13. August 2016 , Stuttgarter-Zeitung
Die Stuttgarter Band Mosquito Ego. Sie sind die Party-Band der Stuttgarter Szene, ein wilder Haufen aus dem Weltraum, eine fröhliche Freak-Show, ein wunderbares Lärm-Erlebnis. Mosquito Ego entstanden vor drei Jahren ganz plötzlich - und nun haben sie ein erstes Album.
Stuttgart – Auf dem Plattencover mischen sich giftiges Grün, zartes Rosa und saures Gelb zum Bild eines perversen Paradiesgartens. Kürbisköpfe mit Spaghettifingern wandeln dort umher, Insektenmenschen mit gepiercten Doppelohren, Mädchen mit grüner Haut und blondem Haar, blaue Nilpferde und allerlei, das ebenso gut Schote wie Genital sein könnte. Der Grafiker Mark Bohle zeichnete diesen psychedelischen Cartoon für das Debüt-Album der zügellosen Stuttgarter Lärm- und Partymacher Mosquito Ego – und setzte ihre musikalische Welt damit kongenial ins Bild. Wenn Mosquito Ego auf der Bühne stehen, gebären sie Ungeheuer.
Eine Bühne muss es allerdings gar nicht sein; es genügt auch ein Container. Einer, wie er bei dem Wagenhallen am Stuttgarter Nordbahnhof steht. In ihn quetschten sich ein paar Dutzend Menschen, als Mosquito Ego Ende Juni die Veröffentlichung ihrer ersten Langspielplatte feierten – Vinyl im alten Stil, natürlich limitiert und gewiss bald ausverkauft. 500 Exemplare brachte die Band zum 1. Juli heraus; man bekommt das Album auch als Download.
Gegründet aus Verlegenheit
Mosquito Ego entstanden aus Verlegenheit und Laune. Vor drei Jahren wollten Kimmie Awesome, eine Band aus Erfurt, am Nordbahnhof spielen und suchten eine Vorband – es zeigte sich: Das Material der Gäste war zu schmal, die Vorband sollte den Kurzauftritt erst zum Konzert machen. Moritz Finkbeiner, Musiker mit eigenem Studio und sehr präsent in Stuttgart, trommelte gemeinsam mit dem Gitarristen Reinhold Burr ganz schnell eine Band zusammen – das Konzept: Simple Songs mit starker Wirkung, ein Minimum an Instrumentalbeherrschung – „Wir kompensieren das mit Lautstärke!“
In Stuttgart funktioniert so etwas; das macht den Charme der neuen Stuttgarter Szene aus. Zu Mosquito Ego gehören nun außer Moritz Finkbeiner und Reinhold Burr Tim Kordik, der singt, den Synthesizer quält und sonstige Klänge einstreut, Nataly Hulikova, die ebenfalls Synthetisches abschließt und singt, dazu Tobi Adam am Schlagzeug. Er sitzt in der Mitte, einen Helm auf dem Kopf, der ihn zur lebenden Kanonenkugel macht, spielt in Unterwäsche oder ähnlichem, reckt sich einem Mikrofon entgegen und trommelt wie von Sinnen. „Wir verstehen uns großartig!“, behaupten sie. Man glaubt es.
Mosquito Ego klingen nicht wie von dieser Welt. Sie sehen auch nicht so aus. Sie waren shoppen, im Internet und überall; sie fanden Kleider, Umhänge und Perücken. Auf der Bühne sind sie die Freak-Show aus dem Weltall; nach dem Konzert, ganz ohne Lametta, Silberfolie und Superheldendress, werden sie von ihren Fans meist nicht wiedererkannt. Das stört sie nicht. Auf geheimnisvolle Weise sind sie mit vielen anderen neuen Stuttgarter Bands verbunden – jeder von ihnen spielt auch hier und dort mit, in diesem Netzwerk, das längst schon über die Stadt hinaus bekannt ist.
Die Nerven sind die Stars, aber der Humus, auf dem sie wachsen, ist sehr breit gestreut. Mosquito Ego mit ihrer unbedingten Ausgeflipptheit sind die schillerndste Facette dieser Szene – bunter, fröhlicher und psychotischer als andere proben sie den Aufstand, so wie es nur in einer Stadt geschehen kann, die von Blech und Beton zugeschnürt ist. Ob man in New York schon von Stuttgart 21 gehört hat, darf man bezweifeln – Mosquito Ego allerdings kennt man dort.
Die Verbindung zu anderen Stuttgarter Bands
Flaming Lips und Boredoms als Vorbilder
Einen amerikanischen Freund fand die Band schon nachdem sie 2014 ihre erste EP im Netz veröffentlichte; ihr Album ist nun beim US-Label never/ever erschienen, daheim in Deutschland bei Tim Kordiks eigenem Label Treibender Teppich Records. Im Pressetext für die USA suchen Mosquito Ego die Nähe von OOIOO, der Band der Boredoms-Schlagzeugerin Yoshimi P-We – das war die, die mit den Flaming Lips gegen die rosa Roboter kämpfte.
„Glomb“ heißt das erste große Album von Mosquito Ego. Das könnte schweres Schwäbisch sein, aber auch ein großer Klumpen giftigen Plasmas, der vom Planeten der Stechmücken auf die Erde herab gefallen ist. Die rohe Energie, welche die Band auf der Bühne hat, verwandelt sich im Studio in anarchische Bastelfreuden – seltsame Samples häufen sich, Stimmen wispern oder schreien nah und fern, eine Gitarre sägt am Hörnerv, der Bass spielt krude Riffs. Dann plötzlich: Easy-Listening („Feeling good, feeling fine“), in nur leicht verzerrter Ferne, dort wo blechern das Meer an den Strand schlägt. „Glomp“ ist lärmende euphorische Psycho-Surf-Musik, Raserei in Feinarbeit. „Ich glaube“, sagt Moritz Finkbeiner, „das Album hat einige Leute extrem überrascht.“
„Manchmal“, sagt Nataly Hulikova nach dem Release-Konzert im Taut, der temporären Container-Galerie bei den Wagenhallen, „mache ich einfach nur Lärm, aber es gibt auch Sachen, die ich richtig gelernt habe“. Eben noch hat sie an Reglern gedreht und knackende Klangspiralen in die Höhe gezogen oder den Sound ins tiefste Brummen stürzen lassen.
Rund dreißig Konzerte haben Mosquito Ego bislang gespielt – das ist nicht wenig, für eine Band, die von sich sagt: „Eigentlich wollten wir gar nicht weitermachen.“ Kimmie Awesome aus Erfurt haben sie dabei längst schon überlebt. Der Stuttgarter sind gefragt; die Angebote kommen, deshalb gibt es sie noch. Mosquito Ego buddeln die lautstarke Wurzel des Rock’n’Roll wieder aus und erfinden eine Musik, die jedes Kunsthandwerk eiskalt transzendiert. Mehr Informationen unter https://mosquitoego.bandcamp.com.