28. Februar 2015 , Stuttgarter-Nachrichten
Es knirscht und kracht in den Wagenhallen. Nicht nur im Gebälk. Die Gebäude sollen für 30 Millionen Euro saniert werden. Wie das geschehen soll, darüber streiten die dort arbeitenden Künstler und Veranstalter. Der Zoff ist deshalb so heftig, weil eine Ära endet – und jeder eine neue Rolle finden muss.
Stuttgart – Es sind drei Zettel. Harmlos eigentlich. Sie sollen dem Brandschutz dienen, doch sie waren der Brandbeschleuniger, der die Wagenhallen zur Explosion brachten. Sie kleben an der Wand, auf ihnen steht, wer wann in der Tangohalle auftritt, dem Veranstaltungsraum der Wagenhalle. Die Konzerte sind aufgelistet, mit Datum, Beginn, Ende und Dauer. Damit die rund 80 Künstler in der Wagenhalle ganz genau wissen, wann sie raus müssen. Wenn nämlich Musik gemacht, getanzt, Hochzeit gefeiert wird, darf niemand mehr in der Halle sein. Das ist eine Auflage der Brandschützer, sonst hätten sie die marode Halle dicht gemacht. So haben Stefan Mellmann und Thorsten Gutbrod vom Veranstaltungsbetrieb 876 Stunden im Jahr, in denen sie die Tangohalle belegen dürfen. „Das sind 130 Veranstaltungen im Jahr“, rechnet Mellmann vor, „im Vorjahr waren es 200.“
Kommerz! Kommerz! Ich kann es nicht mehr hören!
Ihnen reicht das Kontingent nicht, sie fürchten um ihre Existenz und die ihrer acht Angestellten, den Künstlern ist jede Stunde zu viel, in der sie ihre Ateliers verlassen müssen. Ein Kompromiss, der niemand freut. Und der einen Konflikt entzündete, der schon lange schwelte. Es geht durchaus handfest zu. Anzeigen hagelt es, gerne anonym. Wie man hört, ging auch Geschirr zu Bruch. Der Vorwurf lautet, Mellmann und Gutbrod hätten alte Ideale verraten, würden nur ans Geld denken, die Belange der Künstler verraten, würden sie aus der Halle drängen. Der Vorwurf schmerzt, wer will schon Verräter und Geldsack sein?
„Kommerz! Kommerz! Kommerz! Ich kann es nicht mehr hören!“, bricht es aus Gutbrod während einer Diskussion mit Kulturschaffenden heraus. Eigentlich wollte man darüber reden, wie dringend Stuttgart die geplante größere Veranstaltungshalle mit bis zu 1800 Besuchern braucht. Der Zoff mit den Künstlern sollte außen vor bleiben; deren Ängste, die Wagenhalle solle vor allem Veranstaltungsort und für sie zu teuer werden, kein Thema. Man wollte „nach vorne schauen“, so Mellmann. Doch es wurde auch ein Blick zurück. Gutbrod erinnerte sich, wie er als frisch gebackener Volkswirt vor gut zehn Jahren in der von der Bahn geräumten Halle am Inneren Nordbahnhof ankam. Man habe klein angefangen, habe Schrottsofas vom Müll geholt, „anfangs waren wir mehr mit Reparieren als mit Veranstalten beschäftigt“.
„Schwer, mit Kultur Geld zu verdienen“
Langsam sei man gewachsen, „ohne Gelder der öffentlichen Hand“, habe auf eigenes Risiko investiert. „Es ist ganz schön schwer, mit Kultur Geld zu verdienen.“ Deshalb brauche man die Hochzeiten, die Partys von Daimler und Deutscher Bank, „damit können wir querfinanzieren und etwa freiem Theater Raum bieten“. Man habe mit den Veranstaltungen nicht nur den Künstlern Kontakte verschafft, auch dafür gesorgt, „dass dieser Ort angenommen wurde“. Und erhalten bleibe. Gutbrod: „Das ist doch eine tolle Entwicklung, dass dieser Ort der Kultur nicht verloren geht.“
Doch genau das befürchtet der Kunstverein, die Interessenvertretung der Künstler. Er befürwortet deshalb eine langsame Sanierung, die allen Raum und Platz bietet. und überdies günstiger wäre. Also nur Kommerz gegen Kultur, die Geschäftemacher gegen die Reinherzigen? So einfach ist es nicht. Es gibt nicht den Künstler. „Ein Sack Flöhe“ seien sie, sagt einer von ihnen, „aber auch Charakterköpfe, klar, dass es da knallt!“ Auch untereinander. Denn die Interessen sind widerstreitende. Da gibt es Künstler wie Bildhauer Thomas Putze, die Dundu-Puppenspieler, Maler David Baur, das Theater O-Team, die Architekten vom Bureau Baubotanik und Umschichten sowie viele andere, die durchaus gutes Geld verdienen, nach außen wirken, sich als Teil des Viertels und der Stadt verstehen; andere wollen in Ruhe vor sich hinwerkeln; wieder andere sind vor allem Lebenskünstler, die an dem Biotop die Mieten von gerade mal vier Euro für den Quadratmeter schätzen.
„Die Wagenhallen leben von dieser Unterschiedlichkeit“, sagt Architekt Lukasz Lendzinski vom Büro Umschichten, „hier gibt es Maler, Architekten, Bildhauer, Dilettanten, Musiker und Tischler.“ Er selbst war im Vorstand des Kunstvereins und gab voriges Jahr „zermürbt“ auf. Allerdings nicht mutlos. „Stadt ist Reibung, Stadt ist Konflikt“, sagt er, „und wir müssen ihn austragen.“ Weil es auch ums Selbstverständnis geht. Wie wirkt es sich aus, keine prekäre Existenz mehr zu sein, sondern etablierter Teil der Stadtkultur? Welche Rollen wollen die Wagenhallen künftig spielen? Fragen, die sie mit vielen Akteuren teilen, die ihre Wurzeln in der Alternativkultur haben.
Kultur jeglicher Art als Standortfaktor
Seit der Ökonom Richard Florida seine These von der „kreativen Klasse“ aufgestellt hat, welche die Städte gewinnen müssten, um eine Zukunft zu haben, ist Kultur jeglicher Art ein Standortfaktor. Verkaufe ist alles. Die Hausbesetzer machen Kreuzberg sexy, die Autonomen der Roten Flora in Hamburg sind Touristenattraktion, die Wagenhallen werten den Nordbahnhof auf. Der Stadtplaner und Raumdeuter David Harvey beschäftigt sich mit diesem Phänomen und sagt, dass der Kapitalismus besonders jene Orte schätze und vereinnahme, die ihn kritisieren. Weil sie ihm etwas verleihen, was er nicht hat. Sie lassen ihn authentisch erscheinen. Natürlich verkaufen Mellmann und Gutbrod auch diese Erkenntnis, da erwirbt man sich bei der Hochzeitsparty und der Betriebsfeier seine Portion Verruchtheit und Coolness mit. So erkunden mittlerweile Touristen die Wagenhallen, die Stadt vermarktet sie als „Zeitgenössisches in alten Mauern“, es gibt eine Führung samt einem Gläschen Sekt. Die Wagenhallen sind ein Verkaufshit, deshalb werden Verwaltung und Stadträte sie nicht sterben lassen. Selbst wenn es 30 Millionen Euro kostet.
Aufgeben wollen sie nicht
Den Charme der Halle wolle man erhalten, behaupten alle. Klar, ohne einen Hauch Authenzität verliert sie an Wert. Den Künstlern ist sie aber auch Heimat, deshalb wollen sie nicht ins Werk 8 nach Feuerbach, sondern bei ihrer Wagenhalle bleiben. 30 Container werden sie aufstellen und dort arbeiten während der Sanierung, die wohl 2016 beginnt. Und wieder mal was Neues ausprobieren. Denn auch wenn es kracht und knirscht, aufgeben wollen sie nicht. Im Gegenteil, sie entwickeln schon Konzepte, wie es weitergehen könnte, wenn in zig Jahren nebenan gebaut wird. Pflanzen könnten an den Fassaden wachsen und als Balkone und Treppen dienen. Solche Ideen wachsen aber nur, wenn es Platz dafür gibt. Und der wird knapp, wenn die Wohnungen der Wagenhalle auf die Pelle rücken. Bei dieser Entscheidung wird sich zeigen, ob die Politik etwas vom kreativen Haufen vom Nordbahnhof gelernt hat: Kultur braucht nicht immer Geld, aber zwingend Freiräume.