18. September 2019 , Stuttgarter Zeitung
Robin Bischoff steht für die Weiterentwicklung des Wagenhallen-Areals, für den Kunstverein und für die Neugestaltung des Stuttgarter Nordens. Beginn einer neuen Serie über die Menschen von den Wagenhallen.
S-Nord – Es war einmal in Stuttgart eine große innerstädtische Fläche, die bestand zur Jahrtausendwende vor allem aus verrosteten Abstellgleisen und Kleingärten. Dann kam der Baubeschluss für das Projekt Stuttgart 21 und aus dem hektargroßen Areal wurde eine gigantische Verladerampe, auf dem der Erdaushub des neuen unterirdischen Durchgangsbahnhofs weiter transportiert wird. Und ebenfalls in diesem Geschehen: Die Wagenhalle, eine Industriebrache, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts zur Wartung von Eisenbahnfahrzeugen. Der Öffentlichkeit war dies kaum bekannt. Kein Wunder, schließlich war es ja mitten auf dem Bundesbahn-Areal offiziell nicht zugänglich.
Willkommen im Kulturschutzgebiet
Heute ist die Laderampe für den Erdaushub immer noch im vollen Betrieb. Die Wagenhalle ist jedoch Teil eines Kulturschutzgebiets, kenntlich gemacht durch ein grün umrandetes Dreieckschild, das wie die amtlichen Hinweise auf Naturschutzgebiete auf seiner Spitze steht. Da mittendrin: Das stilisierte Abbild einer Banane, also die Einladung, die Schale zu entfernen und so eine süße Frucht zu erkennen. Rockmusik-Fans erinnern sich da an das von Andy Warhol gestaltete Cover des Kultalbums „The Velvet Underground & Nico“ von 1967. Doch die Wagenhalle-Aktivisten schauen vor allem voller Tatendrang nach vorne: Im Veranstaltungsbereich ist wieder jede Menge geboten, die Gastronomie freut sich auf Nachfragen auch von Firmen für interne Feiern. Und den Künstlern vom Kunstverein steht inzwischen nicht mehr nur die Container City zur Verfügung, also das, was gerne mit kreativem Chaos verglichen wird. Inzwischen ist auch das komplett neu erbaute Atelierhaus bezogen. Und im historischen Gebäudeteil werden jetzt die Wände und Decken eingezogen für weitere Atelierräume.
Architekt und Künstler
Dass dieser Wandel vom Abbruchareal zum preisgekrönten Zukunftslabor auch eine hohe Verweilqualität haben kann, dafür steht Robin Bischoff. In seiner Biografie stehen sowohl architektonische wie künstlerische Lehr- und Lernjahre: Und beide Qualitäten sind in seiner Eigenschaft als Vorsitzender und Geschäftsführer des Kunstvereins Wagenhalle gefragt. Dass die Fensterbrücken in der Dachkonstruktion der Belüftung wegen klappbar sein müssen, weiß der Architekt. Dass sie per Jalousie aber auch lichtundurchlässig sein sollten, weiß der Künstler zu schätzen. Wieviel Raum benötigt ein Jongleur, wie gestaltet ein Designer sein Habitat? Das weiß der Künstler, und der Architekt muss diese Vorstellungen zu einem guten Ganzen in einem vorgegebenen Kostenrahmen fügen. Und dann die obligatorischen Fragen in einer Industriebrache: Was an alten Dingen kann und muss weg, was ist so interessant und skurril, das es bleiben muss, beziehungsweise soll? Die Auswahl ist groß an teils monströsen Schalt- und Sicherungskästen, an Leitungen und an mehr oder weniger maroden Backsteinwänden, teils mit, teils ohne Putz.
Atelierräume wie ein Puzzle zusammenfügen
Derzeit werden in der historischen Halle die Ateliers aus Holzelementen zurechtgezimmert: Das eine mit viel Oberlicht, ein anderes mit wenig, ein weiteres mit Zwischengeschoss, dann eben wieder eines ohne – und das alles integriert in einem großen Raumkonzept. „Es ist wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück zueinander fügt“, weiß Bischoff, „und wir haben die Raumkonzepte ja mit den Erwartungen der Nutzer abgestimmt“. Aber es geht ja auch darum, flexibel zu sein, wenn die Nutzer der ersten Stunde eines ferneren Tages mal wieder ausgezogen sind. Bischoff: „Da haben wir ja dann ein sehr vielfältiges Angebot an Varianten für ein Künstleratelier“.
Der Veranstaltungsraum speziell für die Künstler, die hier arbeiten, ist auch schon weitgehend fertig. An den Details wird noch gefeilt: Da gibt es historische Trägerkonstruktionen, die freilich irgendwelchen heutigen Belastungen nicht mehr standhalten können. Neue müssen her, und da sind die Anforderungen denkbar vielseitig: Bildende Künstler, Artisten, Schauspieler, Musiker – sie alle wollen da mal zeigen, was sie können. Immerhin: Auf eine Hierarchie – hier Bühne, da Zuschauer, wurde schon mal verzichtet. Dafür befindet sich da drin unübersehbar ein ziemlich großer Kubus. Da sind die Sanitäranlagen für die Besucher drin. Das weiß der Architekt Bischoff. Aber steht dieser Klotz nicht gewaltig im Weg? – Da ist dann wieder der Künstler gefragt. Denn da geht ja auch eine Treppe hoch auf das Dach dieses Kubus, der damit Teil eines Spielkonzepts sein kann. In der klassischen Theaterarchitektur würde man da von einem Balkon sprechen. Mal sehen, was da wem damit noch alles so einfällt.
Ein Labor für mehr als 100 Künstler
So wechselt Bischoff stets die Rollen, auch als Macher von Kunstboulevard, Projektraum Taut oder Container City sowie als Stadtplaner für das Rosenstein-Quartier. Da war er Sachverständiger in der Jury des Städtebau-Wettbewerbs Rosenstein. Container City, das ist die Realität gewordene Idee eines Labors von etwa 100 Künstlern rund um das historische Gebäude. Das hat Interimscharakter nach dem Motto „Tätig sein statt Wünsche formulieren“, ist aber inzwischen mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet worden als wegweisendes Beispiel dafür, was Innerstädtisch an Ressourcen freigelegt werden kann. Damit auch schon mal ein herausragendes Beispiel für die Internationale Bauausstellung, die Stuttgart im Jahre 2027 ausrichten wird. Auf diese Weise verstetigt sich zugleich ein temporär gedachtes Modell.
Ein neuer Stadtteil
Das Rosenstein-Quartier bleibt trotz erster neuer Wohnbauten entlang der Nordbahnhofstraße noch viele Jahre ein Projekt, an dem noch viel gedacht wird. Bischoff macht da ebenso mit. Einen Stadtteil ganz neu gestalten, ohne frühere Fehler zu wiederholen, die Wagenhalle als Kultur- und Kreativitäts-Standort, wo ganz neue Beziehungen geknüpft werden zu Einrichtungen, die bisher als Solitär funkeln (Theaterhaus am Pragsattel, Probenzentrum Nord, Wizemann, etc.), denen die vitale Anbindung an das städtische Leben aber noch fehlt.