17. April 2015 , Kontext Wochenzeitung
5,5 Millionen Euro hat der Stuttgarter Gemeinderat Ende 2013 für die Sanierung der Wagenhalle bewilligt. Nun sind die Kosten angeblich auf 20, zuletzt sogar 30 Millionen Euro gestiegen. Dabei existiert bisher nur eine „Grobkostenprognose”. Es gibt noch viele Fragen zu klären. Aber der Zeitdruck wächst.
Finanzbürgermeister Michael Föll muss die Zahlen seit Sommer, spätestens Herbst 2014 gekannt haben. Ende 2013 hatte der Gemeinderat 5,5 Millionen Euro für die Sanierung der ehemaligen Eisenbahnreparaturhalle am Nordbahnhof bewilligt. Ein daraufhin vom städtischen Hochbauamt in Auftrag gegebenes Gutachten hält dagegen 21 oder sogar 30 Millionen für nötig, um das Ziel „eines vom Baurechtsamt auf Dauer genehmigten Bauzustands für die heutigen Nutzungen“ zu erreichen. Die heutigen Nutzungen, das sind: die Veranstaltungen und Unternehmensfeiern des Kulturbetriebs Wagenhallen, Künstlerateliers, Architekturbüros, eine Fahrradwerkstatt, ein Tango-Club.
Schon im Herbst 2014 brodelte es an der Wagenhalle. Um auch nur befristet bis Ende 2015 eine Genehmigung zu erteilen, untersagte das Amt eine Doppelnutzung: Während der Veranstaltungen des Kulturbetriebs müssen seither die Künstler ihre Ateliers räumen, aus Brandschutzgründen. Von ihrem Vermieter, dem Schrottunternehmer Karle, der die städtische Immobilie bisher gemietet und an Künstler und Kulturbetrieb weitervermietet hat, wurden sie vor die Alternative gestellt, entweder zu unterschreiben oder auszuziehen. Fast alle unterschrieben, auch die rund zwanzig Künstler, die ihre Ateliers und Studios im Bürotrakt haben: eigentlich ein eigenes Gebäude an der Ostecke, vom Veranstaltungsraum des Kulturbetriebs rund 120 Meter weit weg, einmal diagonal durch die fußballfeldgroße Halle. Allerdings gilt die Wand, die Bürotrakt und Halle trennt, weil sie von Rohren und Kabeln durchbohrt ist, nicht mehr als Brandmauer.
Dann im November war plötzlich in einer Stuttgarter Zeitung zu lesen: „Die Wagenhallen stehen auf der Kippe.“ Die Sanierung der Halle würde „mindestens 20, wenn nicht gar 25 Millionen Euro“ kosten. Die Künstler fürchteten nun, ihre Ateliers ganz zu verlieren. Weitere Schlagzeilen sagten neuerliche Kostensteigerungen auf bis zu 30 Millionen voraus oder forderten die Künstler auf, für die Zeit der Sanierung das Nordbahnhofareal ganz zu verlassen. Die Verunsicherung wuchs. Bis Oberbürgermeister Fritz Kuhn Anfang März 2015 verlauten ließ, es sei richtig, „die Wagenhallen mit all ihren Nutzungen zu erhalten“ – mit Unterstützung von Finanzbürgermeister Föll und Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann.
Plötzlich muss alles schnell gehen
Doch das Gutachten, aus dem die Zahlen stammten, blieb weiterhin unter Verschluss. Auch der Gemeinderat war nicht informiert. Allerdings beabsichtigten nun die Bürgermeister, einen Grundsatzbeschluss herbeizuführen, am besten noch vor der Sommerpause, weil ja die Nutzungsgenehmigung Ende 2015 ausläuft. Nur, das Fünffache des ursprünglich bewilligten Betrags einfach nur abnicken: das war einigen Gemeinderäten dann doch zu viel. So kamen Föll und Eisenmann schließlich nicht umhin, den Kultursprechern der Fraktionen und den Nutzern der Halle am 23. März Einblick zu gewähren.
Wie kommen nun die enormen Kostensteigerungen zustande, noch bevor die Sanierung überhaupt begonnen hat? Hochbauamtsleiter Ulrich Klenk erklärt: Die ursprünglich veranschlagten 5,5 Millionen waren für die Sanierung des Dachtragwerks der gesamten Halle, eine Sprinkleranlage im Veranstaltungsraum des Kulturbetriebs und eine Brandmauer gedacht, die diesen Veranstaltungsbereich bis hinauf zum Dach vom Rest der Halle trennt. Klenk betont, dass ihm keinerlei detaillierte Raumplanung vorlag. „Wir haben uns das Gebäude einfach mal angeschaut, und überlegt, was zu tun wäre.“
Ein Problem ist nun die Statik. Das Dachtragwerk hat zwar bis heute gehalten. Aber es fehlt ein Standfestigkeitsnachweis. Es könnte im Krieg zu Beschädigungen gekommen sein. Oder dass die Träger an einigen Stellen rosten. Zudem wird die Konstruktion nach heutigen Bestimmungen nicht für geeignet befunden, die Dachhaut zu tragen, die sie doch tatsächlich seit rund 130 Jahren trägt. Das riesige Dach muss also komplett neu eingedeckt werden. Dazu kommt der Schallschutz: Im Bebauungsplan für den Inneren Nordbahnhof reicht die zukünftige Wohnbebauung bis unmittelbar an die Wagenhalle heran. Das ist mit den Konzertveranstaltungen des Kulturbetriebs nur dann zu machen, wenn der Veranstaltungsraum als von allen Seiten schallisolierte Raum-in-Raum-Konstruktion ausgeführt wird. Dies und die neue Eindeckung des Dachs schlagen im Gutachten zusammen mit 10 Millionen zu Buche.
Eine Schule gegen den Lärm?
Damit sind die Schallschutz-Anforderungen aber noch nicht erfüllt. Denn Lärm entsteht auch, wenn die Veranstaltungsbesucher zu nächtlicher Stunde in ihre Autos steigen und wegfahren. Wo die Besucherparkplätze untergebracht sein sollten, ob die Besucher von der Heilbronner Straße oder von der Nordbahnhofstraße her anfahren: dazu gab es keinerlei Vorgaben. Die Gutachter haben daher mehrere Szenarien durchgerechnet. Eine Variante sieht nun vor, weitere 60 Millionen Euro zu investieren, um als Lärmschutzbarriere zwischen Wohngebiet und Wagenhalle einen Schulneubau zu errichten. Sollten die Konzertbesucher, wie auf den ersten Plänen noch vorgesehen, an der Ostseite der Halle parken, wäre dies wohl tatsächlich die einzige Option, Konzertbetrieb und Nachtruhe miteinander zu vereinbaren.
Wenn aber die Veranstaltungsgäste gar nicht über den Bereich der Hedwig-Dohm-Straße hinaus gelangen, die von der Heilbronner Straße am Pragfriedhof in das Gelände hinein führt, wäre nur ein kleiner Bereich an der Südspitze der Halle betroffen. Bislang war freilich noch völlig offen, wie groß der Veranstaltungsraum überhaupt werden soll. Klenk konnte nicht wissen, wie viele Parkplätze gebraucht werden: So müsse er bei 1000 Quadratmetern bestuhlt mit 1000 Besuchern, unbestuhlt dagegen mit 2000 Besuchern rechnen. War zunächst von 2500 Besuchern die Rede, so sind es inzwischen 3400 geworden.
Dafür würden mindestens 170 Stellplätze benötigt, die rein rechnerisch ohne weiteres in den bestehenden Tiefgaragen der Hedwig-Dohm-Schule und der Sporthalle des Schulzentrums Nord auf der anderen Seite der Heilbronner Straße unterzubringen wären, die zusammen 238 Stellplätze bieten. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob sie für andere Zwecke wie etwa ein Abendgymnasium gebraucht werden. Immerhin scheint es bessere und billigere Lösungen zu geben als einen Schulriegel für 60 Millionen. Dieser würde die Wagenhalle vom Wohnviertel abschotten, die doch im Gegenteil als attraktiver Kulturstandort das Zeug hätte, ein neuer Quartiersmittelpunkt zu werden: ein städtebaulicher Offenbarungseid.
Weitere fünf Millionen sind im Gutachten für die technische Sanierung vorgesehen: unter anderem eine Sprinkleranlage für die gesamte Halle, eine Entrauchungs-, Notstrom-, Lüftungs-, Wasser- und Abwasseranlage, dazu im Außenbereich Rettungswege für die Feuerwehr und bei den Künstlerateliers unter anderem Starkstrom- und Wasseranschlüsse. Damit steigt die Rechnung auf 21 Millionen, noch nicht eingerechnet Veranstaltungstechnik und energetische Sanierung. Dies und die Stellplätze könnten die Kosten am Ende bis auf 30 Millionen in die Höhe treiben.
Warum nicht die Künstler selbst einspannen?
Dabei handelt es sich nur um eine „Grobkostenprognose“, wie die Gutachter selber betonen. Von den veranschlagten 21 Millionen sollen 8,7 Millionen auf den Kulturbetrieb entfallen, 12,3 Millionen auf die Künstler, was sich freilich vor allem damit erklärt, dass der überwiegende Teil der Dachsanierung dem Künstlerbereich zugeschlagen wurde. Im Moment befinden sich in der Halle selbst allerdings nur wenige Ateliers: Die meisten der 70 bis 80 Künstler, die am Inneren Nordbahnhof arbeiten, haben ihre Arbeitsräume in einem der Nebengebäude. Die Halle selbst dient vorwiegend als Lagerfläche.
Die Gutachter sind davon ausgegangen, dass dies nicht so bleibt. In ihren Plänen ist die Halle zum Teil sogar zweigeschossig mit Ateliers gefüllt, erheblich mehr als bisher: daher die hohen Kosten für Installation, Fluchtwege und Entrauchungsanlagen. Auch ein Ausstellungsraum ist vorgesehen, der sich neben dem des Kulturbetriebs an der Südecke der Halle befinden würde. Dabei gibt es durchaus noch Einsparpotenziale. Einige der Künstler sind Architekten. Sie haben von sich aus bereits eine Reihe von Vorschlägen und Planungsvarianten entwickelt. Das Studio „umschichten“ ist sogar auf Low-Budget-Projekte spezialisiert. Es wäre ein Fehler, auf die Kompetenz dieser Nutzer zu verzichten, die selbst am besten wissen, was sie brauchen und gewisse Aufgaben vielleicht auch in Eigenleistung übernehmen könnten.
Künstler und Kulturbetrieb sollen künftig nicht mehr Untermieter des Schrottunternehmers Karle sein, sondern unmittelbar Mieter der Stadt: ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Lenkungskreis soll eingerichtet werden, der das weitere Vorgehen bespricht. Allerdings ist die erste Sitzung erst nach Pfingsten anberaumt. Und die Zeit drängt.
Wenn noch vor der Sommerpause eine Entscheidung fallen soll, erscheint dies angesichts der vielen offenen Fragen viel zu knapp. „Wie sieht der Bau danach aus?“, fragt etwa der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc: „Sind das dann überhaupt noch die Wagenhallen, die wir kennen?“ Seine Fraktion ist durchaus dafür, Planungsmittel bereitzustellen, um bis Ende des Jahres zu einer Gesamtbewertung zu gelangen. Aber angesichts der veranschlagten 21 bis 30 Millionen betont Perc zu Recht: „Bei der Dimension muss es möglich sein, Alternativen zu entwickeln.“