28. September 2016 , Stuttgarter Nachrichten
Beim Lichtkunst-Festival „Aufstiege“ der Kulturregion sind einige Stuttgarter Beiträge erstaunlich harmlos geraten. Nur Pablo Wendel ist um kritische Erkenntnis bemüht.
Stuttgart – Schaut so das Ende aus? Der Abschied? Wird sich das irdische Sein verflüchtigen, die Materie auflösen und nichts bleiben als Geist, Energie, Licht? Bei dem brillantweißen Licht können einen schon Gedanken ans Jenseits beschleichen, an Berichte von Nahtoderfahrungen, in denen häufig Tunnel und Helligkeit genannt werden. Bei Karolina Halatek erwartet einen am Ende des Tunnels allerdings nicht Licht, sondern die Rückkehr in den schnöden Alltag mitten auf dem Gerlinger Rathausplatz. Genau hier, im belebten Zentrum der Stadt, präsentiert die polnische Künstlerin ihren Beitrag zu dem Lichtkunstfestival „Aufstiege“. In der mehr als mannshohen Röhre, in der das Licht gleichmäßig strahlt, verliert man leicht den Halt, fast wie beim Gang durchs sich drehende Weinfass in Tripsdrill.
Nach langen Phasen der Uneinigkeit und Unsicherheit hat sich die Kulturregion Stuttgart berappelt und am Wochenende ein gemeinsam ausgerichtetes Lichtkunstfestival eröffnet. In 25 Städten und Gemeinden der Region wurden gleichzeitig Installationen eingeschaltet – an Treppen, Türmen und auf Aussichtsplattformen. Das Thema „Aufstiege“, das der künstlerische Leiter Joachim Fleischer über das Festival gestellt hat, bezieht sich häufig also ganz konkret auf den Weg nach oben.
So hat die Südkoreanerin Jeongmoon Choi im Treppenhaus des Leonberger Engelbergturms 25 Schnüre nebeneinander gespannt, die sich vom Fuß des Turms bis zur Spitze hinaufziehen. Nach jeder Biegung und Kurve entsteht ein neues Gebilde, formen sich Trapeze, die sich verschränken und überschlagen. Mal sind die Schnüre dicht, mal mit großem Abstand gespannt. Ein faszinierender Geistraum, in Schwarzlicht getaucht, sodass diese geometrischen Formen magisch leuchten.
Licht ist längst zu einem Gradmesser für den Wohlstand unserer Gesellschaft geworden
Lichtkunst im öffentlichen Raum aber hat es schwer. Nicht nur, dass dieses Festival nach vielen lauen Sommerabenden erst jetzt stattfinden kann, da es draußen früher dunkel, aber auch kälter und nässer wird. Die Installationen lassen sich von zwanzig Uhr bis Mitternacht besichtigen– aber man muss wohl eine gewisse Leidenschaft mitbringen, um am späten Abend in Stuttgart durch den düsteren Weißenburgpark zu laufen oder die Georg-Elser-Staffel hinaufzuschnaufen.
Hier oben, am Bubenbad, hat Andreas Schmid am Geländer der Aussichtsplattform und in den Büschen senkrechte Lichtstäbe platziert, die sich nur durch ihr sanftes Pulsieren von gewöhnlicher Parkbeleuchtung unterscheiden. Eine optische Komposition wollen diese „Gegenrufe“ sein, sie sollen an Wortgefechte und den Protest Georg Elsers erinnern, sind aber zu lieblich, zu zart, um dem ernsten Thema Widerstand gerecht zu werden.
Licht ist längst zu einem Gradmesser für den Wohlstand unserer Gesellschaft geworden, die sich eine intakte Infrastruktur leisten kann, aber Illuminationen auch inflationär zur Selbstdarstellung nutzt. Licht gibt einerseits Orientierung, buhlt aber auch marktschreierisch um die Aufmerksamkeit der Passanten. So lässt sich die Installation von Nikolaus Koliusis am besten beim Marsch durch die Weinberge unterhalb der Birkenwaldstraße entdecken. Er hat auf einer Aussichtsplattform blaue Neonflächen nebeneinandergereiht wie eine abstrahierte Skyline – die aus der Distanz allerdings im Lichtermeer der Stadt verschwimmt.
Licht wandert über die Eugenstaffel –verführerisch schön, mehr aber auch nicht.
Der künstlerische Leiter Joachim Fleischer hat internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, darunter den Ungarn Erik Mátrai, der die Treppe vor der Konstanzer Kirche in Ditzingen in Lichtsäulen einfasst, auf die er Nebel bläst, sodass schwarze und weiße Schatten entstehen und vergehen – wie Asche zu Asche, Staub zu Staub.
Schade, dass in Stuttgart vor allem die hiesige Künstlerriege zum Zug kam – mit mitunter etwas harmlosen Arbeiten. Chris Nägele hat auf den Bismarckturm mit großen Leuchtbuchstaben „Distanz“ geschrieben, was so allgemein gefasst ist, dass sich reichlich darunter subsumieren lässt: Distanz vom Fuß des Turms zur Spitze, von der Stadt hinauf auf den Killesberg, auch Distanz, die das massive Bollwerk schafft. Kurt Laurenz Theinert hat auf der Aussichtsplattform im Weißenburgpark eine Leiter aufgebaut, die Sprossen bilden unterschiedlich blinkende Lichtröhren. Doch ganz so einfach lässt sich der Weg zum Himmel nicht erklimmen, nach oben hin geraten die Sprossen aus der Ordnung. Max Frey dagegen lässt Licht über die Eugenstaffel wandern –verführerisch schön, mehr aber auch nicht.
Zumindest Tim Otto Roth sorgt für Erschütterung: Er jagt durch die rot erleuchteten Treppenhäuser der Sparkassen-Versicherung am Löwentor weiße Lichtblitze – ausgelöst durch kosmische Strahlung. Das beunruhigende Flimmern erinnert daran, dass im Strom auch Gewalt steckt. Auch der Smiley, der auf dem Flughafen-Tower in den kommenden Wochen die Laune der Passagiere anzeigt, ist eine überzeugende Arbeit, allerdings haben Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer ihren „Fühlometer“ nicht neu entwickelt, sondern in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt – etwa in Lindau.
Pablo Wendel macht sichtbar, welche Herausforderung Energiegewinnung bedeutet
Das mit Abstand interessanteste Projekt, konzeptuell stringent, kritisch und klug, stammt von Pablo Wendel und seinem Kunstunternehmen Performance Electrics. Er hat auf der Wiese neben der Stuttgarter Sternwarte eine aufblasbare Kuppel aufgebaut, darin nichts als eine Lampe. Die soll gespeist werden aus der Energie, die vom Licht der Sterne abgezapft wird. Zur Vernissage gab es allerdings lange Gesichter beim „Sternfänger“: Das Wetter war lausig, die Lampe blieb dunkel. Pablo Wendel hat ein prägnantes Sinnbild geschaffen, welche Herausforderung Energiegewinnung bedeutet– statt einfach nur mit der Ressource Licht zu protzen und zu funkeln.