achieved result will be not the new “model of modern life” – combined with an innovative construction technology (as it was a hundred years ago) – but rather the process that has been created to facilitate a shared and not imposed result. A process that is necessarily slow and democratic (Encore Heureux 2018), and therefore also political. In an European Union where democracy is seeking confirmations.

17. Juli 2019, KONTEXT:Wochenzeitung

Beim urbanen Gärtnern gedeihen nicht nur Kürbis und Petersilie, sondern auch Gemeinschaftssinn, Kultur und Bildung, verkündet die Stadt Stuttgart auf ihrer Website. Warum stehen dann die wichtigsten Urban-Gardening-Projekte vor einer ungewissen Zukunft?

Die Kohlrabi in den Kästen wachsen prächtig, auch der Mangold. Die Tomaten sind noch grün, die Paprika und die Kürbisse noch nicht reif. Minze, Schnittlauch und weitere Kräuter gibt es reichlich. Ansonsten sieht das Inselgrün Anfang Juli bei brütender Hitze ein wenig trocken und verstaubt aus. Kein Wunder, rundherum ist Ödland, seit vielen Jahren. Als sich Stuttgart 2002 um die Olympischen Spiele bewarb, war der frühere Cannstatter Güterbahnhof für das olympische Dorf vorgesehen. Der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster kam zu spät zur Präsentation mit verknackstem Daumen, der Traum war ausgeträumt, nun sollte hier das Wohngebiet Neckarpark entstehen. Basierend auf 17 Jahre alten Gemeinderatsbeschlüssen, die nun endlich umgesetzt werden sollen. Und deshalb soll das Inselgrün hier weg.

Das Inselgrün ist das Herzstück der 2012 von Joachim Petzold ins Leben gerufenen Kulturinsel: eines der wichtigsten Urban-Gardening-Projekte in Stuttgart. Wichtig ist es nicht in erster Linie wegen des Gemüses, wichtig ist es als Freiraum, als soziales Projekt. Das sieht man: es gibt eine kleine Bühne, davor stehen Holzbänke und Tische und eine Tribüne. Einmal im Monat, das nächste Mal am 20. Juli, findet hier das Jangala statt – entspannte elektronische Musik zum Tanzen von 15 bis 22 Uhr. „Gemeinsam“, „Schwingung“, „Harmonie“ steht auf drei Schildern. Zwar hat der Gemeinderat sich zu dem Urban-Gardening-Projekt bekannt. Aber da wo es ist, sollen die Baufahrzeuge für das Wohngebiet anrollen. Die Zufahrt zu verlegen, scheint der Stadt undenkbar. Ein Beschluss von vor 17 Jahren kann nicht noch einmal abgewandelt werden. Aber wo soll das Gartenprojekt hin? Hier ist es organisch gewachsen, direkt verbunden mit der Kulturinsel, mit den bunten Aktivitäten, die dort stattfinden. Jeder kann kommen und gehen wie er oder sie will, rund um die Uhr. Man kann vor oder nach den Veranstaltungen noch ein wenig Unkraut jäten, es gibt Wasser, ein paar Bäume und Sträucher schützen vor Sonne, Wind und Staub. Undenkbar, das irgendwo nach da draußen zu verlagern, wo es im Moment aussieht wie in der Trockensavanne.

Wozu etwas aufbauen, das weg soll?

„Respect the Location!“ steht auf einem Schild, „hier feiert ihr in einem wundervollen Nutzgarten.“ Das klappt ziemlich gut, Vandalismus hat es auf dem Inselgrün so gut wie noch nie gegeben. Es muss ziemlich viel gegossen werden. Jeden zweiten Sonntag ist Helfertreff, erzählt Hannah Becker, die in Freiburg Kulturanthropologie studiert und seit März auf der Kulturinsel ein Praktikum absolviert. Eigentlich hätten es nur sechs Wochen sein sollen, jetzt bleibt sie bis Ende Juli. Zehn aktive und regelmäßige Helfer sind wenig, meint sie. Wenn das Haus der Familie und die Caritas nicht einzelne Beete in Obhut genommen hätten, würde es noch trauriger aussehen. Immerhin kann sie von der Kulturinsel aus immer wieder mal nach dem Rechten sehen. Aber dass das Inselgrün nur noch diesen Sommer hierbleiben soll, bremst das Engagement. Wozu etwas aufbauen, das weg soll?

Hannah Becker meint, es könnte besser organisiert sein: wenn die Verantwortlichkeiten klarer geregelt wären. Aber das Inselgrün ist vor allem ein soziales Projekt. Schulklassen, demente Senioren, Jugendliche auf der Suche nach einer Lebensperspektive, die Daimler-IT-Tochter, die hier ihren Social Day veranstaltet, Anwohner aus dem benachbarten Veielbrunnenviertel, Migranten und Flüchtlinge: beim Urban Gardening kommen alle zusammen. Es gibt nichts, was besser geeignet wäre, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Und es gibt im großen und bunten Stadtteil Cannstatt kein zweites solches Projekt. Seit April ist das Inselgrün Teil des Forschungsprojekts GartenLeistungen. Nach dem Prinzip eines Reallabors sollen praktische Versuche mit wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt werden. Unter Federführung des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung suchen zwei Universitäten, die Stadt Stuttgart und die Umlandentwicklungsgesellschaft Terra Urbana nach dem vielfachen Nutzen des Urban Gardening. Ihre Versuchsfelder sind das „Himmelbeet“ in Berlin-Wedding und das Inselgrün. Nur: welche „vieldimensionalen Leistungen“ kann ein Projekt erbringen, das vor einer unklaren Perspektive steht?

Ein Migrant hat die größten Himbeeren – für alle

Auch der Stadtacker ist ein soziales Projekt. Doch hier stehen nicht Veranstaltungen und soziale Programme, hier steht das Gärtnern selbst im Mittelpunkt. Etwa 100 Personen ackern auf dem ungefähr 4000 Quadratmeter großen Gelände zwischen dem Containerdorf der Wagenhallen-Künstler, den Containern, in denen die Stuttgart-21-Bauarbeiter wohnen, und dem Pragfriedhof. Sie kommen ungefähr zur Hälfte aus der näheren Umgebung, die anderen von weiter weg und arbeiten zum Teil auf eigenen Parzellen, zum Teil aber auch gemeinsam. Ein Migrant hat die größten Himbeeren. Er bietet allen davon an. Ein kleines Paradies. Elisa Bienzle hält ein wenig die Fäden in der Hand. Man kann nicht sagen, dass sie den Stadtacker leitet, es gibt keine Chefin, es ist ein selbst organisiertes, sich selbst organisierendes Projekt. Aber Selbstorganisation heißt nicht, dass alles einfach von selber passiert, jemand muss es in die Hand nehmen. „Wie kann man das Engagement fördern und steigern“, fragt Bienzle. Immer am ersten Sonntag im Monat um 15 Uhr gibt es ein Nutzertreffen. Da bringen Viele ihre Ideen ein. Bienzle fragt dann gleich nach: Was braucht man dazu? Wer ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen?

Stephan Gerdes zum Beispiel kommt von außerhalb Stuttgarts. Auf den Stadtacker stieß er, weil er einmal ein paar Pflanzen übrig hatte, die er weitergeben wollte. Doch dann hat es ihm so gut gefallen, dass er immer wieder kam. Von ihm stammt die Idee mit der Kräuterspirale. Von Steinen begrenzt, windet sich nun ein kleiner Hügel mit Küchenkräutern bergan: unten die, die es gern feucht mögen wie Brunnenkresse; dann fünf oder sechs Minzsorten; oben Mittelmeer-Pflanzen wie Thymian oder Lavendel. Sogar ein Ingwer ist dabei, die Wurzel hatte ausgeschlagen, da hat Gerdes sie einfach mit eingesetzt. Jeden Tag passiert etwas. Einer will Weinstöcke holen, für einen Torbogen. Bienzle sagt, er soll sich die Rechnung geben lassen, ein bisschen Geld sei da. Am einen Ende gibt es ein Feuchtbiotop, am anderen 13 Bienenstöcke. Es gibt aber auch Wildbienen. Kürzlich war ein Biologe da, erzählt Gerdes, der im Auftrag der Stadt eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt. Er war überrascht: So viele Wildbienen habe er in Stuttgart noch nirgendwo gesehen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wird durchgeführt, weil die Absicht besteht, das Operninterim an die Stelle des Stadtackers zu setzen. Zwar hat der Stadtacker schon viele Preise erhalten: den Umweltpreis der Stadt, zwei vom Verschönerungsverein, einen vom Land und zuletzt als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Und das Wagenhallenquartier soll ein Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 werden, einschließlich des Stadtackers, auch nach Auskunft der Stadt. Aber ein Opern-Interim braucht Platz. Viel Platz. Die Stuttgarter Oper hat nach eigener Auskunft 1364 Mitarbeiter und 1404 Zuschauerplätze. Bisher haben die Staatstheater nicht erkennen lassen, dass sie bereit wären, für das Interim auf irgendetwas zu verzichten. Man muss sich das vorstellen: Ungefähr 100 Künstler sind an der Wagenhalle aktiv, 100 Hobbygärtner im Stadtgarten. Abend für Abend würden weit über tausend Opernbesucher das Containerdorf durchqueren, wenn sie von der nächstgelegenen Straßenbahnhaltestelle Pragfriedhof kommen. Vor der Sanierung der Wagenhalle gab es kontroverse Diskussionen, ob die Parkplätze für den Kulturbetrieb ausreichen. Nun sollen mehr als doppelt so viele Besucher auf das Gelände strömen, aber Parkplätze sind kein Thema.

Eine vergiftete Gesellschaft braucht urbanes Gärtnern

Wenn der Stadtacker von seinem jetzigen Standort weichen muss, sagt Elisa Bienzle, müsste er noch einmal ganz von vorn anfangen. Alles was hier, wortwörtlich wie im übertragenen Sinne, gewachsen ist, müsste weg: die Himbeeren, die Wildbienen, die Kräuterspirale, das Feuchtbiotop. Alles ist in den letzten sieben Jahren entstanden, außer einer riesigen Weide, unter deren herabhängenden Zweigen, von der Außenwelt abgeschirmt, die Versammlungen stattfinden. Ein einzigartiger Ort. Auf dem Areal stand einmal ein Eisenbahn-Ausbesserungswerk. 2012 wurde es dekontaminiert, also mehrere Meter tief abgegraben. Mit dem Architekturfestival „72 Hours Urban Action“ begann das Urban Gardening. Der Stadtacker arbeitet nicht mit Kunstdünger. Alles ist biologisch. Es kommt auf die Fruchtfolge an, aber auch auf die Nachbarschaften. Zwischen den Pflanzen, aber auch zwischen den Menschen. Ein Geben und Nehmen. Eben deshalb sind Urban-Gardening-Projekte ein Modell für die ganze Gesellschaft, ein Modell der Ökologie, aber auch der Demokratie. Genau das, was eine in vielfacher Hinsicht vergiftete Gesellschaft am meisten benötigt. Wenn es allerdings nach Bauvorschriften und Grundstückswerten geht, nach fest zementierten Gemeinderatsbeschlüssen oder mächtigen Flächenkonkurrenten, stehen sie auf verlorenem Posten. Deshalb benötigt Urban Gardening einen besonderen Schutz. Die Stadt Stuttgart muss sich entscheiden. Und das scheint ein äußerst schwieriges Unterfangen zu sein. Nach neun Tagen und mehrfachem Nachfragen lässt Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) antworten. Die beiden Projekte Inselgrün und Stadtacker sollen „weiter bestehen bleiben und nicht verschwinden“, teilt die Pressestelle mit. Ob sie ihre Standorte verlassen müssen und wo sie dann hinsollen, sagt sie nicht. Zum Inselgrün heißt es lediglich, es gebe Überlegungen, „wie man in der Sanierungs- und Umbauphase die Flächen nutzen kann“. Beim Stadtacker sei „man noch in Gesprächen“.

19. Juni 2019, KONTEXT:Wochenzeitung

Anna Ingerfurth hat etwas getan, was sich für seriöse Künstler eigentlich verbietet: Sie beschäftigt sich mit Stuttgarter Stadtbezirken. Heimatkunst? Mitnichten. In den Bildern steckt viel Ironie und hintergründiger Humor.

„25.5.2014-26.5.2019“: Der Titel bezeichnet die gerade zu Ende gegangene Wahlperiode des Stuttgarter Gemeinderats. „Eine Darstellung des Rathauses in seiner regierenden Funktion“, schreibt Anna Ingerfurth zu ihrem kleinen Acrylgemälde. Aber was ist zu sehen? Ein Labyrinth. Darum herum, bis über die abgerundeten Kanten der 2,5 Zentimeter dicken Faserplatte hinweg, führt eine Spur von 60 Punkten. „Die Pünktchen symbolisieren die Sitze der jeweiligen Fraktion“, erläutert die Künstlerin, „wobei die Farben nicht den üblich angewandten entsprechen.“ Man kann jetzt nachzählen: 17 schwarze für die CDU, 14 grüne – aber neun rote sind nicht dabei, die SPD ist irgendwie ausgefärbt.

Drei Frauenfiguren scheinen der Spur der Punkte zu folgen oder ihren Weg durch das Labyrinth zu suchen. Aber sind sie wirklich auf dem Weg irgendwo hin oder sind es nur unbewegliche Mannequins, ausgeschnittene Anziehpuppen von hinten? Das Labyrinth verjüngt sich, die Schatten der Figuren entsprechen der Lichtführung. Und doch bilden Boden und Mauer-Oberkanten eine zusammenhängende, einheitliche Fläche: ein Vexierspiel. Ingerfurths Bilder sehen manchmal aus wie Tapetenmuster der siebziger Jahre. Die Farben sind hell und bunt. Ihre Figuren tragen enge Röcke und hohe Absätze, die Männer Anzug mit weißem Hemd. Es sieht alles recht bieder aus, wie aus der Nachkriegszeit. Doch überall lauern Abgründe. Das Tapetenmuster hat Löcher, darin stecken Figuren. Die Fläche klappt plötzlich weg. Bei Ingerfurth muss man auf solche Überraschungen gefasst sein.

Collagen mit subtilen Spitzen

Jetzt hat sie eines Themas angenommen, das normalerweise für Künstler eine No-go-Area darstellt. Das Heimatliche, die 23 Stuttgarter Stadtbezirke: ist das nicht eher etwas für Sonntagsmaler? Das Gegenteil von anspruchsvoller, akademischer Kunst also, die etwas auf sich hält? Aber Ingerfurth hat keine Berührungsängste. Sie nähert sich dem Thema, indem sie ganz nüchtern die Umrisse des jeweiligen Bezirks aus dem Stadtplan übernimmt und mit etwas füllt, was ihn charakterisiert: rote Kirschen für Hedelfingen, denn dort wurde 1850 die Hedelfinger Riesenkirsche entdeckt; biergelbe Farbe und das Robert-Leicht-Logo für Vaihingen, die Heimat des Schwaben Bräu.

Eine Serie von Collagen nimmt die Stadt insgesamt in den Blick. Sie erinnern nicht nur an vergangene Zeiten, sämtliches Bildmaterial stammt aus Zeitschriften der sechziger und siebziger Jahre. Zu den wiederkehrenden Motiven gehören das Rathaus, der Fernsehturm, die Schulstraße – Deutschlands erste Fußgängerzone – und der Österreichische Platz, Sinnbild der autogerechten Stadt: alles charakteristische Stuttgart-Motive. Aber sie setzt diese neu zusammen: das Rathaus steht plötzlich am vielbefahrenen Cityring, gewissermaßen als Strafe für den Gemeinderat, der die Stadtautobahn so gewollt hat. Die Stadtbewohner dürfen dagegen im Freibad planschen. Leise Kritik oder nur Verwunderung über die Dinge, die nicht zusammenpassen?

Die Stuttgart-Bilder von Anna Ingerfurth sind noch bis 13. Juli in der Galerie Valentien, Gellertstraße 6 ausgestellt; die Galerie ist dienstags bis freitags von 13 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr geöffnet

28. Mai 2019, Stuttgarter Zeitung

Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle sieht gute Chancen für Kunstschaffende im Stuttgarter Norden. Als sachverständiger Berater saß er in der Jury des internationalen städtebaulichen Wettbewerbs fürs Rosenstein-Areal

Robin Bischoff hat den Plan vom Rosenstein-Areal, der beim Architektenwettbewerb den ersten Preis geholt hat, in seinem Büro in der Container-City ausgebreitet: „Da, an der Wolframstraße, soll das Konzerthaus hin und an den Rand des Rosensteinparks der Neubau fürs Lindenmuseum. Der Lokschuppen ist für kulturelle Nutzung vorgesehen“, sagt der Geschäftsführer des Kunstvereins Wagenhalle und zeigt auf den Plan. Bischoff saß als sachverständiger Berater in der Jury. Was ihn an dem Entwurf freut: Die Container-City, in der die Künstler noch ihre Ateliers haben, ist in dem Entwurf als Experimentierfeld, als „Maker-City“, geplant. „Das wird ein interessantes Projekt für die Künstler und die Öffentlichkeit“, ist er überzeugt. Die Container-City war von Anfang an als etwas Vorübergehendes gedacht. „Die Container kommen nach und nach weg. Dann kann dort ein Labor entstehen, von dem fürs gesamte Viertel und für die Internationale Bauausstellung Impulse für den Städtebau ausgehen. So etwas gibt es in keiner Stadt“, stellt Bischoff fest.

Mit der Weißenhofsiedlung, der Staatlichen Akademie der bildenden Künste und dem Theaterhaus in Feuerbach an der Grenze zu Stuttgart-Nord, für dessen Erweiterungsbau noch dieses Jahr der Wettbewerb ausgeschrieben wird, dem Theater NORD und seinen kleineren Kultureinrichtungen rückt laut Bischoff der Norden immer mehr ins Blickfeld. „Die Wagenhalle und das Gelände drum herum sind das Gelenk, das die Kulturszene auch über Grenzen des Stadtbezirks Nord verbindet.“ Das Nordbahnhofviertel und der Killesberg seien immer auseinander gefallen. Doch mittlerweile gibt es gute Verbindungen. Bischoff: „Viele Künstler in der Container-City haben an der Akademie studiert, und es gibt immer wieder gemeinsame Projekte.“ Auch die im Rosenstein-Areal geplante Kulturszene könne mit der im Osten zusammenwachsen. Die Verbindung zum Bezirk Mitte sei bereits durch die Stadtbibliothek geschaffen.

Das Thema Interimsoper bei der Wagenhalle? Bischoff zuckt mit den Schultern. Seine Ablehnung scheint nicht mehr so groß wie noch vor einigen Monaten. Bischoff: „Ob Interimsoper ja oder nein kann man nicht einfach beantworten. Das ist vor allem eine Platzfrage. Derzeit habe ich Zweifel, dass es geht.“ Er sagt aber auch, dass man die Oper, falls es doch geht, eventuell in die Maker-City integrieren könne. Statt die Gebäude später zu
verkaufen, ließen sich dann einige Bauten vielleicht nachnutzen. Was im Norden bislang gefehlt hat: ein Ort für Konzerte und Theater. Mit der Fertigstellung der Wagenhalle gibt es das inzwischen auch. „Wir sind nicht mehr nur reiner Atelierstandort“, sagt Bischoff und geht davon aus, dass der Norden ein kulturell noch spannenderes Viertel als bisher wird. Orte gefunden werden müssten allerdings für den Stadtacker und die Eisenbahnwaggons mit den Künstlern unter der Gäubahnbrücke.

1. Mai 2019, Kunstmagazin PARNASS

In Stuttgarts Nordbahnhofviertel befanden sich einst die Wageninstandsetzungshalle und das Areal, in dem die Eisenbahner mit ihren Familien wohnten. Im Zuge von Stuttgart 21 wurden die riesigen Hallen, die bis 2003 im Besitz der Deutschen Bahn waren, von der Stadt Stuttgart gekauft. Die dazugehörigen Flächen waren für ein zukünftiges Wohngebiet im Rahmen von S21 vorgesehen. Seit 2004 haben sich in der ehemaligen Wageninstandsetzungshalle Künstler Ateliers eingerichtet und diese damit vor dem Abriss bewahrt. Zusammengeschlossen zum Kunstverein Wagenhalle e.V., haben sich seitdem Kreative und Kulturschaffende einen Freiraum aufgebaut, der zu einem international beachteten Transformator wurde und die Rolle künstlerischer Strategien für die Stadtentwicklung aufzeigt. Aus der anfangs befristeten Zwischennutzung entstand eine dauerhafte Einrichtung. 2015 wurde die Sanierung der noch verbleibenden Halle beschlossen. Sie wird zum einen Teil als Veranstaltungsbetrieb genutzt, der zweite, größere Teil, wird aktuell zu Ateliers und einem Ausstellungs-und Projektraum ausgebaut.

Als Interimsquartier wurde von den Kulturschaffenden die Container City errichtet. Über 100 Container und zwei Eisenbahnwaggons werden als Ateliers, Proberäume und Büros genutzt, mit einem breiten, interdisziplinären Spektrum. Kunstprojekte wie „Pylonia“ von Performance Electrics, die „Rosensteinalm“ von Gabriela Oberkofler, das „Musterhaus“ von Studio Umschichten oder das „Theatre of the Long Now“ des Bureau Baubotanik wurden eigens für den Ort entwickelt. Enge Kooperationen bestehen auch mit den auf dem Gelände ansässigen soziokulturellen Projekten wie „Fahrräder für Afrika e.V.“, den Urban Gardeners vom „Stadtacker e.V.“ und der Tanzschule „Tango Ocho“. Der Projektraum TAUT – Temporary Artists Utopia Tool – des Kunstvereins Wagenhalle, initiiert von Robin Bischoff, Vorsitzender des Kunstverein Wagenhalle und Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH, und Anja Koch, dient ansässigen und geladenen Künstlern als offene Plattform. Es finden Ausstellungen, Vorträge, Symposien, Performances, Filmvorführungen und Workshops statt. Der Marktplatz ist zentraler Treffpunkt und dient auch als Ort der Begegnung der Stuttgarter Bürger mit den ansässigen Künstlern. Die Wagenhalle ist zu einem Modellfall geworden und zeigt die Rolle künstlerischer Strategien für die Stadtentwicklung auf.

2015 initiierte Robin Bischoff im Projektraum TAUT die Reihe Kulturschutzgebiete, wo Architekten, Stadtplaner, Künstler, Wissenschaftler und Bürger sich gemeinsam mit den Transformationsprozessen rund um das Nordbahnhofquartier beschäftigten. Parallel dazu erklärte der Kunstverein Wagenhalle das gesamte Areal des Containerdorfes zum „Kulturschutzgebiet“, wofür die Künstler Sylvia Winkler und Stephan Köperl 2016 Schilder entwickelten und an den Eingängen zum Areal platzierten. 2017 begann die Renovierung der Wagenhalle durch das Stuttgarter Architektenbüro Atelier Brückner, dem eine Sanierung gelang, die den Charme und die Geschichte der alten Wagenhalle erhalten hat und mittlerweile als Vorzeigeprojekt für den richtigen Umgang mit Architekturgeschichte gilt. Es ist hier etwas Einzigartiges entstanden, das trotz unterschiedlicher künstlerischen Positionen eine klare Struktur besitzt, so Bischoff. Als Vertreter des Kollektivs führt er auch die Gespräche mit der Stadtpolitik. Zwar ist die Existenz der Wagenhalle als Produktionsstätte gesichert, doch auf der Suche nach einem Ausweichquartier für die Stuttgarter Oper während ihrer Sanierung ist man auf das Areal beim Nordbahnhof gestoßen. Für eine Koexistenz mit der Interimsoper ist jedoch zu wenig Platz und daher plädieren die Künstler für den Erhalt des Areals.

Ihre Pionierarbeit wurde mittlerweile ausgezeichnet. 2018 erhielt das Kulturschutzgebiet Wagenhalle/Container City gemeinsam mit Studio Malta für ihre nachhaltige Stadterneuerung eine Belobigung des Deutschen Städtebaupreises. Eine ähnliche Auszeichnung vergab die Jury des italienischen Städtebaupreises RIUSO_06. Der Ort hat Zukunftspotenzial – nicht nur als Ausstellungsfläche, sondern auch als Raum, in dem experimentiert werden kann und wo sich städtebauliche und ökologische Visionen realisieren lassen – und so sehen die Künstler ihre Container City als Projekt bei der Internationalen Bauausstellung 2027, das Maßstäbe im Städtebau setzen möchte. Die am 8. April gekürten beiden ersten Preise des internationalen offenen städtebaulichen Wettbewerbs Rosenstein haben das Kulturschutzgebiet/Container City oder eine „Stärkung“ des Experimentierfeldes vor der Wagenhalle fest eingeplant.

9. April 2019, KONTEXT:Wochenzeitung

"Dunkle Materie", die letzte Produktion des O-Teams, konfrontiert den hohen Ton des antiken Dramas mit einer Realität voller Pannen. Nun erhält die an der Stuttgarter Wagenhalle beheimatete Truppe den Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg.

„Der Chor der ZuschauerInnen bitte bereitmachen zum Betreten des Saals.“ Die Stimme klingt sachlich, wie eine Durchsage im Kaufhaus. Im Foyer des Theater Rampe warten die Besucher des Stücks „Dunkle Materie“ auf Einlass. Sie haben ein weißes Leintuch angelegt bekommen, sind also nicht unbeteiligt. Plötzlich stürmt laut schreiend ein Mann, ebenso bekleidet, durch die Menge und verschwindet durch die Saaltür. Es ist Ödipus, König von Theben, der sich soeben selbst geblendet hat. Er trägt, wie im antiken Drama üblich, eine Maske: in diesem Fall aus Pappe mit blutunterlaufenen Augen. Wild gestikulierend deklamiert er den Text des Sophokles: „O weh, o weh! Ach, ach, ich Unseliger! Wohin trägt mein Fuß mich, wohin ist die Stimme verweht, wohin hat mich mein Schicksal verschlagen?“ Währenddessen gibt die Inspizientin mit neutraler Stimme Anweisungen: „Ruhe bitte beim Betreten des Zuschauerraumes. Der Chor der ZuschauerInnen begibt sich ruhig auf seine Plätze.“ Vorne sitzt zwischen ionischen Säulenstümpfen die Bühnenbildnerin Nina Malotta und rührt in einem Farbeimer. Hinten produziert Rivkah Tenuiflora alias Rebecca Hennel mit geloopter Elektrogitarre, kleineren Instrumenten und „allerlei Krimskrams“ einen zunehmend infernalischen Soundtrack. Links steht eine prismatische Raumkapsel aus einer früheren Produktion des O-Team, „Raumpatrouille 433“. Hinter der Scheibe sieht man die Inspizientin auf- und abgehen. Wie von der Kanzel eines Krans aus wacht sie über die Bühne. „O Dunkelheit, umfasse diesen Körper!“, ruft Ödipus aus, der seinen Vater getötet und seine Mutter zur Frau genommen hat: „Nie wird der Vorwurf enden.“

„Dunkle Materie“ war das letzte Stück des O-Teams, das vor einiger Zeit sein „zehn- bis zwölfjähriges“ Jubiläum gefeiert hat. Denn so genau weiß niemand, wann es angefangen hat: Vielleicht 2005 mit „Solaris“ nach dem Roman von Stanislav Lem, ein Stück, das die ursprünglich Berlin-basierte Gruppe damals schon an der Stuttgarter Wagenhalle aufgeführt hat. Über die Lokalitäten war Samuel Hof, Bühnenbildner und Regisseur, wegen der Infrastruktur und der Nachbarschaft von Schrotthandel und Künstlern aller Sparten, von Anfang an ganz begeistert: „Man kann hier komplett andere theatrale Möglichkeiten denken.“

Eine Etage Blut- und Spermatheater

Oder vielleicht hat es angefangen mit „HermannSchlachten_07“: einem Großprojekt mit 52 Beteiligten, mangels Förderung alle ehrenamtlich, halb Theater, halb Kunstausstellung. Die Künstler stilisierten sich als wilde Germanen, die wie die Gallier um Asterix der Übermacht des Imperiums Widerstand leisten. Sie problematisierten aber auch den Patriotismus der literarischen Vorlagen von Kleist und weiteren Autoren des 19. Jahrhunderts: „Hermann – the German“, wie die Dramaturgin Anna Rohde-Seyfried im Katalog schreibt.

„HermannSchlachten“ hat die Wagenhalle auf die Landkarte gesetzt: vier Jahre, nachdem dort um die 70 Künstler ihr Atelier bezogen hatten. Man könnte auch mit „Blaupause“ anfangen. Die Premiere fand 2009 in München statt: in einem früheren Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung, zur Firmenfeier des Investors, der den Bau erworben hatte und durch Luxuswohnungen ersetzen wollte. Er verlangte, es dürfe kein „Blut- und Spermatheater“ werden. Das hatte zwar niemand vor. Thema war die Geschichte des Redaktionsgebäudes. Aber Vorschriften wollten sie sich auch nicht machen lassen, moniert Antonia Beermann, daher hätten sie dem „Blut- und Spermatheater“ eine ganze Etage gewidmet. Und sie gründeten eine Agentur, um „Stage Marketing“ zu betreiben nach dem Motto: „Wir bringen Ihr Produkt auf die Bretter, die die Welt bedeuten.“ Diese Agentur nannten sie Team Odradek nach der kleinen Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“ von Kafka. Da aber der Namen immer falsch geschrieben wurde, heißen sie nun O-Team.

Seit „Blaupause“ arbeitet Beermann – in „Dunkle Materie“ die Inspizientin – als Dramaturgin des O-Teams. Seinerzeit führte noch Jonas Zipf Regie, der um 2010 ans Thalia-Theater nach Hamburg wechselte, später Schauspieldirektor des Darmstädter Staatstheaters wurde und heute der Leiter des städtischen Kulturbetriebs Jena ist. Samuel Hof, ursprünglich der Bühnenbildner, übernahm seitdem die Regie. Nina Malotta, die heutige Bühnenbildnerin, ist seit der Aufführung von „Kirschgärten“, nach Anton Tschechow, 2009 in Darmstadt dabei. Sie ist eigentlich bildende Künstlerin. „Ich dachte, ich bleibe bei meinen Galerien in Köln und London“, erzählt sie, „doch dann hat es mir so gut gefallen bei dieser Gruppe: Jeder kann sich einbringen nach seinen Fähigkeiten – so wie es überhaupt sein sollte im Leben.“ Zum Team gehören auch Markus Niessner, der sich derzeit mehr seiner erfolgreichen Design-Agentur widmet, und Pedro W. Pinto, der die Hälfte seiner Zeit in Braga in Portugal verbringt. Und, ungewöhnlich für eine Theatergruppe, nur ein einziger fester Schauspieler: Folkert Dücker, der vor seinem Schauspielstudium in Stuttgart bereits Arabistik und Islamwissenschaften in Berlin studiert hat.

Auch der Staubsauger gibt den Geist auf

In „Dunkle Materie“ kommt nach ungefähr zehn Minuten der „Chor der Scheinwerferinnen“ zum Einsatz. Von spratzelnden Geräuschen begleitet, projizieren sie orakelhafte Sätze an die Wand: „Die Zeichen, sie mehren sich täglich: Insektenschwund, Dürren und Fluten. Der Klimawandel ist längst schon da. Klar, wir sind technisch schon weiter, aber die Investitionen, die großen, müssen sich erst amortisieren.“ Währenddessen tritt unter der Raumkapsel Schaum aus. Das Stück muss unterbrochen werden. Da auch der Staubsauger den Geist aufgibt, kündigt die Inspizientin an: „Der Beginn der nächsten Szene verzögert sich auf unbestimmte Zeit.“ Da es gerade nicht weiter geht, tritt Dücker, nun als er selbst, an den Bühnenrand, probt mit den ZuschauerInnen, also dem Sprechchor, eine Szene und räsoniert über den Ödipus-Stoff und die Schuldfrage. Auf dem Weg zum Theater sei er am Marienplatz am Terre-des-hommes-Stand vorbeigekommen. Er habe einen großen Bogen gemacht, um nicht angesprochen zu werden, sich dann aber doch schlecht, irgendwie schuldig gefühlt.

Die wiederholten Unterbrechungen, das Herausspringen aus der Handlung, der abrupte Wechsel von Ödipus zum Anthropozän wirken als Momente der Verfremdung wie im epischen Theater von Bertolt Brecht. Nur dass das O-Team im Gegensatz zu Brecht über keinerlei Gewissheiten verfügt, die es dem Publikum didaktisch vermitteln könnte. Die Probleme gehen uns alle an. „Der Chor der ZuschauerInnen macht sich bereit für die Simulation einer echten Situation“, sagt die Inspizientin: „Und das ist das Achtung für die Vermischung von Realität und Fiktion.“ Nächste Durchsage: „Und das ist das Achtung für das langsam keimende Bewusstsein, dass der Reichtum Europas nicht auf ‚harter Arbeit‘, sondern auf Jahrhunderten der Ausbeutung anderer Kontinente und der Unterdrückung anderer Kulturen beruht.“ Die hier angesprochenen Probleme sind viel zu groß, um auf einer Theaterbühne gelöst oder auch nur dargestellt werden zu können. Es sind die Probleme der gesamten Menschheit, in einer Welt, die nicht zuletzt durch den Einsatz von Technik aus den Fugen geraten ist. Daher auch die Frage nach Schuld und Verantwortung, daher der Rückgriff auf die antike Tragödie, der nicht wirkt wie eine bemühte Aktualisierung des klassischen Stoffs, sondern wie eine Suche nach einem anderen Umgang mit dem Problem, ohne moralisierendes Gut und Böse.

Zwischen Großbaustelle und Künstleroase

Eben die prinzipielle Undarstellbarkeit des Themas macht die vielfachen Brechungen notwendig, um überhaupt einen Abstand herzustellen. Am Ende aber bleibt der Zuschauer seinen eigenen Gedanken überlassen, während sich in Malottas Farbeimer etwas bewegt, das sie als Lichtspiel an die Wand beamt, gefolgt von animierten Zeichnungen und begleitet von vielfach geschichteten Musikspuren. Das Verhältnis zur Technik ist ambivalent. Während im Stück Scheinwerfer ausfallen und der Theaterarzt zur Unterbühne gerufen wird, um nachzusehen, ob noch jemand am Leben ist, haben Hof und Pinto, wie Malotta erzählt, eine ganze Weile getüftelt, um den Chor der Scheinwerferinnen zu konstruieren. Nach der Ambivalenz technischer Errungenschaften, in diesem Fall der Digitalisierung, fragte auch die vorige Produktion „:-Oz“, Untertitel „3D-Plastik-Biohypermedia-Theater“, für die das O-Team nun den Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg erhält und die deshalb am 9. April im Theater Rampe noch einmal aufgeführt wird. Es geht um den „Glitch“ – Bildstörungen, die das Medium erst sichtbar machen –, aber auch um das Theater an sich: Inwieweit ist die Anwesenheit realer Körper und Stimmen in unserer durchtechnisierten Welt überhaupt noch nötig? Und nebenbei führt Dücker hinreißende Interview-Dialoge mit der fiktiven Künstlerin Dorothy (Antje Töpfer), nach Aussagen echter KünstlerInnen.

Außerdem greift das O-Team „Transit“ wieder auf: den „Audiowalk in vergangene Zukünfte“ durch das Areal am Inneren Nordbahnhof rund um die Wagenhalle. Über Funk und Kopfhörer erfahren die Teilnehmer etwas über den Kapitalismus als Glaubenssystem und die heterogene Umgebung zwischen Großbaustelle und Künstleroase. Das Stück basiert auf einem Text des bulgarischen Autors Alexander Manuiloff. Dessen Werk „Der Staat“ hat Hof beim Theatertreffen Berlin gesehen: ein Programm ohne Schauspieler über Demokratie und Korruption. Technik ist auch Thema der nächsten Produktion „Crash“. Im Mittelpunkt steht ein echtes Unfallauto. Es geht um den „Unfall als Kehrseite der Technik, die verschwiegen wird“, wie Hof erklärt. Das Stück wird im September in Aalen und München zu sehen sein.

Info:
Zu sehen ist „-:Oz – 3D-Plastik-Biohypermedia-Theater“ am 9. April um 20.30 Uhr im Theater Rampe. Die nächsten Termine von „Transit – Audiowalk in vergangene Zukünfte“ sind am 13. April um 11, 13 und 15 Uhr sowie am 17. und 18. April jeweils um 18 Uhr. Anmeldung über das Theater Rampe, Startpunkt ist am S-Bahn-Ausgang Nordbahnhofstraße.

6. März 2019, Badische Neueste Nachrichten

Außergewöhnlich: Das „Kulturschutzgebiet Wagenhalle“ in Stuttgart

Die Spitze leuchtet. Und auch sonst hebt sich der Mast deutlich vom nächtlichen Dunkel ab. „Die Stuttgarter sollen sehen, dass es das hier gibt“, sagt Clair Bötschi. Auf seiner Visitenkarte steht „Assistenz der Geschäftsleitung“. Die liegt bei Pablo Wendel, Absolvent der Stuttgarter Kunstakademie. Studiert hat er unter anderem bei dem in Ettlingen ansässigen Bildhauer Werner Pokorny, internationale Aufmerksamkeit erregte er 2006, als er sich unter die berühmte Terracotta-Armee im chinesischen Xian mischte. Umkleidet von einem täuschend echten Kostüm stand Wendel regungslos zwischen den Ton-Soldaten, bis er entdeckt wurde. Die Grenzen des Machbaren auszuloten, ist fester Teil seiner künstlerischen Praxis. So kam auch der Hochspannungsmast in die Landeshauptstadt: Erworben in Belgien, aufgestellt im „Kulturschutzgebiet Wagenhalle“. Entstanden als Provisorium wird das Gebiet mitsamt seinen Akteuren inzwischen mit Auszeichnungen bedacht: 2018 wurde dem „Kulturschutzgebiet“ im Rahmen des Deutschen Städtebaupreises von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung eine Belobigung ausgesprochen; eine ähnliche Auszeichnung vergab die Jury des italienischen Städtebau-Preises RIUSO_06.

Seinen Ursprung hat das Stuttgarter Projekt in der Ateliernot, wie sie nicht zuletzt Karlsruhe zur Genüge kennt. Wie in Karlsruhe, wo hinter dem Hauptbahnhof bis vor zwei Jahren eine Künstlerkolonie existierte, schien auch in Stuttgart die Rettung von der Deutschen Bahn zu kommen. Eine Wageninstandsetzungshalle wurde nicht mehr gebraucht, die Stadt erwarb sie (das war 2003) und vermietete dort Atelierräume. Rund 100 Künstlerinnen und Künstler aller Sparten richteten ihre Werkstätten, Studios oder Proberäume ein. Bis 2014 der Brandschutz das Gebäude unter die Lupe nahm. Der Befund: Feuerschutzwiderstandsklasse F 0. „Da geht nicht mal mehr die Feuerwehr rein,“ sagt Sylvia Winkler. Sie und die anderen mussten ihre Arbeitsplätze aufgeben.

Winkler ist Künstlerin und Mitglied im Vorstand des „Kunstvereins Wagenhalle“. Mit dem schloss die Stadt eine Vereinbarung: Das ehemalige Ausbesserungswerk wird so saniert, dass es sich wieder für Ateliers nutzen lässt. Sogar ein Anbau mit weiteren Atelierräumen kommt dazu. Finanziert wird das Ganze weitgehend über ein Darlehen, für das die Stadt die Bürgschaft übernimmt und das der Verein über die Jahre abbezahlen soll. Zur Überbrückung der atelierlosen Zeit stellt die Stadt außerdem den Betroffenen das Nachbargelände zur Verfügung, legt sogar Strom und Wasser, damit sie dort provisorische Werkstätten errichten können.

Das Abkommen führte zu einem Kreativitätsschub. „Die Herausforderung hat uns extrem zusammengeschweißt,“ erklärt Winkler. Tatsächlich ist ein Areal entstanden mit unterschiedlichsten Aktivitäten in Sachen bildende Kunst, Musik, Architektur, im Urban Gardening und auf anderen Gebieten. So erproben etwa Hannes Schwertfeger und Oliver Storz mit ihrem Bureau Baubotanik Möglichkeiten, mit Hilfe von Pflanzen Räume zu schaffen, Moritz Finkbeinern veranstaltet Konzerte mit Bands wie Mosquito.Ego, die abseits des Mainstream agieren, und der Figurenspieler Oliver Köhler erprobt seine neuen theatralen Erfindungen. Bildhauer wie Thomas Putze oder Stefan Rohrer sind hier ebenso tätig wie die Regisseurin Andrea Roggon, die unter anderem den Film „Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“ (2015) herausgebracht hat. Sogar eine Art Mini-Bauernhof findet sich – die Rosensteinalm, errichtet von Gabriela Oberkofler. Deren Zeichnungen gehören zum Spannendsten, was derzeit in dieser Kunstgattung hervorgebracht wird. Ihr Thema ist die Natur. Aber sie beschränkt sich nicht darauf, filigrane Bilder von Pflanzen, Vögeln oder biologischen Prozessen zu Papier zu bringen, die Künstlerin verfolgt einen umfassenden Ansatz, der unter anderem auch die Pflege alter Pflanzensorten miteinschließt.

Diese interdisziplinäre Offenheit macht das Besondere des „Kulturschutzgebiets“ aus. Zwar sollen im Laufe des Jahres der Atelierneubau und die sanierte Wagenhalle bezogen werden. Die Künstler und ihre Unterstützer plädieren gleichwohl für den Erhalt des Geländes. Immerhin ist hier etwas Einzigartiges entstanden, das trotz aller bunten Individualismen eine klare Struktur besitzt, wie Robin Bischoff betont. Er ist der Vorsitzende des Kunstvereins Wagenhalle und Geschäftsführer der Kunstverein Wagenhalle Verwaltungs-gGmbH, die beim Amtsgericht Stuttgart unter der Handelsregister-Nummer HRB 762420 geführt wird. Bischoff kümmert sich um die Finanzen, sorgt dafür, dass elementare Funktionen wie eine Feuerwehrzufahrt bei der Planung berücksichtigt werden, und führt als Vertreter des Kollektivs Gespräche mit der Stadtpolitik.

Die scheinen dringender denn je. Auf der Suche nach einem Ausweichquartier für die Stuttgarter Oper, deren Traditionsgebäude am Schlossplatz ertüchtigt werden muss, ist man auf das Areal beim Nordbahnhof gestoßen. Ein Opern-Provisorium wäre das Aus für das „Kulturschutzgebiet“. Dabei hat der Ort Zukunftspotenzial. Auch beim Bauhaus, dessen Gründung derzeit allenthalben gefeiert wird, war zunächst nicht absehbar, welche Bedeutung es einmal erlangen sollte. Aus seinem Geist entstand 1927 die Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Auf die berufen sich die Künstler, die sich als Pioniere verstehen: „Wir wollen Weißenhof 4.0 sein.“