28. November 2018 , Kontext Wochenzeitung
Stuttgarts Stadtoberhaupt hat sich am Montag selbst ein Bild gemacht, welche Resonanz seine Taskforce bei den Künstlern der Wagenhalle auslöst. Die waren erstaunt, aus der Zeitung zu erfahren, dass sie ein Operninterim vor die Nase gesetzt kriegen sollen.
Eine Taskforce sei „ein Team von Mitarbeitern, das spontan für die Lösung eines Problems aufgestellt wird“, hieß es im „Businesstalk“, einer beliebten Montagskolumne in der „Financial Times Deutschland“, die 2012 ihr Erscheinen einstellte: „Das Problem ist in der Regel unlösbar, die Lösung muss dem Management dennoch innerhalb kürzester Zeit präsentiert werden.“
Die Stuttgarter „Task Force Oper“ folgt genau diesem Muster: Im Mai von Oberbürgermeister Fritz Kuhn eingesetzt, als bekannt wurde, dass ein Interim im früheren Paketpostamt der Bahn 116 Millionen Euro kosten würde, sollte sie eine weniger teure Ausweichspielstätte finden. Diese Aufgabe war aus zwei Gründen unlösbar: Erstens waren schon viele Standorte untersucht worden, von denen nur das Paketpostamt übrig geblieben war. Zweitens sind die Kosten weniger vom Standort abhängig als von den hohen Ansprüchen an das Provisorium. Immerhin kann die Task Force – eigentlich ein militärischer Begriff – vielleicht nicht in kürzester Zeit, aber doch wesentlich schneller Ergebnisse vorweisen, als wenn alle Beteiligten gehört würden. So erfuhren die Künstler der Wagenhalle, die Oper und selbst das städtische Kulturamt davon erst aus der Zeitung. Dabei gibt es seit 2017 eine Arbeitsgruppe „Kulturelle Stadtentwicklung“ aus Vertretern des Kulturamts, des Stadtplanungsamts und den sachkundigen Bürgern im Kulturausschuss des Gemeinderats. Auch die beschäftigt sich mit dem Inneren Nordbahnhof. Besonders pikant: Carolin zur Brügge, im Stadtplanungsamt für den Bezirk Mitte zuständig, sitzt in beiden Gremien. Sie war für Anfragen in letzter Zeit schwer zu erreichen. Das Leben ist eine Baustelle. Das Leben ist eine Baustelle.
Genf zeigt, wie's geht
Von den 17 Standorten, welche die Taskforce diesmal untersucht hat, blieb am Ende wieder nur einer übrig: das Vorfeld der Wagenhalle. Und um die Kosten zu senken, die ja nicht deshalb geringer werden, weil das Interim den Standort wechselt, griff die Taskforce zu zwei Kniffen: Teile der Interimsbauten sollen in Modulbauweise erstellt werden, die hinterher weiterverkauft werden. Ein Bauteil soll dagegen auf Dauer stehen bleiben und dann für die Oper nur mit drei Millionen Euro zu Buche schlagen. Trotz dieser Rechenkünste stehen am Ende immer noch Kosten zwischen 89 und 104 Millionen Euro im Raum. Für die Idee mit den wiederverwendbaren Modulen aus Holz könnte Genf das Beispiel gegeben haben. Als das dortige Opernhaus – mit 1488 Sitzplätzen unwesentlich größer als das Stuttgarter – saniert werden musste, erwarb die Stadt aus Paris einen hölzernen Interimsbau und erweiterte diesen auf 1100 Plätze. Alles in allem hat Genf dafür nicht mehr als zehn Millionen Euro ausgegeben, während die Stuttgarter Taskforce die Module für zwölf bis 24 Millionen weiterverkaufen will. Immerhin hat die Taskforce eine Lösung für ein unlösbares Problem präsentiert.
Etwas anders verhält es sich mit dem dauerhaften Bauteil. Hier geht die Taskforce von einer Konzeptstudie von Januar 2015 aus, noch vor der Sanierung der Wagenhalle. Ein Gutachterbüro hatte damals festgestellt, wegen der Konzertveranstaltungen im Kulturbetrieb müsste trotz Schalldämmung ein Gebäuderiegel zwischen der Wagenhalle und dem künftigen Wohngebiet stehen, um die Anwohner vor Verkehrslärm zu schützen. Dieser Riegel soll nun der feste Bauteil des Operninterims werden. Allerdings war dieser Gebäuderiegel nur ein Kompromiss, um die widerstrebenden Ansprüche des Konzertveranstalters und der künftigen Anwohner unter einen Hut zu bringen. Die Künstler waren von vornherein nicht begeistert, und sie haben ihren Standpunkt wiederholt deutlich gemacht. Dies hat auch in der Gesamtplanung für das künftige Rosensteinquartier Niederschlag gefunden.
Wagenhalle: Schlüsselrolle als "Inkubator kreativer Milieus"
Denn seit 2015 ist einiges passiert. Es hat eine Bürgerbeteiligung zum Rosensteinviertel gegeben, in der sich einige Architekten der Wagenhalle – wie Robin Bischoff, der Vorstand des Kunstvereins – stark engagiert haben. Es gibt dazu ein Memorandum, in dem unter anderem steht: „Sicherheit haben zu können, nah bei künstlerischen Produktionsstätten, wie zum Beispiel den Wagenhallen, dauerhaft über frei nutzbare (Brach-)Flächen verfügen zu können, um spontan, temporär oder auch dauerhaft künstlerischen Arbeiten Raum geben zu können.“
Auch in den Städtebaulichen Wettbewerb ist dies eingegangen. Nach einer offenen Phase, über die nun am 28. November ein Preisgericht tagt, folgt eine zweite Phase mit zehn ausgewählten Büros. In der Ausschreibung findet sich auch die Forderung der Stadtisten wieder, „im Rosenstein-Quartier insgesamt eine Fläche von etwa fünf Hektar vorzusehen und zu verorten, die als ‚Sonderentwicklungsfläche Kultur‘ Raum für Nutzungsoffenheit bietet.“ Von einer „adäquaten Nutzungsmischung mit besonderer Beachtung der kulturellen Nutzungen, vor allem im Umfeld der Wagenhallen“, ist die Rede. Und damit keine Missverständnisse aufkommen: „Grundsätzlich soll nicht nur die Hochkultur Beachtung finden, sondern auch niederschwellige, kleine (sub-)kulturelle Nutzungen mitgedacht werden.“ Noch genauer: „Es werden Vorschläge zur Umsetzung einer abschnittsweisen Bebauung (z. B. mit Erhalt von temporär oder dauerhaft nutzungsoffenen Flächen), auch unter dem Aspekt der kreativen Aneignung, erwartet.“
„Die Wagenhallen haben sich als herausragender künstlerisch-kultureller Standort in Stuttgart etabliert“, steht weiter in der Ausschreibung. „Ein wichtiges, mit der Sanierung der Wagenhalle verbundenes Projektziel der Stadt ist es, den etablierten Nutzergruppen eine langfristige Entwicklungsperspektive zu eröffnen. Als Inkubator kreativer Milieus nehmen diese bereits eine Schlüsselrolle in der Stadt ein.“ Man spricht von einem „gemischt genutzten Wagenhallen-Quartier“. Dabei sei „von besonderem Interesse, dass ein ‚weicher‘ baulicher (wohnungsverträglicher) Übergang von den Wagenhallen zu den umgebenden baulichen Strukturen geschaffen wird.“ Mit einem dauerhaften Gebäuderiegel vor der Wagenhalle ist das schlichtweg unvereinbar. Drei Wochen bevor die Taskforce ihre Ergebnisse bekannt gab, hat die Container-City der Wagenhallen-Künstler im Deutschen Städtebaupreis eine Belobigung erhalten. Aus der Begründung der Jury: „Die Künstler werden als Pioniere der Umnutzung in die konzeptionelle Entwicklung des Quartiers einbezogen.“ Das vielfältig nutzbare Areal sei zu einem Impulsgeber und programmatischen Baustein für das zukünftige Quartier geworden. „Die Verzahnung informeller und temporärer Projekte mit langfristigen Maßnahmen und strategischen Entwicklungen fördert eine Verdichtung öffentlicher Nutzungen, welche in das direkte Umfeld und in die gesamte Stadt ausstrahlt.
Wohin mit den Künstlern?
Nicht nur die Künstler nutzen das Areal, sondern auch der Verein Stadtacker, der im April ebenfalls ausgezeichnet wurde: im Sonderwettbewerb Soziale Natur der UN-Dekade für die biologische Vielfalt. Seit 2012 gärtnert der Verein am Inneren Nordbahnhof, mit Menschen jeden Alters und unterschiedlichster Herkunft, viele aus dem angrenzenden Nordbahnhofviertel, aber auch aus der ganzen Stadt. Viele Urban-Gardening-Initiativen gibt es in Stuttgart nicht, dafür fehlt das Gelände. Stuttgart will bis 2027 eine Internationale Bauausstellung (IBA) ausrichten, deren Ergebnisse weit in die Welt hinausstrahlen sollen. Daraus wird wohl nichts werden, wenn bereits ausgezeichnete Projekte plattgemacht werden. IBA-Intendant Andreas Hofer hat die Wagenhalle bereits zwei Mal besucht. Die Stadt braucht auch Freiräume, hat er kürzlich in einer Diskussion unter Architekten gesagt.
Was die Künstler der Wagenhalle und der Verein Stadtacker am Inneren Nordbahnhof aufgebaut haben, lässt sich nicht ohne Weiteres an einen anderen Ort verpflanzen. Sie würden vertrieben. Doch wo sollen sie hin? Diese Frage kann auch OB Fritz Kuhn nicht beantworten, der am Montag mit den Bürgermeistern Peter Pätzold und Fabian Mayer das Containerdorf besuchte. Es ist zu befürchten, wie Sylvia Winkler, stellvertretende Vorsitzende des Kunstvereins Wagenhalle, meint, dass eine weitere Generation von Künstlern Stuttgart verlassen wird. Der Verein hat weit mehr Anfragen für Atelierplätze, als überhaupt Kunstschaffende in der Halle Platz finden. Ist das im Interesse der Oper? Nein, sagt zumindest Thomas Koch. Er ist Direktor für Strategische Kommunikation der Oper Stuttgart und sagte in einer Diskussion zum Thema im Kunstgebäude, Hoch- und Subkultur müssten zusammenarbeiten, um populistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Winkler stimmt dem nachdrücklich zu. Nur geht das eben nicht, wenn die einen die anderen vertreiben.
Was also wäre die Alternative? Mal ehrlich: Ob sich mit den Modulbauten 24 Millionen Euro einnehmen lassen, weiß niemand. Ob es bei den 89 Millionen für das Wagenhallen-Interim bleibt, weiß auch niemand. Viel gespart ist damit ohnehin nicht; das ginge nur, wenn der Interimsbau etwas bescheidener ausfiele. Auch das Argument, das Paketpostamt müsste anschließend abgerissen werden, zieht nicht. Erstens gehört es der Post, die aktuell keinen anderen Ort findet, um Pakete zu verfrachten. Und auch das Kunstmuseum nutzt den Bau als Depot und hat momentan keinen Ersatz. Dass ausgerechnet hier eine Parkerweiterung entstehen soll, wo es mehr Park gibt als irgendwo sonst in der Stadt – das ist nur eine Altlast von Stuttgart 21. Immer wurde versucht, auf diese Weise den Bürgern das Projekt schmackhaft zu machen. Davon ist jetzt nur das Paketpostamt übrig. So steht zwar auch im städtebaulichen Wettbewerb: „Das Ziel einer Parkerweiterung am Übergang zum Schlossgarten und Rosensteinpark und damit eine Verbreiterung der Parkanlagen wird daher auch weiterhin als sinnvoll erachtet.“ Doch an anderer Stelle heißt es: „Es bleibt den Teilnehmern des Wettbewerbs freigestellt, die Parkerweiterung als zusammenhängende Parkerweiterungsfläche auch an anderen Stellen des Wettbewerbs vorzunehmen.“