12. November 2018 , marlowes
Stilkritik (62) | Subkultur kann man nicht durch hoheitliche Planung erzwingen. Aber man kann sie ernst nehmen. Man kann ihr Respekt entgegenbringen. Man kann ihr Freiräume gewähren. Wie man mit ihr nicht umgehen sollte, ist derzeit in Stuttgart zu erleben.
In Stuttgart leidet man an einer Art Minderwertigkeitskomplex. Man ist zu groß, um eine Stadt in der Kategorie von Mannheim, Karlsruhe oder Münster zu sein. Und zu klein, um so wie München, Hamburg oder wenigstens wie Frankfurt zu sein. Oft meint man in Stuttgart, dass man doch eigentlich alles richtig gemacht habe. Und dann geht es doch schief. Das war bei Stuttgart 21 so, dem „Augen zu und durch“-Projekt, von dem man inständig hofft, es werde früher als der Berliner Flughafen fertig. Könnte klappen, liegt dann aber an Berlin. Das tröstet aber kaum darüber hinweg, dass man dann in Stuttgart vielleicht bald einen Bahnhof hat, der nicht mehr wachsen kann, obwohl es gut wäre, er könnte es. Es tröstet auch nicht, dass man auch in Berlin fürchtet, einen neuen Flughafen zu bekommen, der bei der Eröffnung schon zu klein ist. Auch beim VfB Stuttgart hat man gedacht, dieses Mal alles richtig gemacht zu haben, was wir an dieser Stelle nicht weiter kommentieren, darüber schreiben schon viele andere, republikweit.
Eine Taskforce wie ein Hubschrauber
Republikweit noch kein Aufsehen erregte das Drama um eine Interimsstätte für die Stuttgarter Oper. Die Oper ist ja nun wirklich vorzeigbar und auch im Vergleich mit München, Frankfurt oder Hamburg konkurrenzfähig. Und wie anderswo auch, muss die Oper bald saniert werden, man rechnet mit über 600 Mio Euro. Eine offene Diskussion über Alternativen wurde nicht geführt – das machen andere, etwa der Verein Aufbruch Stuttgart. Auf dessen Initiative trafen sich vom 2. bis 4. November fünf renommierte Architekturbüros zu einem Workshop zur Kulturmeile. Dabei wurde eines klar: Die Oper bei der Sanierung mit einer Kreuzbühne nachzurüsten, ist grober Unfug. Stattdessen wurde vorgeschlagen, die Littmann-Oper – so, wie sie ist – als Konzertsaal und Ballett-Bühne zu nutzen, ein neues, bleibendes Opernhaus an der Kulturmeile oder wo auch immer zu bauen und kein Geld für ein Interimsprojekt zu vergeuden. Ob die Stadt diese Anregung aufgreift, wird sich weisen. Vorerst hält sie an der Interimsspielstätte fest. Deren Standort lag eigentlich schon fest: er sollte beim Paketpostamt sein, dort, wo das Stuttgart 21-Areal an den Park grenzt. Aber dann war das zu teuer, 116 Mio, und OB Kuhn entschied, diesen Plan nicht weiter verfolgen zu lassen. Dann war Ruhe. Bis vor kurzem. Bis zum 16. Oktober.
Am 16. Oktober wurde das Ergebnis eines Gutachtens präsentiert, dessen Verfasser andere Standorte untersucht hatten. Ein üblicher Weg, einer von dem man irgendwann hinterher mal sagen wird, man habe doch alles richtig gemacht. Dieser „Task Force Oper“ wollten zwei Standorte geeignet erschienen: einer beim Flughafen, also weit vor der Stadt. Und einer nicht weit vom ursprünglich geplanten – bei den Stuttgarter Wagenhallen. Die waren vor kurzem aufwändig saniert worden. Sie sind so etwas wie das Stuttgarter Kreativquartier, das die Stadt geschenkt bekam, denn sie musste es nicht planen, das haben die Kreativen selbst gemacht, sie haben verhindert, dass die Industriearchitektur verschwunden ist und eine kulturelle Zwischennutzung erkämpft, die so erfolgreich war, dass sie nun eine Dauernutzung ist. Während die Wagenhallen saniert wurden, haben die Nutzer (*) direkt nebenan eine Container City errichtet, die sogar eine Belobigung beim diesjährigen deutschen Städtebaupreis bekam. Das ist der zweite geeignete Standort. Und es muss kaum davon berichtet werden, welcher von offizieller Seite favorisiert wird.
Fremde Federn
Die Containerstädter haben von den Erkenntnissen der Taskforce aus der Zeitung erfahren. Das ist nicht nur kein guter Stil. Es ist einfach eine erbärmliche Feigheit, mit denen, die betroffen sind, nicht zu reden, bevor man an die Öffentlichkeit mit fertigen Ergebnissen geht. So behandelt man die als beliebige Verfügungsmasse, deren Engagement dazu beiträgt, dass Kultur nicht lediglich von hochsubventionierten und eingekauften Spitzenkräfte repräsentiert wird. Undankbarkeit ist für dieses Vorgehen noch ein eher netter Ausdruck. Hinter Arroganz versteckte Hilflosigkeit trifft es eher. Man hat in Stuttgart keinen Plan, wie man Off- oder Subkultur fördern könnte, wie man ihr Freiräume sichern könnte. Kein Konzept. Man stellt dafür nicht ausreichend Personal zur Verfügung. Man schaut zu, und wenn etwas erfolgreich ist, dann fängt man irgendwann an, sich Gedanken zu machen, wie man an diesem Erfolg teilhaben könnte, wie man sich etwas vom Glanz dessen, was man selbst nicht hervorgebracht hat, kaufen kann. Wahrscheinlich klopft man sich auch bald auf die Schultern für das, was junge Engagierte am Österreichischen Platz auf die Beine gestellt haben. Ein solches Vorgehen ist ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich bald mit einer IBA schmücken will – ein Zug, auf den man übrigens auch sehr spät aufsprang. Eine „Kultur des Gehörtwerdens“ versprachen die Grünen in Baden-Württemberg einst. Heute, da man im Land den Ministerpräsidenten und in Stuttgart den Ober- und den Baubürgermeister stellt, geht es nur noch darum, wo man einer Oper am besten zuhören kann. Es muss ja nicht sein, dass die Container bleiben – aber ein Konzept dafür, wie man das kulturelle Klima der Stadt auch dort pflegt, wo man selbst nicht gesät hat, das wäre eigentlich das Mindeste, wenn man nicht hinter Städte wie Münster oder Mannheim zurückfallen will. Ein Konzept – um etwa darauf vorbereitet sein zu können, andere Standorte für die Container City vorzuschlagen. Wie man zu einem solchen Konzept finden könnte? Schaut doch einfach, wie es die Leute von den Wagenhallen und Contain‘t machen. Sie gründen eine Task Force Talk. Hört dort einfach mal zu. Damit es nicht wieder schief geht. Und damit wenigstens der Versuch unternommen wurde, ein bisschen was richtig zu machen.