13. November 2019, KONTEXT:Wochenzeitung

Die Milliarde ist auf dem Tisch. Die hohe Zahl für die Sanierung des Stuttgarter Opernhauses droht freilich, die näherliegende Frage nach dem Interim und der Wagenhalle zu überdecken. Kontext hat sich bei einigen der Beteiligten umgehört.

Wieland Backes, Sprecher der Initiative „Aufbruch Stuttgart“, sprach am Tag der Sitzung des Verwaltungsrats per dpa-Meldung von „unanständig hohen Kosten“. Es gäbe günstigere Alternativen, die das Gleiche leisten: „Auch die Hochkultur muss sich der Frage der Wirtschaftlichkeit stellen“. Einer Nachfrage von Kontext erteilt Thomas Rossmann, der Geschäftsführer der Initiative, allerdings eine Absage. „Wir stehen gerade vor dem Start unseres großen Workshops ‚Aufbruch in die Verkehrswende Stuttgart“, schreibt er am Tag vor Beginn der Veranstaltung, die von 7. bis 9. November stattgefunden hat, „sodass wir gerade keine Kapazität für anderes frei haben.“

„Über die Kostenschätzung kann ich nur den Kopf schütteln“

Guntrun Müller-Enßlin, Stadträtin für SÖS im Stuttgarter Gemeinderat, hat Zeit, zu antworten. Zwar war diesmal Hannes Rockenbauch an ihrer Stelle in der Verwaltungsratssitzung. Doch mit den Kosten der Opernsanierung hat sie sich intensiver beschäftigt als jeder andere im Gemeinderat. Ihr Fazit: „Über die Kostenschätzung von rund einer Milliarde Euro Baukosten für die Opernsanierung kann ich nur den Kopf schütteln. Mit wem ich auch darüber rede, alle sind sich einig, dass diese Zahl von einem erschreckenden Realitätsverlust der Befürwortenden zeugt. Eine Milliarde für ein einzelnes Kultursegment, das ist nicht mehr vermittelbar. Da läuft etwas völlig aus dem Ruder. Ein einfaches Rechenbeispiel: In meiner Kirchengemeinde in Weilimdorf, deren Geschäftsführerin ich bin, haben wir gerade die 500 Jahre alte denkmalgeschützte Oswaldkirche mit knapp einer Million saniert. Mit einer Milliarde könnte man 1000 solcher Kirchen sanieren. Eine Milliarde: Das steht auch in keiner Relation dazu, wie sonst im Kulturbereich über Geld geredet und damit umgegangen wird. In den kommenden Haushaltsberatungen wird, wie schon in der Vergangenheit, um jeden müden Cent gefeilscht werden, für die Oper aber soll nichts zu teuer sein. Mit einer solchen Haltung werden die verschiedenen Kultursparten gegeneinander ausgespielt. Es kann mir niemand weismachen, dass eine Ertüchtigung der Spielstätte nicht billiger zu haben sein soll. Mir leuchtet auch nicht ein, warum man auf Gedeih und Verderb an dieser Littmannbau-„Lösung“ festhalten muss und diese Kreuzbühne unbedingt da rein muss. Wenn es denn in der Zukunft eine Spielstätte mit Kreuzbühne sein soll, dann bitte in einem Neubau. Es wird sich rächen, dass es zur vorgestellten Planung, obwohl angemahnt, keine Alternative, keinen Plan B gibt.“

„Was passiert mit dem Stadtacker?“

Was die Kosten betrifft, „hat natürlich jeder seinen eigenen Standpunkt“, meint Lonni Görlach, Architektin und Mitglied des Urban-Gardening-Projekts „Stadtacker“, dessen rund 2000 Quadratmeter großes Areal von einem Opern-Interim am Inneren Nordbahnhof zunächst bedroht schien. Nun ist das Interim an eine andere Stelle gerückt, und die Initiative kann erst mal aufatmen.

„Für uns ist die entscheidende Frage: Was passiert mit dem Stadtacker? Im Entwurf des Büros asp., das den städtebaulichen Wettbewerb gewann, ist er an der Stelle, wo er sich jetzt befindet, nicht vorgesehen. Und das Opern-Interim drohte vollendete Tatsachen zu schaffen. Von daher haben wir nun zunächst einmal Zeit gewonnen. Das Opern-Interim kommt in ungefähr fünf Jahren, alles weitere später. Ob der Stadtacker dann genau an dieser Stelle bleibt oder wie sich der Entwurf weiterentwickeln kann: Da ist jetzt der Druck raus. Immerhin haben wir gerade zum dritten Mal eine Auszeichnung des Verschönerungsvereins erhalten. Es ist einiges aufgebaut worden: an Pflanzen, der Boden. Der städtebauliche Entwurf soll ja auch nicht unabänderlich sein, sondern nach und nach weiterentwickelt werden. Das Kreativquartier soll als IBA-Projekt entwickelt werden. In diesem Prozess möchten wir als lokale Experten mitreden.“

„Wir wollen und wir müssen zusammenarbeiten.“

Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle sieht das ähnlich:„Natürlich haben wir nichts gegen die Oper. Wir waren nur dagegen, dass für ein Interim vor der Wagenhalle Tabula rasa gemacht wird. Von daher war schon der Entwurf des Büros asp voll in unserem Sinne. Die Frage ist nun, wie es umgesetzt wird. Von der Container City muss nach dem jetzigen Plan ein kleines Stück weg, das ist o.k, sie wird sich weiterentwickeln. Im besten Fall entsteht daraus eine Dynamik, die sich auf das ganze Viertel überträgt. Wir haben dazu ein Positionspapier entwickelt und Baubürgermeister Peter Pätzold überreicht. Wir sind in Kontakt, OB Fritz Kuhn und Pätzold haben uns noch vor der Verwaltungsratssitzung informiert. Die Intendanten der Staatstheater, Viktor Schoner, Tamas Detrich und Marc-Oliver Henriks waren schon vor einem Jahr hier. Das Wagenhallen-Quartier ist IBA-Projekt, beantragt von uns, also Kunstverein Wagenhalle und Stadtacker, und von der Stadt, unabhängig voneinander. Wir müssen und wollen zusammenarbeiten. Wenn die Oper jetzt hier hin soll – wir hätten uns das auch anders vorstellen können – müssen wir über die Ausgestaltung im Gespräch bleiben. Es sollte einen regelmäßigen Jour fixe geben, wie bei der Sanierung der Wagenhalle: Andernfalls wäre da einiges schief gelaufen. Dicht neben der Wagenhalle sollen große fünfgeschossige Volumen errichtet werden. Verdichtung ist nicht verkehrt. Wichtig ist aber, wie die Übergänge gestaltet und wie die Besucherströme geregelt werden. Wir haben die Stadt darauf hingewiesen: Der Verkehr ist das Hauptproblem. Die Oper ist ein Schwergewicht. Der Betrieb mit seinen 1500 Mitarbeitern und bis zu 1500 Besuchern pro Vorstellung darf die Abläufe an der Wagenhalle, bei den Künstlern und im Kulturbetrieb, nicht beeinträchtigen. Auch wir haben Besucher- und Lieferverkehr, manchmal auch mit übergroßen Sattelschleppern.“

“Da wird Überraschendes und Verblüffendes passieren”

Und was meint Viktor Schoner, der Opernintendant, dazu? Er hat sich bisher aus der Diskussion herausgehalten. Als eines seiner ersten Projekte hat er die Oper „Herzog Blaubart“ von Bela Bartók im alten Bahnpostamt aufgeführt, die daraufhin zum Interimsstandort gekürt wurde – was sein Vorgänger Jossi Wieler noch für völlig unmöglich hielt. Dann jedoch schickte Oberbürgermeister Fritz Kuhn nochmal eine Task Force aus, um im Vergleich zu der jetzt genannten Summe lächerlich wenig Geld zu sparen. So kam es zum Interim am Nordbahnhof.

„Der Interims-Stand ist sehr okay“, sagt Schoner nun. „Wir haben das nie ausgesprochen, aber uns immer unwohl gefühlt mit der Überlegung, dass andere weggehen sollen, weil wir kommen. Jetzt gibt es eine schöne WG, und wir werden eine schöne gemeinsame Zeit miteinander verbringen. Als Künstler treffen wir hier auf andere Künstler. Das ist sehr inspirierend – für alle, die dabei neue Beziehungen und Bezüge entwickeln, beiderseitig eben. Das ist qualitativ eine ganz andere Sache, als wären wir beispielsweise in ein ehemaliges Industriegebiet gekommen. Was im Einzelnen dabei entsteht, kann und will ich gar nicht sagen. Aber ich bin mir jetzt schon sicher, dass da eine Menge Überraschendes und Verblüffendes passieren wird. Die Junge Oper im Nord arbeitet ja bereits seit einer Spielzeit ganz aktiv im nördlichen Stadtbezirk zwischen Löwentor und Hallschlag, gerade auch mit den Anwohnern und Schülerinnen und Schülern der umliegenden Bildungseinrichtungen. Ihr gelingt es aber auch, Besucher und Mitwirkende aus anderen Stadtteilen zu den vielfältigen Projekten und Vorstellungen im Nord zu bringen. Warum sollte es am Nordbahnhof anders sein, wenn wir dort, sicherlich auch gemeinsam mit der Jungen Oper anfangen, Projekte zu entwickeln. Ich glaube, dass wir alle noch davon überrascht sein werden, was dort möglich ist.“

 

Verzicht auf experimentelles Wohnen

Suse Kletzin, SPD-Gemeinderätin und Bezirksvorsitzende des Kammerbezirks Stuttgart der Architektenkammer, zeigt sich „etwas irritiert, dass man jetzt nur diese eine Variante für das Opern-Interim geprüft hat.“ Die Architektin hat sich früh für die Wagenhalle engagiert und moderiert mit Odile Laufner am 19.11. eine Diskussion zum Thema:

„Auch wenn man jetzt den Platz getauscht hat: Ursprünglich war dieses Gebiet einmal für experimentelles Wohnen vorgesehen, eine Mischung von Wohnen und Arbeiten, und das ist ja auch, was der Kunstverein Wagenhalle so denkt. Mit dem Opern-Interim ist für die nächsten zehn Jahre jedenfalls auf ungefähr einem Viertel der Fläche keine Entwicklung möglich. Dass ein Teil der Gebäude stehen bleibt, ist ja im Prinzip der richtige Ansatz. Aber dafür verzichten wir darauf, das Gebiet als Wohngebiet richtig zu entwickeln. Wenn man da schon ein IBA-Projekt macht, hätte man das nun in Angriff nehmen können. Dann setzt man halt mal die Bauordnung außer Kraft, um etwas Neues zu probieren. Das wäre zusammen mit dem Kunstverein möglich gewesen – denn ich finde, die Beteiligung der Nutzer bei der Sanierung der Wagenhalle und beim Containerdorf, das war schon vorbildlich. Es gibt also diesen Baustein: Wie Planungsbeteiligung laufen kann mit den Betroffenen, das läuft eigentlich gut und hat sich schon gut entwickelt. Aber statt dies aufzugreifen, setzt man da nun das Opern-Interim hin.

Ich finde, die Stadt sollte schon mal Stellung beziehen, wo sie eigentlich die Potenziale für Kulturstandorte sieht. Man sieht das ja am Kulturbetrieb Wagenhalle. Wenn da Daimler Veranstaltungen macht: Natürlich parken da die Autos. Mir tut es auch deswegen leid. weil auch die endgültige Lösung für die Oper besser sein könnte. Es hätte die Möglichkeit gegeben, diesen ganzen Schlossgarten-Bereich neu zu ordnen. Das tut man jetzt nicht.“

 

Info: Am Dienstag, 19. November um 19.30 Uhr findet in der Architektenkammer in der Danneckerstraße 54, Stuttgart, eine Diskussion statt zum Thema: „Experimentierfeld Wagenhalle. Chancen für die Stadtentwicklung zwischen Nordbahnhofstraße und Wagenhallen.“ Beteiligt sind Baubürgermeister Peter Pätzold, IBA-Intendant Andreas Hofer, Martina Grohmann vom Theater Rampe und Robin Bischoff vom Kunstverein Wagenhalle, als Moderatorinnen Suse Kletzin und Odile Laufner.