10. Dezember 2018 , Stuttgarter Zeitung
Container City an den Stuttgarter Wagenhallen. Die Oper soll nach dem Willen von OB Fritz Kuhn an die Wagenhallen ziehen, während ihre Spielstätte saniert wird. Blöd nur, dass dort schon jemand wohnt. In der Container City leben und arbeiten 100 Künstler. Doch was ist das überhaupt, diese Container City?
Stuttgart – Eine Oper als Nachbar. Das hat nicht jeder. Das kann sehr unterhaltend sein. Da die Künstler von den Wagenhallen qua Berufs sehr neugierig sind, fänden sie so was möglicherweise recht spannend. Blöd nur, dass niemand mit ihnen darüber gesprochen hat. Noch blöder ist, dass die Oper die komplette Fläche vor den Wagenhallen bräuchte. Denn man muss nicht nur eine Bühne für Ballett und Oper bauen. Sondern auch Werkstätten und Büros für 1400 Leute. Und so richtig blöd ist, dass auf dieser Fläche schon was steht. Die Künstler arbeiten dort in 120 Containern, die sie selbst ausgebaut und erschlossen, also mit Strom und Wasser versorgt haben. Und nebenan pflegen die Gärtner vom Stadtacker ihre Beete.
Sehr überrascht war man, als man von den Plänen der Stadt hörte, sagt Robin Bischoff, Vorstand des Kunstvereins, in dem sich die Leute von den Wagenhallen organisieren. Erfahren haben sie davon aus unserer Zeitung. Vor zwei Jahren waren sie in die Container gezogen, weil die Stadt die Wagenhalle für 30 Millionen Euro saniert. Als Übergang. Im nächsten Jahr ziehen sie wieder zurück, wenn die Halle fertig ist. Warum dann der Ärger und der Frust? Zum einen, weil dort „mehr entstanden ist als nur ein Ausweichquartier“, sagt Pablo Wendel, Bischoffs Vorstandskollege. Nämlich preisgekröntes Bauen, ausgezeichnet mit dem deutschen Städtebaupreis – und womöglich bestens geeignet für die Internationale Bauaustellung 2027. Zudem legen gerade Architekten aus aller Welt ihre Ideen für das Rosensteinviertel vor; jenes Quartier, das entstehen wird, wenn S 21 fertig und die Gleise aus dem Park verschwunden sind.
Im Rosensteinviertel soll Platz sein zum Ausprobieren
Dann sollen Menschen nahe der Wagenhalle wohnen. Aber selbst die Stadt, die immer baut, hat gemerkt, dass es Flächen braucht, die Menschen selbst entwickeln dürfen – weil sie genug davon haben, dass ihre Stadt von Geschäftemachern zugepflastert wird mit Büros und Einkaufszentren. Vorneweg marschieren Akteure der Alternativkultur: Sie endecken Unorte, verwandeln sie in Clubs, Kneipen, Galerien und Gärten; Orte, an denen man gerne ist. So sind auch die Wagenhallen vor gut 15 Jahren aus dem Dornröschenschlaf geküsst worden.
Deshalb soll im Rosensteinviertel auch fünf Hektar Platz sein zum Ausprobieren. Die Container City ist eingezeichnet in den Plänen, die die Architekten für den Wettbewerb vorgelegt bekamen. Es ist ja auch ein bemerkenswerter Ort: mit Bauten aus Holz, so wie das Iglu von Bildhauer Thomas Putze, und natürlich mit Containern aller Art – ausgebaut zu Büros inklusive großer Fenster, zur Sauna, zur Küche, eine große Werkstatt gibt es, Gemeinschaftsräume, die alle nutzen. Sogar eine leibhaftige „Rosensteinalm“ findet sich, samt Strohballen, Brotbackofen und Hühnern. Gabriela Oberkofler lotet aus, wie man das Landleben in die Stadt bringen kann.
Andere bauen, tanzen, planen, schreiben, musizieren, fotografieren. Es gibt ja nicht den einen Künstler. „Ein Sack Flöhe“ seien sie, sagt einer von ihnen, „aber auch Charakterköpfe – klar, dass es da knallt!“ Auch untereinander. Denn die Interessen sind widerstreitende. Da gibt es Künstler wie Bildhauer Thomas Putze, die Dundu-Puppenspieler, Maler David Baur, das Theater O-Team, die Architekten vom Bureau Baubotanik und Umschichten sowie viele andere, die durchaus gutes Geld verdienen, nach außen wirken, sich als Teil des Viertels und der Stadt verstehen; andere wollen in Ruhe vor sich hinwerkeln; wieder andere sind vor allem Lebenskünstler, die an dem Biotop die Mieten von früher (gerade mal vier Euro für den Quadratmeter) geschätzt haben. „Die Wagenhallen leben von dieser Unterschiedlichkeit“, sagt Architekt Lukasz Lendzinski vom Büro Umschichten, „hier gibt es Maler, Architekten, Bildhauer, Dilettanten, Musiker und Tischler.“
Junge Künstler stehen auf der Warteliste.
Die immer auch um ihr Selbstverständnis ringen. Wie wirkt es sich aus, keine prekäre Existenz mehr zu sein, sondern etablierter Teil der Stadtkultur? Welche Rollen wollen die Wagenhallen spielen? Fragen, die sie mit vielen Akteuren teilen, die ihre Wurzeln in der Alternativkultur haben. Entschieden haben sie sich dafür, sich einzubringen. Das machen sie. Arbeiten mit Kindern aus dem Nordbahnhofviertel, Nachbarn pflegen Beete, Hunderte Veranstaltungen gibt es. Angst haben sie nun, dass das nicht mehr möglich ist. Bischoff: „Die Wagenhallen sind ohne Außenflächen nicht denkbar!“ Gerade die Baubotaniker, Bildhauer wie Putze, das Architekturbüro umschichten, die Kunststromproduzenten Performance Electric und etliche andere bräuchten sie für ihre Projekte. Zudem stehen 70 junge Künstler auf der Warteliste, suchen ein Atelier – und könnten in die Container einziehen, wenn die jetzigen Nutzer zurück in die Halle ziehen. Immerhin, man redet miteinander. OB Fritz Kuhn war da, mitten im „Kulturschutzgebiet“, wie es von Schildern kündet. Nächste Woche kommen die Intendanten des Staatstheaters. Vielleicht schafft man dabei ja die Grundlage für gute Nachbarschaft.