28. März 2017 , Stuttgarter Zeitung
Man muss erst einmal einen Schritt zurücktreten, um die Kunst auf sich wirken zu lassen. Die Motive auf den Gittern in einem kleinen Atelier im Stuttgarter Westen handeln von Sehnsüchten, von Knastszenen, bilden die Welt des Sports ab oder die der Musik. Ein Stadion ist dabei, ein Leuchtturm, Bäume oder ein Löwe-Love-Herz. Sie fügen sich als eine Art Labyrinth zusammen, aus dem der Blick manchmal nicht mehr herausfindet, und sie stehen symbolisch für die Urheber der Elemente.
Abwechslung im Gefängnisalltag
In den vergangenen drei Jahren haben die vier Stuttgarter Künstler Anna Ingerfurth, Tilmann Eberwein, Michelin Kober und Daniel Mijic in Workshops zusammen mit Strafgefangenen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart-Stammheim ein bemerkenswertes Projekt entwickelt. Entstanden ist dabei der Kunst-am-Bau-Tuin-Zaun für die neuen Freiganghöfe des im Umbau befindlichen Untersuchungsgefängnisses. Bei der Ausschreibung hat der Entwurf des Quartetts die Kunstkommission des Landes ebenso überzeugt wie die der Berlinerin Monika Goetz, die die beiden anderen Innenhöfe mit Lichtkegel, Verbindungslinien am Boden und massiven Elemente gestaltet.
Zum Workshop traf man sich immer dienstags für zwei Stunden im siebten Stock des Stammheimer Gefängnisses. Zwei Stunden außerhalb des Alltags, zwei Stunden Freiraum, die Kunst als Flucht. In der Untersuchungshaft verbringen die Häftlinge oft 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle. Oft haben sie nur 60 Minuten Freigang. Anfangs galt es, Hemmschwellen und auch angespannte Situationen zu überwinden. Doch dann empfanden beide Seiten die Arbeit als große Bereicherung. „Es gab wunderbare Begegnungen, und wir haben viel Dankbarkeit gespürt“, sagt Bildhauer Daniel Mijic. Die Teilnehmer selbst hätten wiederum ganz neue Seiten an sich entdeckt. „Manche haben in der Grundschule zum letzten Mal gemalt oder gezeichnet“, erzählt die Malerin Anna Ingerfurth.
Für Ingerfurth und die übrigen Künstler waren die Begegnungen sehr inspirierend, weil man mit „ganz anderen Lebensentwürfen“ in Berührung gekommen sei. Die Häftlinge wiederum hatten die Mitarbeit als eine Art Therapie empfunden, manche die Kurse sogar als die „beste Zeit im Knast“ bezeichnet. Die Insassen wurden mit Zeichenmaterial, Comics, Tattoobüchern und Bildbänden als Vorlagen ausgestattet. Sonst gab es keine Hilfestellung.
Kunst im so richtig nicht-öffentlichen Raum
Aus den gesammelten rund 400 Zeichnungen wurden 24 Bildmotive ausgewählt und so weiterbearbeitet, dass sie von den Künstlerinnen und Künstlern auf das Format 1,20 mal 2,40 Meter vergrößert werden konnten. Der Bildhauer Tilmann Eberwein hat aus gebogenem und verschweißtem Flachstahl die Vorgaben in die 24 Gitter verarbeitet, die dann farblich gestaltet wurden. Die Nähte wurden im Seehaus Leonberg gearbeitet, einer Modelleinrichtung für straffällige Jugendliche. Zur Innenhofgestaltung zählen zudem unterschiedlich große gelbe Betonsitzpoller, die insgesamt eine Sitzfläche von rund 20 Metern bieten.
Unter den Gästen bei der Präsentation der Gitter im Atelier war auch Wolfgang Kleisch, Projektleiter beim Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg. Der Architekt kennt die Vorbehalte gegenüber dem Projekt. Warum Kunst für Knackis? Laut Wolfgang Kleisch soll die Kunst im Knast dabei helfen, der Tristesse ein Stück Normalität entgegenzusetzen oder einfach nur beim Rundgang zur Ruhe zu kommen. Zudem hätten auch die Bediensteten im Gefängnis einen Mehrwert von der attraktiven Gestaltung.
„Das Besondere an den Sujets ist, dass sie zwar in einem öffentlichen Gebäude stehen, aber nicht für jedermann zugänglich sind“, sagt Kleisch. Deshalb soll im Herbst eine Dokumentation der nicht-öffentlichen künstlerischen Arbeit einem breiteren Publikum präsentiert werden.
Rahmenbedingungen aus dem Wettbewerb
200 Gruppen hatten sich 2014 für den Kunstwettbewerb Kunst am Bau, bei dem ein Konzept für die vier Freihofgänge in der JVA Stuttgart Stammheim entworfen wurde, beteiligt. Die Kunstkommission Baden-Württemberg entschied sich für zwei Projekte. Das Land wird rund 52 Millionen Euro für den Neubau der JVA ausgeben. 200 000 Euro standen dabei für die neue Innenhofgestaltung zu Verfügung – 20 000 Euro für den Wettbewerb. Der gestalterische Anspruch an die Künstler war hoch, ihre Kreativität dabei nicht grenzenlos, weil die Vorgaben sehr streng waren. Die Wände durften nicht bemalt werden, weil die Architekten den Sichtbeton als solchen wirken lassen wollen. Installationen an den Wänden waren auch nicht erlaubt, weil niemand daran hoch klettern soll. Unter den Sitzgelegenheiten durfte sich niemand verstecken können und keine Utensilien verborgen werden können. Der Tuin-Zaun erfüllt alle Kriterien.