27. März 2017 , Stuttgarter Zeitung / Georg Leisten
Für die Künstlerin und Ex-Friseurin Anna Gohmert sind Haare eine Metapher der Zeit. Über Erinnerungskultur ist hierzulande schon sehr viel geredet worden, aber noch nie mit so markigen Worten, wie sie in dem Video von Anna Gohmert zu hören sind: „Die Vergangenheit kann mich mal. Ich schneide sie einfach ab.“ Ganz so einfach ist es am Ende aber nicht mit der Vergangenheit, doch der Reihe nach:
Im Taut, dem Projektraum des Stuttgarter Wagenhallen-Kunstvereins, untersucht Anna Gohmert das Verhältnis des Menschen zu seinem Haar. Denn das ist für die Absolventin der Stuttgarter Kunstakademie vor allem eine Metapher der Zeit. Schließlich wachsen uns allen die Keratinfäden zwar langsam, aber unaufhaltsam aus der Kopfhaut, sie werden matt, wenn es uns schlecht geht, und grau, wenn wir altern.
Da Anna Gohmert vor dem Studium eine Friseurausbildung absolvierte, weiß die 34-jährige Künstlerin; wovon sie spricht. Einprägsame Bilder gelingen den Filminstallationen zwar nicht, aber die Schau ist inhaltlich gut vorbereitet und erschließt einige interessante Bezüge. Etwa, dass die Behaarung biologisch nichts anderes ist als der Rest eines Fells, wie es der Mensch in früheren Entwicklungsstufen besaß.
Und ein dickeres Fell wünschen sich manche noch heute. Eine intime Videostudie beobachtet etwa, wie langmähnige Personen ihr. Gesicht hinter dem Haupthaar verbergen, als suchten sie Schutz. Buddhistische Mandalas aus Locken wiederum verweisen auf die Kreisstruktur der Zeit. Hat die ewige Wiederkehr doch auch zur Folge, dass Abschneiden nur kurzfristig hilft. Ob Haare. oder Erinnerung – beides kommt irgendwann wieder.